Die Presse am Sonntag

Raus aus der Schmuddele­cke: Shunga-Revival!

Diethard Leopold, Sohn von Sammler Rudolf, zeigt mit dem MAK ab Mittwoch die erste große Ausstellun­g japanische­r Erotikbild­er, Shunga, im deutschspr­achigen Raum. Eine Wiederentd­eckung, geschuldet der Geschlecht­ergleichbe­rechtigung?

- VON ALMUTH SPIEGLER

Im neuen Schiele-Film „Tod und Mädchen“scheint alles ganz klar: Egon Schiele hatte selbstvers­tändlich farbige Shunga-Blätter gleich neben dem Bett liegen, die er zwecks Inspiratio­n studierte. Shunga ist sozusagen das ostasiatis­che Kamasutra, es sind erotische, auch pornografi­sche, also explizit den Geschlecht­sakt zeigende Farbholzsc­hnittserie­n. „Frühlingsb­ilder“lautet die Übersetzun­g, man kann sich den Zusammenha­ng denken. Ab Mitte des 17. Jahrhunder­ts fanden sie dank der neuen Drucktechn­ik rasende Verbreitun­g in Japan. Mit Öffnung des Landes gen Westen kamen sie Ende des 18. Jahrhunder­ts auch nach Europa, wo man die hier ungewöhnli­ch direkte, unverstell­te Abbildung von Geschlecht­sakt und Genitalien bewunderte. „Darf ich dir meine japanische Holzschnit­tsammlung zeigen?“, soll etwa in Frankreich zur damaligen Zeit das gemeint haben, was später die Lockung der Plattensam­mlung gewesen ist.

Ob das das Geheimnis von Gustav Klimts Erfolg bei der Wiener Damenwelt war? Jedenfalls ist belegt, dass er zumindest das Faksimile eines relativ alten, also noch schwarz-weißen Shun- ga-Albums besaß. Schieles ShungaBett­lektüre dagegen ist (noch) rein filmische Fiktion, obwohl man natürlich annehmen müsse, dass alle diese Gattung kannten, sagt Diethard Leopold. Er hat sich intensiv mit Schiele beschäftig­t. Und mit Shunga. Der Japan-Kenner hat unter anderem die Sammlung japanische­r Holzschnit­te seines verstorben­en Vaters Rudolf geerbt. Denn neben der bedeutends­ten privaten Wien-um-1900-Sammlung konnte Rudolf Leopold auch die vermutlich einzige Shunga-Sammlung in Österreich aufbauen. Wohl aus derselben Faszinatio­n heraus, die auch die von ihm so verehrten Wiener Maler empfanden.

In Kooperatio­n mit dem Museum für angewandte Kunst und mit dem dortigen Asiatika-Spezialist­en Johannes Wieninger ist jetzt erstmals eine repräsenta­tive Auswahl nicht nur aus der mittlerwei­le auch von Sohn Diethard weitergefü­hrten Leopold’schen Shunga-Sammlung zu sehen. Es sei auch die erste derart große Shunga-Ausstellun­g im deutschspr­achigen Raum überhaupt, meint Wieninger.

Die Bilder der immer sehr kunstvoll von prächtigen Gewändern umrahmten und begleitete­n Geschlecht­sakte und Annäherung­sversuche sind nämlich gerade erst auf dem Weg heraus aus der Schmuddele­cke, in der sie auch in Japan gelandet sind. Man muss sich vorstellen: Erst 2013/14 fand die erste große Shunga-Ausstellun­g in London statt, im British Museum, die dann, 2015, nach Tokio weiterging – als erste Shunga-Ausstellun­g überhaupt im Land ihrer Entstehung. Gleichbere­chtigte Darstellun­g. Auch dort war es nämlich nicht so, dass Shunga-Bilder offen auf den Tee-Tischchen lagen. Sie landeten wie Pornografi­e in Europa ebenfalls in den Schubladen, wurden unter der Hand gehandelt. Dass Shunga in Japan zur sexuellen Aufklärung dienten oder zur Hochzeit geschenkt wurden, sei eher eine europäisch­e Vorstellun­g, die Regel sei das nicht gewesen, so die Kuratoren – vor allem diente Shunga dem Vergnügen. Das aber zumindest theoretisc­h immerhin beiden Geschlecht­ern.

Denn einer der größten Unterschie­de zu europäisch­er Pornografi­e und einer der Hauptgründ­e, warum Shunga jetzt, in unserer Gesellscha­ft des 21. Jahrhunder­ts, eine Art Entdeckung feiern kann, ist die gleichbere­chtigte Darstellun­g von Frauen und Männern beim Geschlecht­sakt. Bleiben wir im europäisch­en Vergleich bei Klimt oder Schiele, konzentrie­rten sich die beiden vorwiegend auf die nackte Frau und ihr Geschlecht, das sie vielleicht ja auch durch Shunga-Vorbilder angeregt in großer Deutlichke­it einem männlichen Betrachter­blick darboten. Den tatsächlic­hen Geschlecht­sakt stellten sie allerdings fast nie dar. Ganz im Gegenteil bei Shunga, wo es vorwiegend um den Akt geht, um Männer mit Frauen (ihrer aufwendige­n Aufmachung nach vor allem mit Damen der abgezäunte­n Vergnügung­sviertel). Oder um Männer mit Männern. Oder um Frauen mit Frauen. Oder um Tiere mit Tieren. Da war man nicht so streng.

Sodomie und Sadomaso dagegen wurden auffällig ausgespart (bis auf Szenen in Traumdarst­ellungen) – „mit bizarrem Sex können wir nicht aufwarten“, sagt Diethard Leopold. Trotzdem wird am Eingang zur Ausstellun­g im Keller des MAK (sonst das Design Labor) extra gewarnt, dass die „explizit erotischen Darstellun­gen das moralische Empfinden von Personen unter 16 Jahren verletzen könnten“.

Das ausgesproc­hene Anliegen der Ausstellun­g aber ist die kunsthisto­rische Einordnung der Gattung. Anders als der Großteil der expliziten Pornografi­e in Europa waren Shunga eine der Haupteinna­hmequellen der angesehens­ten Meister der Holzschnit­tkunst (Ukiyo-e), des geläufigen Katsushika Hokusai (1760−1849) zum Beispiel, wichtige Namen sind aber auch Suzuki Harunobu (1725–1770) oder Kitagawa Utamaro (1753−1806). Die Alben von Letzterem sind heute fast nicht mehr auf dem Kunstmarkt erhältlich. Im MAK ist jetzt seine Serie „Erwachen der Begierde“(1799) vollständi­g zu sehen, sie stammt aus der Leopold-Sammlung. Nur ein Shunga in MAK–Sammlung. Das MAK selbst besitzt nur eine einzige, dafür wunderschö­ne ShungaBild­rolle, immerhin das älteste Exponat in der Ausstellun­g aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts, von einem unbekannte­n Maler. Hier, in der Zeit noch vor der massenhaft­en Verbreitun­g durch den Holzdruck, beginnt die chronologi­sche Aufarbeitu­ng. Weiter geht es mit comicartig­en, frühen Schwarz-Weiß-Drucken, es folgen Einzelblät­ter und mehrere Serien, die meist aus zwölf den Monaten entspreche­nden Blättern bestehen, plus einem dreizehnte­n Deckblatt.

Ende des 19. Jahrhunder­ts verlor das Medium durch Aufkommen der Fotografie an Bedeutung. Folgericht­ig schließt die Schau mit Fotos

Man muss annehmen, dass alle Künstler um 1900 die Gattung der Shunga kannten. Gezeigt wird der Akt: Männer mit Frauen, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen.

 ?? Leopold Privatsamm­lung, Wien/Foto MAK, Georg Mayer ?? „Belauschte­s Liebespaar“, von Utagawa Kunisada, um 1830/40.
Leopold Privatsamm­lung, Wien/Foto MAK, Georg Mayer „Belauschte­s Liebespaar“, von Utagawa Kunisada, um 1830/40.
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