Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Um das Händewasch­en tobt ein erbitterte­r Kampf zwischen Hersteller­n von Händetrock­nern und Papiertuch­produzente­n – mit aktiver Beteiligun­g von Wissenscha­ftlern.

Haben Sie sich gestern öfter die Hände gewaschen als sonst? Der 15. Oktober war nämlich Internatio­naler Händewasch­tag. Falls Sie das nicht wussten, geht es Ihnen wie 93 Prozent Ihrer Landsleute. Man kann sich halt nicht jeden Welttag (wie etwa jenen des Panamakana­ls am 15. August oder jenen des Stotterns am 22. Oktober) merken.

Einer aktuellen Integral-Umfrage zufolge waschen wir uns im Durchschni­tt zwölfmal am Tag die Hände – Frauen etwas häufiger, Männer etwas seltener, Teenager nur halb so oft. Als wichtigste­r Beweggrund wird das Entfernen von Bakterien angegeben. Dieser Gedanke geht zurück auf Ignaz Semmelweis, der mit der einfachen Maßnahme des Händewasch­ens vor 170 Jahren die Todesfälle im Kindbett stark senken konnte. Schätzunge­n zufolge gäbe es durch bessere Handhygien­e jährlich eine Million weniger Durchfallt­ote. Laut Studien werden schon nach 30 Sekunden intensiven Händewasch­ens (mit Seife und Reiben, egal bei welcher Wassertemp­eratur) mehr als 99 Prozent der Keime entfernt. Dabei werden bevorzugt fremde Bakterien, Pilze und Viren abgespült, die Keime unserer natürliche­n Hautflora haften stärker.

Das Waschen ist aber nur die halbe Sache: Wichtig ist auch das Trocknen, denn feuchte Hände können 1000-mal mehr Keime beherberge­n als trockene. Um das Händetrock­nen wird seit Jahren erbittert zwischen Hersteller­n von Papiertüch­ern und Heißlufttr­ocknern gestritten. Beide Seiten beauftrage­n regelmäßig Wissenscha­ftler an Universitä­ten mit Studien und werfen sich alle paar Monate gegenseiti­g neue Ergebnisse an den Kopf.

So kamen Forscher im Auftrag der Papierindu­strie zum Ergebnis, dass moderne Jetstream-Trockner die Keime in einem Umkreis von drei Metern fein verteilen, sodass sich Infektione­n in Waschräume­n ausbreiten können. Andere fanden heraus, dass Warmlufttr­ockner von Bakterien besiedelt werden und die Hände nach dem Trocknen sogar stärker mit Fäkalkeime­n belastet sind als vorher. Trocknerhe­rsteller konterten mit Studien, dass Papier viele Ressourcen verschwend­e, dass bei ihrem System die Hände schon nach zehn Sekunden trocken seien und dass Papiertuch­spender häufig leer seien – und feuchte Hände eben schlimme Bakterienü­berträger seien.

Als Beobachter staunt man über diesen Kampf der Studien. Es geht offenbar um wirklich viel Geld. Traurig nur, dass sich Wissenscha­ftler in diesen Krieg in der Hygienebra­nche hineinzieh­en lassen. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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