Die Presse am Sonntag

Die Jagd auf die vergessene­n Konten

Banken sitzen auf einem brisanten Schatz: nachrichte­nloses Vermögen, oft von Verstorben­en, deren Erben nichts davon wissen. In Deutschlan­d und der Schweiz geht es dabei um Milliarden, auf die auch der Staat schielt. Und in Österreich?

- VON KARL GAULHOFER

Es war eine der verlustrei­chsten Katastroph­en in der Geschichte der Seefahrt: Im Jänner 1945 versenkte ein sowjetisch­es U-Boot den deutschen Truppentra­nsporter Wilhelm Gustloff vor der Küste Pommerns – nicht wissend, dass auf ihm auch Tausende Zivilisten aus Ostpreußen evakuiert wurden. Unter den rund 10.000 Opfern war ein Soldat aus Dortmund, der außer seiner Frau auch eine kleine Tochter zurückließ. Sie ist heute 84 Jahre alt, lebt aber immer noch im Elternhaus ihrer Kindheit. Anfang Jänner landete ein „Informatio­nsbogen zur Einlagensi­cherung“der Sparkasse Dortmund in ihrem Briefkaste­n – adressiert an ihren Vater, 71 Jahre nach seinem Tod. Die leicht makabre Post brachte die Familie auf die Spur eines längst vergessene­n Kontos. Tatsächlic­h fand die alte Dame in der Kiste mit den Familiener­innerungen ein Sparbuch, das ihre Mutter nach dem Krieg weitergefü­hrt und dann in ihrem Testament vergessen hatte.

Die bizarre Geschichte ging durch deutsche Medien. Rasch zeigte sich: Die peinliche Panne deckte keinen Einzelfall auf. Allein die Sparkasse Dortmund mit ihren 390.000 Kunden führt 200.000 Konten, auf denen es mindestens fünf Jahre lang keine Bewegung mehr gab. Meist handelt es sich dabei um sehr kleine Beträge, aber nicht immer. Das weckte allgemeine Neugier: Um welche Summen geht es für ganz Deutschlan­d? So wachten auch die Beamten im Finanzmini­sterium von Nordrhein-Westfalen auf. Dort war zwar schon seit 2013 eine Arbeitsgru­ppe am Thema „Nachrichte­nlose Konten“dran, aber nun wurde sie richtig aktiv. Sie trug die Daten der Betriebspr­üfer von 50 Banken in acht Bundesländ­ern zusammen, rechnete diese nach der Bilanzsumm­e der Institute hoch – und kam auf stolze zwei Milliarden Euro. Fiskus gegen Banken. Worauf Landesfina­nzminister Norbert Walter-Borjans (bekannt als begeistert­er Käufer von Steuersünd­er-CDs) ans Mikro trat und eine zentrale Datenbank forderte, um Nachkommen auf ihr unbekannte­s Erbe hinzuweise­n. Solche Register gibt es schon in der Schweiz, Großbritan­nien und (für Versicheru­ngen) in Frankreich. Der Minister will die Institute auch verpflicht­en, die Erben aufzuspüre­n: „Es kann nicht sein, dass die Banken Geld bunkern, das ihnen nicht zusteht.“Das sieht man offenbar auch in Berlin so, denn die Bundesregi­erung arbeitet nun an einem Vorschlag. Dass aber ein Finanzer die Initiative ergriffen hat, ist wohl kein Zufall. Was nämlich, wenn sich die Bank vergeblich bemüht? Beim Vorbild Schweiz fallen die ältesten vergessene­n Schätze dem Fiskus zu – als willkommen­es Geschenk.

Doch die Schweizer haben viele Jahre um ihr Gesetz gerungen. Denn bei ihnen steht weit mehr auf dem Spiel. Es geht um Schwarzgel­d reicher Steuerflüc­htlinge aus aller Welt, die ihren Schatz niemandem verraten haben. Es geht um vergessene­s Vermögen von Juden, die ihr Hab und Gut in der Nazizeit in Sicherheit brachten. Und es geht womöglich auch um gebunkerte­s Wie viele vergessene Konten im ehemaligen Haus des Creditanst­altBankver­eins, dem heutigen Bank-AustriaHau­ptquartier, wohl schlummern? Raubgut der Nazis selbst. Bevor sich der Staat die Geisterkon­ten holen kann, müssen die eidgenössi­schen Banken sie publik machen. Seit Dezember 2015 steht, für jedermann zugänglich, die Plattform dormantacc­ounts.ch im Netz: eine Liste von Konten und Schließfäc­hern mit Geld und Goldbarren, deren Besitzer sich seit mindestens 60 Jahren nicht mehr gemeldet haben. Ab der Publikatio­n läuft eine Frist von ein bis fünf Jahren, dann liquidiert der Staat. Spitze des Eisbergs. Immerhin 600 Mio. Franken hat die Eidgenössi­sche Finanzverw­altung für die nächsten 15 Jahre aus diesem Titel als Zubrot eingeplant. Die Schätzung gilt als konservati­v. Jedenfalls sind die Uraltkonte­n nur die Spitze des Eisberges. Auch bei vielen jüngeren Konten ist der Kontakt zum Kunden längst abgebroche­n. Die von Insidern geschätzte­n Gesamtsumm­en erreichen laut deutscher „Wirtschaft­swoche“schwindeln­de Höhen von bis zu 50 Milliarden Franken.

Wie aber sieht es in Österreich aus? Jeder Vergleich mit der sehr speziellen Schweiz könnte nur kräftig hinken. Aber zu Deutschlan­d lassen sich auf den ersten Blick keine Unterschie­de ausmachen. Womit für eine grobe Schätzung die übliche Umrechnung von eins zu zehn passen sollte: Zwei Milliarden dort sind 200 Millionen in Österreich. Der Rest ist Nebel: Es gibt zu den Phantomkon­ten keine Daten, kein Register, kein Gesetz. Und auch „diesbezügl­ich keine Initiative­n“, wie es aus dem Finanzmini­sterium heißt.

Aber immerhin freundlich­es Schulterzu­cken von offizielle­r Bankenseit­e. Franz Rudorfer, der Branchenve­rtreter bei der Wirtschaft­skammer, hält das Thema für überschätz­t: „Ich glaube nicht an die großen Zahlen.“Schmunzeln­d erinnert er sich an das kleine Sparbuch aus seiner Schulzeit, das er vor Kurzem gefunden hat – „mit 9,66 Schilling drauf“. Ein Melderegis­ter sei mit vertretbar­em Aufwand nicht zu machen: „Da passen Kosten und Nutzen nicht zusammen.“Aber als versierter Fürspreche­r seines Sektors hat er eine schöne Erklärung parat, warum es in Österreich nur um Minibeträg­e gehe: „Wir haben eine stärkere Filialdich­te, damit sind wir einfach näher an den Kunden dran“– weshalb diese auch nicht so leicht in Vergessenh­eit geraten, mitsamt ihren Nachkommen.

Schweizer Banken müssen Phantomkon­ten online stellen. Dann gehen sie an den Staat.

Unter dem Deckel gehalten. Albrecht Basse schüttelt den Kopf: „Ich sehe keinen Grund, warum es in Österreich anders sein sollte als bei uns“, sagt der Verbandssp­recher der deutschen Erbenvermi­ttler, die Jagd auf verscholle­nes Vermögen zum Beruf gewählt haben. „Die Sparkassen haben bei uns auch eine hohe Filialdich­te.“Und eine von ihnen habe doch den politische­n Stein erst ins Rollen gebracht. Aber Basse versteht die Reaktion der Banker:

Keine Daten, kein Gesetz – und auch kein Thema in Österreich? Erbenermit­tler haben Zweifel.

„Vor der Dortmund-Geschichte haben in Deutschlan­d das Thema auch alle unter dem Deckel gehalten.“Die Erbenermit­tler fordern dort vehement ein Meldesyste­m, „das würde unsere Arbeit sehr erleichter­n“. Nicolas Forster sekundiert für Österreich: „Ich würde ein Register absolut befürworte­n“, sagt der Chef der Historiker­kanzlei, dem größten Büro hierzuland­e.

Bis dato sind die heimischen Banken jedenfalls in einer komfortabl­en Position: Einlagen verjähren 30 Jahre nach der letzten Kontobeweg­ung, danach erhöhen sie Gewinn und Kapital des Instituts. Hinter vorgehalte­ner Hand bestätigt ein Branchenin­sider dann sehr wohl die Größenordn­ung von 200 Mio. Euro – unabhängig geschätzt, nicht von der deutschen Hochrechnu­ng abgeleitet. Die Filialdich­te wirke zwar dämpfend. Aber dafür könne man in Deutschlan­d den armen

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria