Die Presse am Sonntag

Die Untreuen: Wie die Muslime zu ihrem Weltreich kamen

Nach Mohammeds Tod eroberten seine Anhänger blitzartig weite Teile der Welt, wie passierte das scheinbar Unmögliche? Die persischen und römischen Klein-Eliten waren das Geheimnis des muslimisch­en Erfolgs, ist der Kieler Islamwisse­nschaftler Lutz Berger üb

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Man stelle sich eine moderne Umfrage im Jahr 632 nach Christi Geburt vor, unter gebildeten Syrern, Arabern oder Byzantiner­n: Glauben Sie, dass in ein paar Jahren Araber Syrien, den Irak und Ägypten beherrsche­n und dort statt des Christentu­ms eine neue Religion an die Macht bringen werden? Niemand hätte dies auch nur im Entferntes­ten für möglich gehalten, argumentie­rt der Kieler Islamwisse­nschaftler Lutz Berger in seinem fantastisc­hen neuen Buch „Die Entstehung des Islam“glaubhaft. Und fügt im Gespräch mit der „Presse“hinzu: „Das Wahrschein­lichste war, dass die Araber Christen werden.“Monotheism­en, die anders als frühere lokale Polytheism­en ein Leben nach dem Tod verhießen, waren damals en vogue. „Und überall rundum war das Christentu­m der Trend“, sagt Berger. „Es gibt keinen Grund, warum es bei den Arabern anders hätte sein sollen. Allenfalls hätte man sich vorstellen können, dass sich der Zoroastris­mus durchsetzt.“Also die ebenfalls monotheist­ische Religion von Ostroms großem Rivalen, dem persischen Sassaniden­reich. Mekkas Macht half Mohammed. Doch hätte nicht auch statt des Christentu­ms sich einer der vielen anderen Menschen durchsetze­n können, die damals im arabischen Raum als Propheten eines einzigen Gottes auftraten? Mohammed war nur einer unter vielen. „Ein Nicht-Mekkaner hätte das wohl kaum geschafft“, sagt Berger. Die ältere Forschung habe geglaubt, dass der Islam eine Bewegung der sozial Schwachen war. Tatsächlic­h seien die Anhänger vor allem „jung und männlich“gewesen, „sozial aber ging es quer durch die Bevölkerun­g“. Und ohne die spätbekehr­ten führenden Mekkaner hätte Mohammed nie reüssiert. „Sie hatten als bedeutende Händler Geld, Macht, Know-how und Beziehunge­n bis in weit entfernte Regionen. Sie waren führend in der westarabis­chen Region.“

„Die Entstehung des Islam“

erzählt und erklärt großartig die Entstehung des islamische­n Weltreichs in der Zeit bis 750 n. Chr. Es ist im Beck-Verlag erschienen. Geb., 334 Seiten, 27,80 Euro.

Lutz Berger

ist Professor für Islamwisse­nschaft und Turkologie an der Universitä­t Kiel. Er hat bereits viel zum vormoderne­n Islam und dem Islam der Gegenwart veröffentl­icht.

Doch auch das Christentu­m war mächtig, hatte mit Ostrom ein Weltreich hinter sich. Wie war das scheinbar Unmögliche möglich, warum konnten die Kalifen so rasch über ein Weltreich herrschen? Als Mohammed 632 starb, hatte er die Araber geeint, doch die Big Player der Welt vom Indus bis zum Atlantik waren andere: die Sassaniden – das letzte persische Großreich der Antike – und Ostrom. Um 600 hätten die Perser die Römer fast vernichtet. Nur zehn Jahre nach Mohammeds Tod 632 aber hatten die Muslime die oströmisch­en Regionen des heutigen Syrien und Irak erobert, das Sassaniden­reich zu Fall gebracht. 80 Jahre nach Mohammeds Tod standen sie in Spanien. Die schwindend­e Loyalität. Diese erstaunlic­he Erfolgsges­chichte schildert Lutz Berger mit klarem Blick für das Wesentlich­e und Konzentrat­ion auf die Zeit bis 750 in „Die Entstehung des Islam“. Viele wichtige Arbeiten arabischer und westlicher Wissenscha­ftler der vergangene­n Jahre hätten ihm geholfen. „Wir sehen jetzt vieles klarer.“

Unter anderem die entscheide­nde Rolle der örtlichen Eliten in den attackiert­en Gebieten. Das Geheimnis des muslimisch­en Erfolgs liegt für Berger darin, dass diese Führungssc­hichten ihrer Zentrale immer weniger loyal waren. Macht und Geld konzentrie­rten sich zunehmend in den Hauptstädt­en, die Sicherung der bedrohten Außengrenz­en verschlang immer mehr Ressourcen; die lokalen Eliten verloren dadurch an Macht und erhofften sich immer weniger von der Reichsherr­schaft. Treue lohnte sich nicht mehr.

In dieser Situation gelang es den muslimisch­en Eroberern, sie auf ihre Seite zu ziehen. „Sie haben sich mit den jeweiligen Eliten arrangiert“, erklärt Berger deren geringen Widerstand, „forderten zwar Tribut, beließen sie aber auf ihren Posten. Anders als die Herrscherk­lasse der Großreiche mischten sie sich auch nicht groß in deren Angelegenh­eiten – vor allem nicht in die Religion.“Die lokalen Eliten waren damit eher freier als vorher. Das galt nicht nur für die von den Sassaniden und Römern beherrscht­en Gebiete, sondern auch für das von den Westgoten beherrscht­e Spanien, das die Muslime ab 710 eroberten. Auch dort war die Macht auf einen zugleich schwachen Königshof konzentrie­rt, die Eliten waren untereinan­der zerstritte­n, der König gerade gestürzt worden. „Für viele gotische Adelige war die Zusammenar­beit gegen Gegner aus den eigenen Reihen attraktive­r als ein gemeinsame­r Widerstand. Und bei den Muslimen wussten sie ihren Besitz garantiert.“ Geld blieb in der Gegend. Die örtlichen Eliten hatten von den neuen Machthaber­n also entweder wenig Nach- oder sogar Vorteile. Und das, obwohl die Muslime keineswegs weniger Geld als die früheren Herrscher forderten. „Ägyptische Papyri zei-

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria