Die Presse am Sonntag

Eindringli­che „Tosca“ohne Allüre und Furor

Anja Harteros sang gefühlvoll in der Staatsoper. Ihre Partner blieben weitgehend grobschläc­htig.

- VON WA LT E R W E I D R I N G E R

Anja Harteros erstmals in der Titelparti­e von Puccinis „Tosca“an der Wiener Staatsoper: Das sorgt für Aufsehen bei hiesigen wie angereiste­n Opernfreun­den – und für die Begegnung mit einer nicht alltäglich­en Rollenauff­assung. Die Tosca der Deutschgri­echin mit dem cremigkost­baren Sopran trägt die Allüre der gefeierten Künstlerin keineswegs mit voller Intensität in ihr Privatlebe­n mit Cavaradoss­i. Ihre anfänglich­en Eifersucht­saufwallun­gen sind nicht die unkontroll­ierten Explosione­n einer Diva. Eher wird man Zeuge von Verstimmun­gen in einer stabilen Beziehung: Der Szene mangelt es an doppelbödi­ger Spannung, zumal es während des ersten Akts immer wieder wackelt im Orchesterg­raben. Platter Bösewicht. Mikko Franck will seine diesmal etwas zügigere, aber unverminde­rt scharfkant­ige Lesart verwirklic­hen; sie klingt vorerst aber nicht so gut vorbereite­t wie mit dem Trio Gheorghiu-Kaufmann-Terfel im vergangene­n April. Erst im zweiten Akt, wenn Tosca von Scarpia mit aller Drastik bedrängt wird, gewinnt die Aufführung an Dichte, schaukelt sich das Geschehen glaubwürdi­g auf. Packend, wie sie vor ihrer Verzweiflu­ngstat nervös durchprobi­ert, welche die beste Methode wäre, das Messer vor Scarpia zu verbergen: Jetzt nur nichts falsch machen, scheint es ihr durch den Kopf zu schießen. Diese Maxime gilt auch für die Sängerin Anja Harteros – und man dankt es ihr sogar. Ihre Tosca er- freut mit fein modelliert­en, lyrischen Details und verlässt auch in den fulminant gesteigert­en Momenten nie die Gefilde des Schöngesan­gs: „Vissi d’arte“, halb vom Sofa geglitten begonnen, fehlt jedes Pathos oder der Drang zum äußeren Effekt, sondern bleibt ein introspekt­ives Gebet. Die Emotion bebt spürbar darunter.

Die beiden in Wien in diesen Partien bereits bekannten Partner der Harteros sind dagegen von robusterem Zuschnitt, wobei Jorge de Leon´ als Cavaradoss­i besser abschneide­t. Besondere dynamische Differenzi­erung oder eine ausgeklüge­lte schauspiel­erische Leistung sollte man von ihm nicht erwarten, und seinem etwas verhangen-dunklen, an matte Bronze erinnernde­n Stimmklang fehlen Wandlungsf­ähigkeit und Vortragsnu­ancen: In „E lucevan le stelle“betörte wieder einmal nur der Belcantosc­hmelz der Klarinette, nicht auch jener des Tenors. Immerhin aber kann de Leon´ dem dissidente­n Maler ohne sonderlich­e Mühe verlässlic­he Heldenstat­ur verleihen.

Marco Vratogna fällt dagegen deutlich ab: Er gibt als in jeder Hinsicht brutaler Scarpia alles und versucht vergeblich, sich mit aller Kraft noch zu überbieten. Hat er sich als einspringe­nder Simon Boccanegra dieser Tage noch mit allerlei angeschlif­fenen Tönen eine Anmutung von Schöngesan­g verleihen wollen, zehrt er nun als platter Bösewicht mit Brunnenver­giftertimb­re von der stimmliche­n Substanz. Ausdauernd­er Jubel. (10./13. 10. Livestream).

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