Wien, Stadt der Einkaufsstraßen
Selten gibt es in einer Stadt so viele Geschäftsstraßen wie in Wien. Aber an wenigen Orten zeigt sich der Wandel in der Wirtschaft so klar wie dort – der Handel wandert ins Netz, Geschäfte stehen leer. Wiens EinkŻufsstrŻßen im Porträt, Auftakt zur „Presse
Die Innenstädte sterben aus, die Einkaufsstraßen sowieso. Schuld seien Einkaufszentren, Fachmarktzentren, Onlinehandel usw. Diese alte Leier kennt man – auch wenn es Gegentrends gibt. Diagnostiziert durch jene Wirtschafts-, Stadt- und Trendforscher, die von einem Comeback der Innenstädte sprechen, nun, da die Zeit der Suburbanisierung mit neuen Einkaufszentren auf grünen Wiesen zu Ende zu gehen scheint. Ein Indiz dafür kann man mit innerstädtischen Einkaufszentren auch in Wien beobachten.
Aber ein Comeback? Noch steht man in den Wiener Einkaufsstraßen vor allerlei Herausforderungen. In der größten, der Mariahilfer Straße, klagen die Geschäftsleute über teils erhebliche Umsatzeinbußen seit der Neugestaltung, über weniger Kunden, da sich die neue Klientel der Straße dort zwar aufhalte, aber wenig kaufe. Traditionsbetriebe sperren zu, weichen Filialisten – nicht nur auf der Mariahilfer Straße, auch in abgelegeneren Bezirken. Dort machen sie einem Imbiss neben dem anderen Platz, Billiggastronomie löst den Handel ab, Straßenzüge verramschen – man schaue sich etwa im gürtelnahen Bereich der Thaliastraße um. Und dann gibt es jene Straßen und Gassen, in denen ein hipper Öko-/Mode-/ Möbel-Laden nach dem anderen eröffnet. Die Wiener Einkaufsstraßen sind jedenfalls vielfältiger geworden; vor allem sind sie weit vielfältiger als die wenigen, über die man gewöhnlich spricht – Stichwort Mariahilfer Straße.
Derzeit gibt es in Wien 74 Einkaufsstraßen – in so vielen Straßen haben sich die Händler zu einem Verein zusammengetan, um sich gemeinsam zu vermarkten. Und das reicht der Wiener Wirtschaftskammer als Definition. Die- Verkaufsflächen un† Leerstan†squoten 213.000 191.400 se Vereine gibt es seit rund 25 Jahren. Damals haben sich die Händler in der Stadt zusammengetan, um den Abfluss der Kaufkraft in Richtung Einkaufszentren zu verhindern.
Das ist auch heute noch Thema. Ein viel größeres aber ist die Konkurrenz durch den Onlinehandel. In Summe werden die Verkaufsflächen seit Jahren weniger, wie es etwa im aktuellen Geschäftsflächenbericht der Immobilienfirma EHL heißt. Und dass Wien ein Leerstandsproblem in Erdgeschoßflächen hat, das beweist ein kurzer Spa- ziergang durch die Stadt. Dieser Leerstand und die Frage, welche neuen Arten der Nutzung von Erdgeschoßzonen es geben kann, werde eine der großen Fragen in den kommenden Jahren sein, sagt Dieter Scharitzer, Experte für Handel und Marketing an der WU. WŻn©el, wie mŻn ihn lŻng nicht sŻh. Schließlich sei der Einzelhandel einem Wandel unterworden, wie man ihn lang nicht gesehen habe. Die Käufer wandern ins Internet ab, auch Dienstleister wie Banken schließen ihre Filialen, „das Problem ist, nicht nur eine Branche ändert sich massiv. Und diese Änderung spiegelt sich direkt im Stadtbild wider, man sieht das, wenn plötzlich Lokale in Bestlagen, in denen Bankfilialen waren, leer stehen.“
Noch aber gibt es in Wien vergleichsweise viele Einkaufsstraßen, die Die teuersten Einkaufsstraßen gut funktionieren – zumindest, wenn man sich den internationalen Vergleich anschaut. „Man kann die Wiener Struktur vielleicht mit Berlin, mit den Kietzen und ihren Versorgungsstraßen, vergleichen. Ansonsten sind die vielen Einkaufsstraßen sehr wienspezifisch“, sagt Hannes Lindner, der Geschäftsführer der Beratungsfirma Standort+Markt (S+M), die heimische Einkaufsflächen analysiert. Das liege wohl auch an der radialen Form der Stadt, an den Achsen hin zur Ringstraße, die sich traditionell zu Geschäftsstraßen mit Grätzel ringsum entwickelt haben. Bei einer Stadt, die eher in Schachbrett-Form aufgebaut
Die Thaliastraße »bröselt«, in der Alser Straße gibt es Lücken, die Josefstädter funktioniert.
ist, würden sich kaum so viele Geschäftsstraßen entwickeln. Nach der Definition von S+M gibt es aber derzeit noch fünf echte Einkaufszonen in Wien: Die Mariahilfer Straße und ihre Nebengassen sowie die Innenstadt. Die Landstraßer Hauptstraße, die Favoritenstraße