Die große Freiheit im Souterrain
Ein Mann, eine Werkbank und ein Möbel, das Patentschützer und Gewerbehüter vor Rätsel stellt. Harold Hainz tauschte seinen Managerposten gegen eine ungewöhnliche Kellerwerkstatt.
Als Harold Hainz dem Österreichischen Patentamt einen Besuch abstattete, um seine Erfindung schützen zu lassen, dürfte dort der Bär los gewesen sein. Sieben Mitarbeiter standen um einen Schreibtisch und diskutierten, was denn das jetzt genau sei, das der nette Herr hier zur Patentierung vorlege. Ähnliche Szenen hätten sich bei der Gewerbeanmeldung abgespielt, erzählt der 48-Jährige.
Was ist es, womit Hainz die Wiener Ämter in solche Sinnkrisen stürzte? Eine Art von Möbel und dann doch wiederum keines, urteilten sowohl die Patentschützer als auch das zuständige Bezirksamt. Sie verpassten ihm einen Gewerbeschein, der ungewollt Sinnbild der sperrigen Gewerbeordnung ist – für „Zusammenbau und Montage beweglicher Sachen, mit Ausnahme von Möbeln und statisch belangreichen Konstruktionen, aus fertig bezogenen Teilen mithilfe einfacher Schraub-, Klemm-, Kleb- und Steckverbindungen“. Dazu erhielt Hainz Patentschutz und die Erlaubnis, mit seiner Erfindung zu handeln – und wurde sich und seinem kleinen Souterrainlokal am Zentaplatz im fünften Bezirk überlassen.
Dort zimmert er seit März seine Schuhböcke. So nennt er die Konstruktion, die er vor rund vier Jahren für den Eigenbedarf entwickelte. Das ausklappbare Holzmöbel schraubte er damals in seinem Vorzimmer an die Wand, um sich beim Schuhebinden und -putzen nicht immer zu Boden bücken oder seine lädierte Heizung weiter als Fußstütze missbrauchen zu müssen. Die Erfindung sprach sich im Freundeskreis schnell herum. Nachdem seine Bekannten genug über den Schuhbock gescherzt hatten, wollten sie ebenfalls einen.
„In meinem Job fand ich nicht mehr die große Erfüllung“, erzählt Hainz. Lange hatte er im Management einer Immobilienverwaltungsfirma gearbeitet und knapp 100 Liegenschaften parallel betreut. Der Aus- und Umstieg fiel ihm nicht schwer. „Meine Wertigkeiten haben sich mit dem Alter verschoben.“Heute sei ihm eine Bastelwerkstatt in einem Kellerlokal, die er jeden Tag mit Freude aufsperre, lieber als ein großes, schnelles Auto.
Rückblickend betrachtet sei er aber doch ziemlich blauäugig in die Selbstständigkeit aufgebrochen. Auch wenn er sein Unternehmen als Start-up bezeichnet, sei er eben nicht mehr im Alter der meisten Start-up-Gründer. Das musste er sich schnell eingestehen: Als alles pünktlich zur Eröffnung am ersten März fertig war, war es auch Hainz. Kein Vergleich. Als One-Man-Show bezeichnet er sich selbst. Aber als eine gut organisierte mit einem Businessplan im Hinterkopf – sonst würde er an der Selbstständigkeit wohl scheitern. Für einen Mitarbeiter fehle vorerst noch das Geld. Von der Produktion über den Ein- und Verkauf, den Onlineauftritt und das Marketing bis hin zur Buchhaltung reichen die Aufgabenfelder – meist bleibt auch am Wochenende etwas zu tun. Seine Arbeitswochen haben zurzeit 70 Stunden. Dennoch hinkt der Umsatz dem Businessplan hinterher. Wobei er zu diesem generell ein zwiegespaltenes Verhältnis hat: „Die Wahl der Planzahlen war ein Würfelspiel – schließlich gibt es ja noch keinen Schuhbock.“
Sein kleines, spartanisches Souterrainlokal mit der alles dominierenden Werkbank, der Filterkaffeemaschine und den russischen Lustern erinnert an einen Heimwerkertraum aus der Hornbach-Werbung. Man merkt, dass Hainz gerne inmitten der leicht unfertigen Umgebung werkt. Es sei etwas dreckig, etwas laut. Ihn störe das nicht. Die übrigen Hausparteien würden sich daran ebenfalls nicht stoßen. Solange er ihnen nicht die Bude abbrenne, sei alles in Ordnung, formulierte es ein Nachbar.
So bohrt, fräst und schraubt Hainz im Kellerlokal am Zentaplatz die vom Tischler vorgeschnittenen Vollholzplatten zu Schuhböcken zusammen. Zwischen 80 und 130 Euro kosten die www.schuhbock.eu Stücke, je nach Holzart und Lackierung. Auch wenn er einige Vorführmodelle im Laden hat, fertigt er grundsätzlich nur auf Bestellung – die Kundenwünsche seien zu speziell. Wer zu seiner Hauptkundengruppe zählt? Motorradfahrer, die sich in ihrer Ledermontur schwer bücken könnten. Menschen mit Rückenschmerzen. Und Ehepaare, bei denen die Frau es nicht mehr mit ansehen kann, wie ihr Mann den Vorzimmerkasten beim Schuhebinden abwetzt, ergänzt Hainz.
Was ist es, womit Hainz die Wiener Ämter in solche Sinnkrisen stürzte? »Für ›2 Minuten 2 Millionen‹ war mein Produkt wahrscheinlich zu altvaterisch.«
Um seine Nischenerfindung einem breiteren Publikum bekannt zu machen, bewarb er sich um einen Platz in der Fernsehshow „2 Minuten 2 Millionen“, bei der Firmengründer um Investoren buhlen. Er erhielt eine Absage. „Mein Produkt war wahrscheinlich zu altvaterisch.“Technische Innovationen, möglichst noch solche, an denen man Beteiligungen kaufen könne, seien dort gefragt. „Wenn ich daraus eine Schuhbock-App machen könnte, wäre ich wahrscheinlich dabei“, sagt er lachend.
Sein Schuhbock hat es zwar nicht ins Fernsehen geschafft. Dafür bekam er schon Lob von oberster Stelle. Hainz hatte Ex-Bundespräsident Heinz Fischer zum Ende seiner Amtszeit ein Modell zukommen lassen. Zurück seien ein handsignierter Dankesbrief und ein Anruf, wie praktisch die Erfindung sei, gekommen, erzählt Hainz stolz. Der präsidiale Segen motivierte. Bald will Hainz eine komplette Vorzimmerkollektion herausbringen – mit praktischen Schirmständern, Schuhputzkoffern, Schuhbänken und Brillenablagen. „Ich bin zu faul für Umständliches“, wiederholt er an dieser Stelle seinen Wahlspruch. Bleibt abzuwarten, ob sich der Einstellung wie schon beim Schuhbock genügend kauffreudige Kunden anschließen.
Vielleicht bekommt Herr Fischer als treuer Fan sein Schuhputzkästchen aber dennoch umsonst.