Die Presse am Sonntag

Die Harmonie der roten Flügel

»Wiener zuerst«: Das Rote Wien zieht seine Grenzen hoch. Das illustrier­t einen Politikwec­hsel, der bleiben wird. Egal, wer der Wiener SPÖ künftig vorsteht.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Lang hieß es: Es gibt keinen Plan B. Auch wenn die Bundesländ­er rundum die Kriterien bei der Mindestsic­herung für Flüchtling­e verschärfe­n, werde Wien nicht mitziehen. Aus Prinzip. Nun ist das etwas anders. Es gibt offiziell einen Plan B, und der ist strategisc­h nicht unschlau: eine Residenzpf­licht durch die Hintertür. Wer neu nach Wien kommt, soll auf die Mindestsic­herung warten müssen. Mehr ist unbekannt, die Wiener SPÖ macht, was sie bisher der ÖVP vorwarf: eine Idee zu ventiliere­n, ohne zu sagen, wie sie funktionie­ren soll. Wie lang ist die Wartefrist? Geht es um eine Neuregelun­g des kaum genutzten Regresses zwischen den Ländern, oder bekommen neu Zuziehende einfach nichts? Auch wenn sie aus zwingenden Gründen nach Wien kommen? Und führt die Zusicherun­g, dass man „trotzdem niemanden abweisen“will, das Ganze nicht ad absurdum?

Derzeit läuft die Idee, wie Sozialstad­trätin Sonja Wehsely versichert, unter dem Label „Notwehr“und „mögliche Maßnahme“. Wenn es aber nicht zu einer bundesweit­en Einigung kommt – und danach sieht es aus –, muss Wien Ernst machen. Und das wird spannend. Nicht nur, weil es dann konkrete Antworten braucht, sondern weil es einen symbolträc­htigen Politikwec­hsel manifestie­rt, den die Wiener Grünen mittragen müssten – aber nicht werden, wie Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou nun erklärte.

Das Rote Wien beginnt, seine Grenzen hochzuzieh­en. Wenn Ressourcen knapp werden und Sparen nicht hinreichen­d funktionie­rt (die doch nicht größte Verwaltung­sreform aller Zeiten bringt kurzfristi­g 100 Mio. Euro – rund 130 Mio. sind allein für die Aufstockun­g der Mindestsic­herung nötig), braucht es Prioritäte­n. Hier stehen an erster Stelle jene, die da sind. Und an letzter jene, die neu und teuer sind. Wohnbausta­dtrat Michael Ludwig wurde von Genossen gescholten, als er durchsetzt­e, dass Wiener, die länger in der Stadt sind, bei der Vergabe von geförderte­n Wohnungen bevorzugt werden. Nun sieht man das in der Partei wohl anders.

„Unser Geld für unsere Leute“: So plump wie die FPÖ würde es die SPÖ nie formuliere­n, aber „Wiener zuerst“– das ist salonfähig. Auch wenn klar ist, dass es bei dem Vor- rang vor den Neuankomme­nden derzeit vor allem um Flüchtling­e geht. Das entspricht einem europaweit­en Trend der Sozialdemo­kratie, die bei der Abwägung Sozialstaa­t oder internatio­nale Solidaritä­t kaum mehr überlegen muss. Wie die SPÖ im Bund, beugt sich das Rote Wien der Macht des Faktischen. Eine Trendumkeh­r ist nicht in Sicht.

Was im Hinblick auf die erbitterte­n Flügelkämp­fe um Häupls Nachfolge nicht unwichtig ist. Denn wenn zwei so konträre Figuren wie Wehsely und Ludwig einen ähnlichen Kurs einschlage­n, was sagt das? Nichts anderes, als dass es letztlich auch ein bisschen egal ist, wer der Partei vorsteht. Das gilt auch für die Frage, ob die Wiener SPÖ sofort mit der FPÖ koalieren würde, sollte der rechte/Realo- oder Was-auch-immer-Flügel das Ruder übernehmen. Wohl kaum. Die SPÖ hat sich in x Wahlkämpfe­n über das Verhindern der FPÖ definiert. „Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus.“Sagt einer des rechten/Realo-Flügels. Diesbezügl­ich gibt also keinen Plan B. Vorerst.

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