KRITIK UND APPELL
Mit resignierter Besorgnis berät man auf der IWF-Herbsttagung über eine Weltwirtschaft, in der minimale Zinsen und politische Umwälzungen echten Aufschwung verunmöglichen.
Das alte Hauptquartier des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist nach drei Jahren Sanierung vom Asbest befreit, im Besprechungsraum, den Notenbankgouverneur Ewald Nowotny für seine Begegnung mit den Journalisten reservieren ließ, versprühten silberne Plastikstühle und orientalisch anmutende Blumengestecke den bemühten Charme eines Raststättenseminarhotels, doch Nowotny hatte wenig Erfreuliches von seinen Unterredungen mit IWF-Chefin Christine Lagarde, ihrem Chefökonomen Maurice Obstfeld und UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber zu berichten: „Die neue Mittelmäßigkeit: In der sind wir. Es ist keine Krise, aber es ist auch kein wirklicher Aufschwung.“
2008, als die Herbsttagung des Fonds knapp nach der Kernschmelze bei Lehman Brothers stattfand, wehte noch ein anderer Wind in diesem Hochamt der Weltfinanz. In Thinktanks wurde darüber debattiert, ob der Euro den Dollar als Weltleitwährung ablösen würde. Eine Schweizer Großbank mietete für einen rauschenden Empfang die Library of Congress, wo mit Blick auf die Bestände von Thomas Jeffersons Handbibliothek Jakobsmuscheln auf Salzblöcken gereicht wurden, und der Champagner nicht zu versiegen schien. Während in New York ehemalige Lehman-BrothersBanker arbeitslos mit ihren Habschaften auf der Straße standen, ging es auf der IWF-Konferenz zu wie auf dem Promenadendeck der Titanic.
Acht Jahre später redet niemand mehr davon, dass der Euro zum neuen Dollar wird; vielmehr ist man froh, dass die Währungsunion ihre Turbulenzen überlebt hat. Dafür ist der Yuan nun Teil des Korbes an Leitwährungen, aus denen der IWF seine hybride Weltwährung erstellt, die sogenannten Sonderziehungsrechte. Und die fortdauernde Niedrigzinspolitik gerät zusehends unter Rechtfertigungsdruck: Die Arznei, die die globale Konjunktur seit dem Ausbruch der großen Rezession am Leben hält, wird zusehends zum lähmenden Gift.
Denn wie sollen Banken nachhaltige Erträge erzielen, wenn der Kern ihres Geschäfts – Einlagen kurzfristig zu niedrigen Zinsen aufnehmen und langfristige Kredite zur höheren Zinsen vergeben – durch Leitzinssätze von null Prozent und weniger verunmöglicht wird? „Dass die Umweltbedingungen für die Banken nicht besonders günstig sind, ist ein Faktum. Da wird die Notenbank nicht einen Crashkurs für die Banker machen können, wie man das bewältigt“, wandte Vizegouverneur Andreas Ittner ein. Und er stellte vor allem den österreichischen Banken die Rute ins Fenster: „Eines ist sicher: In so einer Situation muss ich mich noch intensiver um die Kostensituation kümmern, alle Synergien nutzen, die da sind. In vielen Banken ist noch Potenzial da, um das zu verbessern, das lässt sich nicht leugnen.“ Katastrophe namens Trump. Weniger diplomatisch ausgedrückt: Österreichs Banken haben immer noch nicht jene Schritte zur Modernisierung und Steigerung der Durchschlagskraft ergriffen, die in einer Welt ohne Zinsen, dafür mit technologisch beschleunigten neuen Akteuren nötig wären. In einem Papier über den Zustand der österreichischen Ökonomie und ihrer Finanzwirtschaft hält die Oesterreichische Notenbank beispielsweise en passant fest, dass das „dichte Zweigstellennetz eine der Säulen des Geschäftsmodells der österreichischen Banken“sei, aber „hohe Kosten“verursache. Die Frage, ob Österreich overbanked ist oder nicht, wird seit Jahren ergebnislos hinund hergedreht. Doch wer in den Konzernzentralen in Wien macht sich darüber Gedanken, was passiert, wenn Google, Amazon oder Facebook eines Tages beschließen, dass sie ihren Zahlungsverkehr lieber selbst abwickeln?
Auf eine rasche Trendwende der Zinsen dürfe man jedenfalls nicht hoffen, warnte Nowotny. „Die alten Zeiten“, in denen man von einem Normalzinssatz von rund drei Prozent ausgehen konnte, „sind auf mindestens fünf bis zehn Jahre vorbei. Eine Rück-
„Tut etwas!“
Zum Auftakt der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank forderte IWF-Chefin Christine Lagarde die Regierungen zu mehr Anstrengungen für ein nachhaltigeres Wirtschaftswachstum auf. „Tut etwas!“, appellierte sie an die IWF-Mitgliedsländer.
Deutsche Bank
Während der von Freitag bis heute, Sonntag, dauernden Gespräche standen Europas Banken mehrmals in der Kritik. Lagarde sprach explizit die skandalgebeutelte Deutsche Bank an: Sie legte eine Reform des Geschäftsmodells und eine rasche Einigung mit der US-Justiz nahe. kehr zu so einem Normalzinssatz wird es lang nicht geben.“
Denn ehe sie an der sprichwörtlichen Zinsschraube hantieren, müssten die Zentralbanken zuerst ihre Programme zu Belebung der Anleihenund Aktienmärkte beenden. Am Beispiel der Federal Reserve sieht man, wie lang das selbst unter den günstigen Bedingungen der US-Konjunktur dauert, von deren derzeitiger Vollbeschäftigung Europa weit entfernt ist. Im Dezember 2013 begann sie, ihr Wertpapierkaufprogramm zu drosseln. Im Oktober darauf war sie damit fertig. Und erst im Dezember vorigen Jahres erhöhte sie erstmals ihren Leitzinssatz wieder: also zwei Jahre nach Beginn des Ausstiegs aus der Finanzmarktreanimation. In der Eurozone ist man davon weit entfernt. Im Frühjahr wird die Europäische Zentralbank erst entscheiden, wie sie mit ihrem Billionenprogramm zum Kauf privater und staatlicher Anleihen fortfährt.
Einlagen aufnehmen, Kredite vergeben: Der Kern des Bankwesens ist unter Druck. Trump, Terror, Türkei: Die drei großen Risken des Sommers sind noch immer aktuell.
Und so blicken auch die Notenbanker sorgenvoll darauf, wie der Unmut über die stagnierenden Einkommensverhältnisse sich in populistischen Erhebungen ballt. „Der IWF sagt verhüllt, aber doch erkennbar, dass in den USA mit dem Kandidaten Trump ein massives Risiko besteht“, erklärte Nowotny. „Der Name Trump wird natürlich nirgends genannt. Aber es wird immer vor populistischen, nationalistischen Tendenzen gewarnt. Und in den USA ist es ziemlich einfach zu überlegen, wer damit gemeint sein kann.“Im Sommer habe er bei einem Seminar in Yale einen hochrangigen amerikanischen Vertreter diese Warnung aussprechen hören: Die größten Risken für die USA und die ganze Welt seien derzeit die drei T – Trump, Terrorismus, Türkei. „Das sind die drei Risken, die im Sommer als am wesentlichsten erschienen sind, und da hat sich nicht viel geändert“, resümierte Nowotny. „Es ist ganz klar, dass so eine Präsidentschaft ein völlig unberechenbares Risiko wäre.“