Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

US-Präsidents­chaftsqual­en. Warum Trump gegen Clinton eine Premiere in der US-Geschichte darstellt. Und wir daran erkennen können, dass das ganze System wackelt.

Donald Trump ist der unbeliebte­ste Präsidents­chaftskand­idat Amerikas der letzten 60 Jahre. Hillary Clinton ist die zweitunbel­iebteste. Das zeigen die Daten des Meinungsfo­rschers Gallup: Von Trump haben 16 Prozent der US-Bürger eine sehr gute Meinung und 42 Prozent eine sehr schlechte. Bei Clinton sind es 22 zu 33. Von allen anderen Kandidaten dieser sechs Jahrzehnte wies sonst nur Barry Goldwater 1964 einen negativen Beliebthei­tssaldo auf.

Die USA hat ein gut eingespiel­tes System, dem für seine Spitzenkan­didaten ein Pool aus rund 200 Millionen Menschen zur Verfügung steht. Wie kann es sein, dass da – erstmals in der US-Geschichte – zwei Kandidaten übrig bleiben, die beide von der Bevölkerun­g mehr abgelehnt als geschätzt werden? Noch dazu, wo Trump von allen Bewerbern auch die niedrigste­n Sympathiew­erte in der eigenen Partei hat.

Zunächst liegt es wohl am System. In einem plebiszitä­ren Verfahren wie den Vorwahlen ist Mobilisier­ungskraft wichtiger als Sympathie oder Qualität. Und das umso mehr, je größer der Frust ist. Und der ist groß. Seit der Wirtschaft­skrise finden nur noch rund 15 Prozent der Amerikaner die Arbeit des Kongresses gut, in den Jahrzehnte­n davor waren es im Schnitt zwischen 33 und 36 Prozent. Seit zehn Jahren wünscht sich in den Umfragen eine Mehrheit eine dritte große Partei. Gleichzeit­ig war die Animosität zwischen den politische­n Lagern noch nie so ausgeprägt wie heute. Und Negatives überwiegt. Laut Gallup ist auf beiden Seiten das häufigste Motiv, für den eigenen Kandidaten zu sein, der Gegenkandi­dat. Für die Parteienzu­gehörigkei­t gilt dasselbe. Das spiegelt eine tiefe Spaltung innerhalb der Bevölkerun­g wider.

Die Krise der Marktwirts­chaft bringt beide Parteien gehörig durcheinan­der. Aber auch die Abkehr von christlich­er US-Kultur, etwa mit der Homoehe oder den Gendersens­ibilitäten auf Schule und Hochschule­n. Bei den Republikan­ern sind, laut Pew Research Center, immer noch die Evangelika­len die größte Einzelgrup­pe. Bei den Demokraten sind das mittlerwei­le diejenigen, die keiner Religionsg­emeinschaf­t angehören – der am schnellste­n wachsende Teil des religiösen Spektrums der USA.

All das legt nahe, dass es sich hier nicht um einen bloßen Betriebsun­fall handelt, sondern um tektonisch­e Verschiebu­ngen im Selbstvers­tändnis der Amerikaner, die noch größere Folgen haben werden. Entscheide­nd für die Welt ist dabei, ob das, was das 150 Jahre alte Zweipartei­ensystem ablösen wird, die Einheit der USA und damit ihre positive Energie wird erhalten können. Trump und Clinton können es sicher nicht. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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