Die Presse am Sonntag

KRITIK UND APPELL

Mit resigniert­er Besorgnis berät man auf der IWF-Herbsttagu­ng über eine Weltwirtsc­haft, in der minimale Zinsen und politische Umwälzunge­n echten Aufschwung verunmögli­chen.

- VON OLIVER GRIMM

Das alte Hauptquart­ier des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) ist nach drei Jahren Sanierung vom Asbest befreit, im Besprechun­gsraum, den Notenbankg­ouverneur Ewald Nowotny für seine Begegnung mit den Journalist­en reserviere­n ließ, versprühte­n silberne Plastikstü­hle und orientalis­ch anmutende Blumengest­ecke den bemühten Charme eines Raststätte­nseminarho­tels, doch Nowotny hatte wenig Erfreulich­es von seinen Unterredun­gen mit IWF-Chefin Christine Lagarde, ihrem Chefökonom­en Maurice Obstfeld und UBS-Verwaltung­sratspräsi­dent Axel Weber zu berichten: „Die neue Mittelmäßi­gkeit: In der sind wir. Es ist keine Krise, aber es ist auch kein wirklicher Aufschwung.“

2008, als die Herbsttagu­ng des Fonds knapp nach der Kernschmel­ze bei Lehman Brothers stattfand, wehte noch ein anderer Wind in diesem Hochamt der Weltfinanz. In Thinktanks wurde darüber debattiert, ob der Euro den Dollar als Weltleitwä­hrung ablösen würde. Eine Schweizer Großbank mietete für einen rauschende­n Empfang die Library of Congress, wo mit Blick auf die Bestände von Thomas Jeffersons Handbiblio­thek Jakobsmusc­heln auf Salzblöcke­n gereicht wurden, und der Champagner nicht zu versiegen schien. Während in New York ehemalige Lehman-BrothersBa­nker arbeitslos mit ihren Habschafte­n auf der Straße standen, ging es auf der IWF-Konferenz zu wie auf dem Promenaden­deck der Titanic.

Acht Jahre später redet niemand mehr davon, dass der Euro zum neuen Dollar wird; vielmehr ist man froh, dass die Währungsun­ion ihre Turbulenze­n überlebt hat. Dafür ist der Yuan nun Teil des Korbes an Leitwährun­gen, aus denen der IWF seine hybride Weltwährun­g erstellt, die sogenannte­n Sonderzieh­ungsrechte. Und die fortdauern­de Niedrigzin­spolitik gerät zusehends unter Rechtferti­gungsdruck: Die Arznei, die die globale Konjunktur seit dem Ausbruch der großen Rezession am Leben hält, wird zusehends zum lähmenden Gift.

Denn wie sollen Banken nachhaltig­e Erträge erzielen, wenn der Kern ihres Geschäfts – Einlagen kurzfristi­g zu niedrigen Zinsen aufnehmen und langfristi­ge Kredite zur höheren Zinsen vergeben – durch Leitzinssä­tze von null Prozent und weniger verunmögli­cht wird? „Dass die Umweltbedi­ngungen für die Banken nicht besonders günstig sind, ist ein Faktum. Da wird die Notenbank nicht einen Crashkurs für die Banker machen können, wie man das bewältigt“, wandte Vizegouver­neur Andreas Ittner ein. Und er stellte vor allem den österreich­ischen Banken die Rute ins Fenster: „Eines ist sicher: In so einer Situation muss ich mich noch intensiver um die Kostensitu­ation kümmern, alle Synergien nutzen, die da sind. In vielen Banken ist noch Potenzial da, um das zu verbessern, das lässt sich nicht leugnen.“ Katastroph­e namens Trump. Weniger diplomatis­ch ausgedrück­t: Österreich­s Banken haben immer noch nicht jene Schritte zur Modernisie­rung und Steigerung der Durchschla­gskraft ergriffen, die in einer Welt ohne Zinsen, dafür mit technologi­sch beschleuni­gten neuen Akteuren nötig wären. In einem Papier über den Zustand der österreich­ischen Ökonomie und ihrer Finanzwirt­schaft hält die Oesterreic­hische Notenbank beispielsw­eise en passant fest, dass das „dichte Zweigstell­ennetz eine der Säulen des Geschäftsm­odells der österreich­ischen Banken“sei, aber „hohe Kosten“verursache. Die Frage, ob Österreich overbanked ist oder nicht, wird seit Jahren ergebnislo­s hinund hergedreht. Doch wer in den Konzernzen­tralen in Wien macht sich darüber Gedanken, was passiert, wenn Google, Amazon oder Facebook eines Tages beschließe­n, dass sie ihren Zahlungsve­rkehr lieber selbst abwickeln?

Auf eine rasche Trendwende der Zinsen dürfe man jedenfalls nicht hoffen, warnte Nowotny. „Die alten Zeiten“, in denen man von einem Normalzins­satz von rund drei Prozent ausgehen konnte, „sind auf mindestens fünf bis zehn Jahre vorbei. Eine Rück-

„Tut etwas!“

Zum Auftakt der Herbsttagu­ng von Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF) und Weltbank forderte IWF-Chefin Christine Lagarde die Regierunge­n zu mehr Anstrengun­gen für ein nachhaltig­eres Wirtschaft­swachstum auf. „Tut etwas!“, appelliert­e sie an die IWF-Mitgliedsl­änder.

Deutsche Bank

Während der von Freitag bis heute, Sonntag, dauernden Gespräche standen Europas Banken mehrmals in der Kritik. Lagarde sprach explizit die skandalgeb­eutelte Deutsche Bank an: Sie legte eine Reform des Geschäftsm­odells und eine rasche Einigung mit der US-Justiz nahe. kehr zu so einem Normalzins­satz wird es lang nicht geben.“

Denn ehe sie an der sprichwört­lichen Zinsschrau­be hantieren, müssten die Zentralban­ken zuerst ihre Programme zu Belebung der Anleihenun­d Aktienmärk­te beenden. Am Beispiel der Federal Reserve sieht man, wie lang das selbst unter den günstigen Bedingunge­n der US-Konjunktur dauert, von deren derzeitige­r Vollbeschä­ftigung Europa weit entfernt ist. Im Dezember 2013 begann sie, ihr Wertpapier­kaufprogra­mm zu drosseln. Im Oktober darauf war sie damit fertig. Und erst im Dezember vorigen Jahres erhöhte sie erstmals ihren Leitzinssa­tz wieder: also zwei Jahre nach Beginn des Ausstiegs aus der Finanzmark­treanimati­on. In der Eurozone ist man davon weit entfernt. Im Frühjahr wird die Europäisch­e Zentralban­k erst entscheide­n, wie sie mit ihrem Billionenp­rogramm zum Kauf privater und staatliche­r Anleihen fortfährt.

Einlagen aufnehmen, Kredite vergeben: Der Kern des Bankwesens ist unter Druck. Trump, Terror, Türkei: Die drei großen Risken des Sommers sind noch immer aktuell.

Und so blicken auch die Notenbanke­r sorgenvoll darauf, wie der Unmut über die stagnieren­den Einkommens­verhältnis­se sich in populistis­chen Erhebungen ballt. „Der IWF sagt verhüllt, aber doch erkennbar, dass in den USA mit dem Kandidaten Trump ein massives Risiko besteht“, erklärte Nowotny. „Der Name Trump wird natürlich nirgends genannt. Aber es wird immer vor populistis­chen, nationalis­tischen Tendenzen gewarnt. Und in den USA ist es ziemlich einfach zu überlegen, wer damit gemeint sein kann.“Im Sommer habe er bei einem Seminar in Yale einen hochrangig­en amerikanis­chen Vertreter diese Warnung ausspreche­n hören: Die größten Risken für die USA und die ganze Welt seien derzeit die drei T – Trump, Terrorismu­s, Türkei. „Das sind die drei Risken, die im Sommer als am wesentlich­sten erschienen sind, und da hat sich nicht viel geändert“, resümierte Nowotny. „Es ist ganz klar, dass so eine Präsidents­chaft ein völlig unberechen­bares Risiko wäre.“

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