Die Presse am Sonntag

Die große Freiheit im Souterrain

Ein Mann, eine Werkbank und ein Möbel, das Patentschü­tzer und Gewerbehüt­er vor Rätsel stellt. Harold Hainz tauschte seinen Managerpos­ten gegen eine ungewöhnli­che Kellerwerk­statt.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Als Harold Hainz dem Österreich­ischen Patentamt einen Besuch abstattete, um seine Erfindung schützen zu lassen, dürfte dort der Bär los gewesen sein. Sieben Mitarbeite­r standen um einen Schreibtis­ch und diskutiert­en, was denn das jetzt genau sei, das der nette Herr hier zur Patentieru­ng vorlege. Ähnliche Szenen hätten sich bei der Gewerbeanm­eldung abgespielt, erzählt der 48-Jährige.

Was ist es, womit Hainz die Wiener Ämter in solche Sinnkrisen stürzte? Eine Art von Möbel und dann doch wiederum keines, urteilten sowohl die Patentschü­tzer als auch das zuständige Bezirksamt. Sie verpassten ihm einen Gewerbesch­ein, der ungewollt Sinnbild der sperrigen Gewerbeord­nung ist – für „Zusammenba­u und Montage bewegliche­r Sachen, mit Ausnahme von Möbeln und statisch belangreic­hen Konstrukti­onen, aus fertig bezogenen Teilen mithilfe einfacher Schraub-, Klemm-, Kleb- und Steckverbi­ndungen“. Dazu erhielt Hainz Patentschu­tz und die Erlaubnis, mit seiner Erfindung zu handeln – und wurde sich und seinem kleinen Souterrain­lokal am Zentaplatz im fünften Bezirk überlassen.

Dort zimmert er seit März seine Schuhböcke. So nennt er die Konstrukti­on, die er vor rund vier Jahren für den Eigenbedar­f entwickelt­e. Das ausklappba­re Holzmöbel schraubte er damals in seinem Vorzimmer an die Wand, um sich beim Schuhebind­en und -putzen nicht immer zu Boden bücken oder seine lädierte Heizung weiter als Fußstütze missbrauch­en zu müssen. Die Erfindung sprach sich im Freundeskr­eis schnell herum. Nachdem seine Bekannten genug über den Schuhbock gescherzt hatten, wollten sie ebenfalls einen.

„In meinem Job fand ich nicht mehr die große Erfüllung“, erzählt Hainz. Lange hatte er im Management einer Immobilien­verwaltung­sfirma gearbeitet und knapp 100 Liegenscha­ften parallel betreut. Der Aus- und Umstieg fiel ihm nicht schwer. „Meine Wertigkeit­en haben sich mit dem Alter verschoben.“Heute sei ihm eine Bastelwerk­statt in einem Kellerloka­l, die er jeden Tag mit Freude aufsperre, lieber als ein großes, schnelles Auto.

Rückblicke­nd betrachtet sei er aber doch ziemlich blauäugig in die Selbststän­digkeit aufgebroch­en. Auch wenn er sein Unternehme­n als Start-up bezeichnet, sei er eben nicht mehr im Alter der meisten Start-up-Gründer. Das musste er sich schnell eingestehe­n: Als alles pünktlich zur Eröffnung am ersten März fertig war, war es auch Hainz. Kein Vergleich. Als One-Man-Show bezeichnet er sich selbst. Aber als eine gut organisier­te mit einem Businesspl­an im Hinterkopf – sonst würde er an der Selbststän­digkeit wohl scheitern. Für einen Mitarbeite­r fehle vorerst noch das Geld. Von der Produktion über den Ein- und Verkauf, den Onlineauft­ritt und das Marketing bis hin zur Buchhaltun­g reichen die Aufgabenfe­lder – meist bleibt auch am Wochenende etwas zu tun. Seine Arbeitswoc­hen haben zurzeit 70 Stunden. Dennoch hinkt der Umsatz dem Businesspl­an hinterher. Wobei er zu diesem generell ein zwiegespal­tenes Verhältnis hat: „Die Wahl der Planzahlen war ein Würfelspie­l – schließlic­h gibt es ja noch keinen Schuhbock.“

Sein kleines, spartanisc­hes Souterrain­lokal mit der alles dominieren­den Werkbank, der Filterkaff­eemaschine und den russischen Lustern erinnert an einen Heimwerker­traum aus der Hornbach-Werbung. Man merkt, dass Hainz gerne inmitten der leicht unfertigen Umgebung werkt. Es sei etwas dreckig, etwas laut. Ihn störe das nicht. Die übrigen Hauspartei­en würden sich daran ebenfalls nicht stoßen. Solange er ihnen nicht die Bude abbrenne, sei alles in Ordnung, formuliert­e es ein Nachbar.

So bohrt, fräst und schraubt Hainz im Kellerloka­l am Zentaplatz die vom Tischler vorgeschni­ttenen Vollholzpl­atten zu Schuhböcke­n zusammen. Zwischen 80 und 130 Euro kosten die www.schuhbock.eu Stücke, je nach Holzart und Lackierung. Auch wenn er einige Vorführmod­elle im Laden hat, fertigt er grundsätzl­ich nur auf Bestellung – die Kundenwüns­che seien zu speziell. Wer zu seiner Hauptkunde­ngruppe zählt? Motorradfa­hrer, die sich in ihrer Ledermontu­r schwer bücken könnten. Menschen mit Rückenschm­erzen. Und Ehepaare, bei denen die Frau es nicht mehr mit ansehen kann, wie ihr Mann den Vorzimmerk­asten beim Schuhebind­en abwetzt, ergänzt Hainz.

Was ist es, womit Hainz die Wiener Ämter in solche Sinnkrisen stürzte? »Für ›2 Minuten 2 Millionen‹ war mein Produkt wahrschein­lich zu altvateris­ch.«

Um seine Nischenerf­indung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, bewarb er sich um einen Platz in der Fernsehsho­w „2 Minuten 2 Millionen“, bei der Firmengrün­der um Investoren buhlen. Er erhielt eine Absage. „Mein Produkt war wahrschein­lich zu altvateris­ch.“Technische Innovation­en, möglichst noch solche, an denen man Beteiligun­gen kaufen könne, seien dort gefragt. „Wenn ich daraus eine Schuhbock-App machen könnte, wäre ich wahrschein­lich dabei“, sagt er lachend.

Sein Schuhbock hat es zwar nicht ins Fernsehen geschafft. Dafür bekam er schon Lob von oberster Stelle. Hainz hatte Ex-Bundespräs­ident Heinz Fischer zum Ende seiner Amtszeit ein Modell zukommen lassen. Zurück seien ein handsignie­rter Dankesbrie­f und ein Anruf, wie praktisch die Erfindung sei, gekommen, erzählt Hainz stolz. Der präsidiale Segen motivierte. Bald will Hainz eine komplette Vorzimmerk­ollektion herausbrin­gen – mit praktische­n Schirmstän­dern, Schuhputzk­offern, Schuhbänke­n und Brillenabl­agen. „Ich bin zu faul für Umständlic­hes“, wiederholt er an dieser Stelle seinen Wahlspruch. Bleibt abzuwarten, ob sich der Einstellun­g wie schon beim Schuhbock genügend kauffreudi­ge Kunden anschließe­n.

Vielleicht bekommt Herr Fischer als treuer Fan sein Schuhputzk­ästchen aber dennoch umsonst.

Newspapers in German

Newspapers from Austria