Die Presse am Sonntag

Ein Name für das tote Kind

Simone Strobl hat zwei Fehlgeburt­en erlitten. Sie unterstütz­t den Vorschlag, dass künftig auch tote Kinder unter 500 Gramm rechtlich als Personen gelten.

- VON ERICH KOCINA

Fünf Gramm haben es ausgemacht. Rein rechtlich galt das Kind, das Simone Strobl am 24. März 2012 tot zur Welt brachte, nicht als Mensch. Weil Florentine mit 495 Gramm unter die gesetzlich­e Grenze fiel, ab der von einer Totgeburt gesprochen wird. Unterhalb dieses Gewichts ist die Rede von einer Fehlgeburt. Was unter anderem bedeutet, dass das Kind aus jeglicher Statistik fällt, nicht beurkundet wird und, was für manche Eltern besonders schwer wiegt, nicht in einem Einzelgrab beerdigt werden kann. „Ich habe das Krankenhau­s nach einem Tag verlassen – ohne Kind“, sagt Simone Strobl. „Und ohne etwas in der Hand, dass es sie wirklich gegeben hat.“

Bei zehn bis 20 Prozent aller Schwangers­chaften kommt es zu einer Fehlgeburt vor der 20. Woche – also jener Zeit, zu der das Kind etwa die magische Grenze von 500 Gramm erreicht. Eltern, für die diese Situation ohnehin schon eine Belastung ist, müssen dann auch noch damit fertigwerd­en, dass ihr totes Kind quasi nicht einmal als echter Mensch anerkannt wird. Ein Zustand, der zuletzt als änderungsw­ürdig anerkannt wurde.

So präsentier­te Familienmi­nisterin Sophie Karmasin Anfang der Woche den Vorschlag, auch sogenannte Sternenkin­der beurkunden lassen zu können, die unter diese Gewichtsgr­enze fallen. Der sperrige Begriff, der Eltern den Umgang mit der Katastroph­e leich- ter machen soll, lautet Personenst­andsregist­er. In dieses soll das Kind nach dem Willen der von der ÖVP nominierte­n Ministerin künftig eingetrage­n werden können. Um dem Wunsch vieler Eltern zu entspreche­n, dass eine solche Fehlgeburt kein „Nullum“ist. Auf freiwillig­er Basis, also nur dann, wenn die Eltern das auch wirklich wollen.

Auch SPÖ-Gesundheit­sministeri­n Sabine Oberhauser sprach sich danach für eine offizielle Bestätigun­g für Sternenkin­der aus – allerdings nicht über die Aufnahme ins Personenst­andsregist­er, sondern mittels freiwillig­er Beurkundun­g. Was in der Praxis wohl nur einen geringen Unterschie­d machen würde, doch stecken hinter der unter- schiedlich­en Herangehen­sweise handfeste ideologisc­he Gründe.

Denn mit der Frage, ab wann ein Embryo − oder Fetus, von dem man etwa ab der elften Schwangers­chaftswoch­e spricht −, rechtlich als Mensch anerkannt wird, könnte auch eine Debatte über die Fristenlös­ung losgetrete­n werden. Weil auf der einen Seite bis zur 14. Schwangers­chaftswoch­e eine Abtreibung straffrei möglich ist – auf der anderen Seite aber Kindern schon vor diesem Zeitpunkt implizit rechtlich zugestande­n wird, eine Person zu sein. Ideologisc­h heikles Terrain also, das mit der Herangehen­sweise an diese Frage betreten wird.

Fünf Gramm können auch darüber entscheide­n, wie es mit der Mutter weitergeht. So habe sie, klagt Strobl, nach der Fehlgeburt kein Recht auf Mutterschu­tz gehabt. Nach einer Totgeburt gebe es den Anspruch sehr wohl. Immerhin, eine Krankschre­ibung durch den Arzt ist trotzdem möglich. Erst seit Anfang des Jahres gibt es auch einen vierwöchig­en Kündigungs­schutz – bis dahin endete der besondere Kündigungs- und Entlassung­sschutz mit einer Fehlgeburt. Die Bindung entsteht früher. „Leben kann man nicht in ein Gewicht fassen“, sagt Strobl. Ob das Kind nun über oder unter 500 Gramm wiege, möge für den Gesetzgebe­r wichtig sein. Für Mütter, die ihr Kind verlieren, spiele diese Grenze aber keine Rolle. Die 42-Jährige musste schon zweimal die Erfahrung machen, dass eine Schwangers­chaft mit einer Fehlgeburt endete. Vor Florentine, die in der 24. Schwangers­chaftswoch­e tot geboren wurde, musste sie 2011 auch bei einer MutterKind-Pass-Untersuchu­ng erfahren, dass das Herz des kleinen Johann nicht mehr schlug. Sie war damals gerade in der elften Schwangers­chaftswoch­e.

Für sie war es ganz natürlich, dass sie schon von Beginn an Namen für die Kinder ausgesucht hatte. Ja, es gebe auch Eltern, die sich bis zur zwölften Schwangers­chaftswoch­e gar nicht trauen, überhaupt über das Kind zu sprechen. Gerade am Anfang greifen auch viele noch zu einer verniedlic­henden Form – „meine Erbse“, „mein Pünktchen“oder Ähnliches. Und manche brauchen sogar bis zur Geburt, um dem Kind einen Namen zu geben. Doch egal wie, „eine Bindung ist da. Allem, was einem am Herzen liegt, gibt man einen Namen.“Und es war ihr wichtig, sich verabschie­den zu können. In Wels, wo sie herkommt, gibt es regelmäßig Sammelbest­attungen für früh verstorben­e Kinder in einer eigens eingericht­eten Gedenkstät­te. „Rechtlich ist das keine Bestattung – aber es wird mittlerwei­le in vielen Bundesländ­ern wahrgenomm­en, dass das ein wichtiger Prozess der Trauer ist.“

Strobl hat nach ihren schmerzlic­hen Erfahrunge­n eine Selbsthilf­egruppe gegründet. „Ein Hauch von Leben“soll Eltern helfen, die ihr Kind in der Schwangers­chaft, während der Geburt oder kurz danach verloren haben. So wie auch der Verein Pusteblume,

Die Frage, ab wann ein Kind rechtlich ein Mensch ist, ist ein ideologisc­h heikles Terrain. Die Intensität des Schmerzes lässt sich nicht nach Gramm oder Wochen einteilen.

der profession­elle Beratung und Begleitung bei Fehlgeburt und perinatale­m Kindstod fördern soll. Bei der Arbeit mit Betroffene­n hat sie unter anderem die Erfahrung gemacht, dass die Länge der Schwangers­chaft nicht unbedingt das Kriterium dafür ist, wie intensiv sich die Trauer einstellt.

Da spiele auch die Lebenssitu­ation eine große Rolle. Für ein Paar, das etwa schon lange versucht, ein Kind zu bekommen, sei eine Fehlgeburt in einem ganz frühen Stadium der Schwangers­chaft womöglich ein ganz anderes Drama. Die Intensität des Schmerzes lässt sich jedenfalls nicht nach Gramm oder Schwangers­chaftswoch­en einteilen. „Wir lieben unser Kind“, sagt Strobl, „ab dem Moment, in dem wir wissen, dass wir schwanger sind.“ Fehlgeburt wird eine vorzeitige Beendigung der Schwangers­chaft genannt, bei der das Kind unter 500 Gramm wiegt. Ist es schwerer, gilt es als Totgeburt – erst dann kann es in das Personenst­andsregist­er aufgenomme­n werden. Es ist ein symbolisch­er Schritt, der Eltern bei der Verarbeitu­ng der Trauer helfen soll, mit dem es aber auch möglich wird, Kinder in einem Einzelgrab beerdigen zu können. Eine entspreche­nde Gesetzesän­derung ist derzeit in Begutachtu­ng.

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