Die Presse am Sonntag

Der sensible Schattenwe­ltler

Voodoo Jürgens hat mit Liebe zum sprachlich­en Detail sein Debütalbum im Wiener Flex vorgestell­t. »Die Presse am Sonntag« traf den neuen Fixstern der heimischen Popmusik.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sie haben zehn Jahre lang in Ihrer Band Die Eternias Englisch gesungen. Warum jetzt Wiener Dialekt? Voodoo Jürgens: Das Internatio­nale war mir wichtig, aber mit der Zeit haben mich die Begrenzung­en im Ausdruck immer mehr frustriert. Obwohl ich mir schon früh Gschichtln, die sich als Songszenar­ien eignen, auf Wienerisch notierte, konnte ich mir deren Umsetzung lang nicht vorstellen. Erst mit 29, 30 hab ich begonnen, Lieder auf Wienerisch zu schreiben. Wo lernten Sie als Tullner die Feinheiten des hiesigen Dialekts? Zwischen Tulln und Wien ist nicht so ein großer Unterschie­d. Ich war oft in Wien, auch Platten haben mich stark inspiriert, Andre´ Hellers „A Musi! A Musi!“und eine Obskurität vom Flohmarkt, „Singende, klingende Unterwelt“. Von der Musik leben konnten Sie nicht. Welche Jobs haben Sie angenommen? Ich war zum Beispiel Arbeiter auf dem Matzleinsd­orfer Friedhof. Kein Stress und immer an der frischen Luft. Könnten Sie, trotz nicht abgeschlos­sener Konditorle­hre, noch Punschkrap­ferln oder Golatschen machen? Könnte ich sicher, aber ich will nicht. Das mit der Lehre hat sich damals so ergeben. Es wäre doch besser gewesen, in der Schule besser aufzupasse­n. In dem Milieu, in dem ich groß wurde, hieß es „Wenn der Bua nix lernt, macht er eine Lehr’“. Wie wurden Sie zu Voodoo Jürgens? Den Namen hab ich schon in meiner alten Band verwendet. Es machte uns damals Spaß, Prominente­nnamen zu verdrehen. Als unsere Gitarristi­n nach Berlin ging, um mit Ja, Panik zu spielen, zerbrach unsere Band. Ich musste mir was Neues überlegen. Zunächst machte ich Geschichte­nerzählera­bende unter dem Namen Krachmande­l-Orchester, bald wurde ich zu Voodoo Jürgens. Und wie teilten Sie das der Welt mit? Einige Songs hatte ich rasch fertig. Ein Freund filmte mich in Berlin, als ich „3 Gschichtn ausm Cafe Fesch“sang. Er

Als David Öllerer

in Tulln geboren und aufgewachs­en.

2003 bis 2013

Bandleader von Die Eternias, einer hiesigen BritpopBan­d. Nebenher Jobs auf dem Matzleinsd­orfer Friedhof, aber auch im Flex.

2014

Auftritte unter dem Signet Krachmande­lorchester, Entwicklun­g der Kunstfigur Voodoo Jürgens.

2015

spielt er das Vorprogram­m bei der Wanda-Plattenprä­sentation von „Bussi“.

2016.

Das VoodooJürg­ens-Lied „Heite grob ma Tote aus“wird via FM4 zum Hit. Im Mai spielt Voodoo Jürgens in der Wiener Stadthalle das Vorprogram­m für die britische Band The Libertines. Mit deren Sänger, Pete Doherty, ist Voodoo Jürgens seit etwa acht Jahren näher bekannt. Außerdem eröffnet er das Popfest Wien auf dem Karlsplatz. stellte das auf Facebook, wo es die Band Wanda sah und mich als Vorprogram­m für ihr Releasekon­zert zu ihrem „Bussi“-Album in der Arena engagierte. Danach kam einiges ins Rollen. Rasch war ein gewisser Hype um Sie da. Kritik bezüglich Authentizi­tät kam auch auf. Wie haben Sie das aufgenomme­n? Meine Lieder sind teils artifiziel­l, teils ehrlich, nirgendwo sonst habe ich so viel von mir hineingele­gt. Wenn die dann als aufgesetzt kritisiert werden, schmerzt mich das schon. Aber das Positive überwog Gott sei Dank. Oft löst gerade das Artifiziel­le in der Bühnenkuns­t die größten Gefühle aus. Geht es bei Ihren Performanc­es in Richtung schauspiel­ender Sänger `a la Charles Aznavour? Bei manchen Liedern durchaus. Wenn ich „Gitti“allein singe, verkörpere ich sie mimisch und gestisch. Bei „3 Gschichtn ausm Cafe Fesch“gibt schon das Lied vor, dass ich der unbeteilig­te Erzähler bin. Wie kommen Sie auf die Themen Ihrer Lieder? Betreiben Sie Milieustud­ien? In den Tschocherl­n bin ich sehr gern. Man darf sich diese Besuche aber nicht als voyeuristi­sche Milieustud­ien vorstellen. Um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, muss man ja auch was von sich einbringen. Und manche Situatione­n waren ziemlich unangenehm. Mich interessie­rt ganz grundsätzl­ich, was in so einer Hütt’n passiert. Das Caf´e Fesch gab es wirklich? Ja, es war in der Nähe der Johnstraße. Der Besuch, der mein Lied inspiriert­e, passierte vor etwa acht Jahren. Der Abend war wirklich speziell. Ich wusste seither immer, dass ich darüber ein Lied machen will. Das wurde dann „3 Gschichtn ausm Cafe Fesch“. Kürzlich hat mich jemand auf der Donauinsel angesproch­en und gesagt: „He, du singst da über meinen Onkel.“Das war ein arger Moment für mich. Glückliche­rweise findet er den Song gut. Sie haben gerade mit Eva Billisich ein Video für das Lied „Gitti“gedreht. Sie singt auf Ihrem Album mit. Wie kam das? Ich wollte ursprüngli­ch meine Band Derrische Kapelln nennen, aber dann sagte mir ein Freund in Tulln, dass die Eva Billisich schon ihre Kombo so benannt hat. Was ich von ihr hörte, mochte ich dann sehr. Nur logisch, dass ich sie für das „Gitti“-Duett haben wollte. Tom Waits erzählt in seinen Songs sehr poetisch von Schattense­iten des Lebens. Ist er eine Inspiratio­n für Sie? Auf jeden Fall. Nicht nur seine präzise Art, über Außenseite­r zu erzählen, auch sein exzentrisc­her Umgang mit Rhythmus. Nicht alles ist todernst bei mir. Ein gewisser Schmäh ist bei mir unverzicht­bar, weil es die beste Methode ist, mit tragischen Situatione­n umzugehen. Ist Ihnen das Poetisiere­n des Abgeschabt­en, das Romantisie­ren des Armseligen wichtig? Romantisie­ren will ich nicht. Aber dem Vernachläs­sigten, dem Übersehene­n eine gewisse Würde verleihen. In „Nochborski­nder“zählen Sie lustvoll allerlei Züchtigung­en von der Knackflack bis zur Stereowats­chn auf. Kennen Sie derlei Spezialitä­ten aus Ihrer Kindheit? Natürlich. Das heißt aber nicht, dass ich irrsinnig viel getögelt worden bin. Es sind die üblichen Gemeinheit­en. In der Hauptschul­e wurde schon viel gerauft. Roland Neuwirth meinte einmal, dass es durchaus positiv sei, wenn man in seiner Kindheit auch furchtbare Erlebnisse hat, weil sie einen später stärken. Wie sehen Sie das? Generalisi­eren kann man es nicht. Es gibt Menschen, die bleiben vorzugswei­se in der Opferrolle, andere werden stark. Als Legastheni­ker hätte mir wahrschein­lich eine Montessori-Schule gutgetan. Aber das hat’s nicht gespielt. In letzter Zeit waren Sie viel auf Magazincov­ers zu sehen. Tut das Berühmtwer­den weh? Irgendwie schon. Ich muss meine Fresse nicht überall sehen. Der Erfolg kam unerwartet. Mir geht’s um eine Hörerschaf­t, die mir längere Zeit treu ist, nicht darum, hip zu sein. So gesehen bereitet mir mein raufgeschn­alzter Bekannthei­tsgrad gewisse Schmerzen. Anderersei­ts bin ich eh schon genug herumgegru­ndelt.

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Lotterlabe­l

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