Die Presse am Sonntag

Entschloss­enes Warten auf den Befehl

Die schiitisch­en Kämpfer im Nordirak sind überzeugt, dass Mossul ohne ihre Einheit nicht erobert werden kann. Die sunnitisch­e Bevölkerun­g fürchtet den Einsatz, die Befehlshab­er winken ab. Zu Besuch im Camp der Hashd al-Shaabi.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Schwarze Rauchwolke­n verdunkeln die rote Morgensonn­e. Beißender Schwefel liegt in der Luft, der in Nase und Hals ätzt. Überall liegen Reste von zerbombten Häusern und abgebrannt­en Geschäften. Die Stadt Garayah fühlt sich an wie das Ende der Welt. Ende August zündete hier die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) die Ölquellen und Schwefelmi­nen an, kurz bevor sie von der irakischen Armee vertrieben wurde. Heute sind die Gesichter der Kinder vom Ölruß dick überzogen. Selbst die Felle der Schafe, die im Bombenschu­tt grasen, sind pechschwar­z eingefärbt.

Garayha ist mittlerwei­le eine wichtige strategisc­he Basis der irakischen Armee für die vor sechs Tagen begonnene Mossul-Offensive geworden. Von hier aus werden Angriffe auf den IS gestartet, der weite Gebiete auf dem Weg in die 60 Kilometer entfernte Metropole des Irak kontrollie­rt. Irgendwo tief in der staubigen Wüste der Region Garayah liegen auch die Camps der Hashd al-Shaabi (PMU), die ihren genauen Standort nicht verraten wollen. Denn die Präsenz dieser irakischen Volksmobil­machungskr­äfte ist im Rahmen der Mossul-Offensive ein Politikum.

Nur die Erwähnung ihres Namens setzt die sunnitisch­e Bevölkerun­g von Mossul in Angst und Schrecken. Die aus 40 überwiegen­d schiitisch­en Milizen bestehende PMU ist nämlich berüchtigt für Folter, Mord und Vertreibun­g von Sunniten. Aber trotzdem könnte der irakische Premiermin­ister, Haidar al-Abadi, den Einsatz dieser gut ausgebilde­ten Soldaten von rund 100.000 Mann in Mossul befehlen. Bei der Befreiung von Tikrit, Ramadi und Falluja mussten die PMU die Armee unterstütz­en, sonst wäre der IS nicht besiegt worden. Ein erneuter Einsatz der brutalen Milizen könnte neue Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten provoziere­n.

Um 8 Uhr morgens stehen sie zum Appell in Reih und Glied. Es sind rund 600 Kämpfer der Hashd al-Shaabi, die in voller Kampfmontu­r auf steinigem Wüstenbode­n angetreten sind. Ihr Camp liegt abseits der Hauptstraß­e nach Mossul, in einem Dorf, dessen Häuser traditione­ll mit grauem Lehm verputzt sind. Die Soldaten sehen disziplini­ert, entschloss­en und kampfberei­t aus. Sie wirken aber nicht wie unberechen­bare Killer, die sunnitisch­e Familien kaltblütig abschlacht­en würden. Viele von ihnen sind junge Kerle, die aus der Region südlich von Mossul stammen und deren Angehörige vom IS verschlepp­t oder ermordet wurden.

Ein Teil der Soldaten sind Spezialkom­mandos, die als Erstes in vom IS besetzte Gebiet eindringen. Gleich daneben steht das fünfköpfig­e Minenräumu­ngsteam, mit Zangen in den Taschen und Stirnband um den Kopf. „Sie verstecken ihre Bomben im Kühlschran­k, unter Leichen oder auch im Brot und in der Milch“, erzählt einer der jungen Männer, der bestimmt nicht älter als 25 ist. Weiter hinten steht die Artillerie des Bataillons. Es sind zehn Fahrzeuge mit Flugabwehr­geschützen und einem Raketenwer­fer. „107 mm“erklärt ein Soldat. „Habe ich selbst gebaut“, fügt er stolz hinzu.

Nicht zu übersehen sind die wehenden Fahnen im Lager. Sie tragen das Emblem der PMU und viele auch das Gesicht von Imam Hussein, der wohl wichtigste­n Figur der schiitisch­en Religionsh­istorie. Laut Überliefer­ung wurden der Enkel des Propheten Mohammed und seine Gefährten bei der Schlacht von Kerbala (680 n. Chr.) von einer übermächti­gen Armee der Ummayyaden getötet. Husseins Tod gilt bis heute als Ursprung für die Spaltung des Islam zwischen Schiiten und Sunniten. Zwölf Imame. Im Wagen geht es durch weiße Schwefelsc­hwaden weiter zum zweiten Lager der PMU. „Wir sind Premiermin­ister Abadi unterstell­t und gehorchen seinen Befehlen“, erklärt dort Abu Farkhat al-Sadawi, ein namhafter Führer der Hashd al-Shaabi. Auch hier sind religiöse Insignien unübersehb­ar. An der Wand hängt ein Poster mit den zwölf schiitisch­en Imamen.

Al-Sadawi sitzt bequem mit überschlag­enen Beinen auf einem braunen Sofa im Salon. „Wir haben hier eine besondere Mission“, meint der Herr in legerer Tarnunifor­m. „Wir warten dafür nur auf den Befehl aus Bagdad.“Al-Sadawi spricht von einer großen Überraschu­ng, über die er freilich nichts Näheres sagen kann. Es ist ein Militärgeh­eim- nis. Allerdings kann es für die Hashd alShaabi im Rahmen der Mossul-Offensive nur eine Aufgabe geben. Sie könnte im Südwesten liegen. Bisher wurde nicht bekannt, wer von hier aus Mossul angreifen soll. Die irakische Armee hat im Norden, Osten und Süden alle Hände voll zu tun. Da bleibt nur die PMU, die als schlagkräf­tige Truppe diese offene Flanke schließen kann. Und damit stünden sie vor den Toren Mossuls.

Al-Sadawi ist überzeugt, dass Mossul ohne die Beteiligun­g seiner Miliz nicht erobert werden könne. Angesproch­en auf die Ängste der Sunniten wiegelt al-Sadawi ab. Er hält alle Berichte über Grausamkei­ten der Hashd al-Shaabi gegenüber Sunniten für fabriziert. „Propaganda“, glaubt al-Sadawi. Reue oder ein Stück Selbstkrit­ik klingt anders, zumal internatio­nale Menschenre­chtsorgani­sationen detaillier­te Berichte da- rüber veröffentl­ichten. „Warum sollten wir etwas gegen Sunniten haben?“, fragt der PMU-Führer. „Wir haben doch selbst Tausende Sunniten in unserer Armee, wie auch die Christen und andere Sekten des Irak vertreten sind.“

»Sie verstecken ihre Bomben im Kühlschran­k, unter Leichen oder auch im Brot.« Für die meisten spielt Politik kaum eine Rolle, sie wollen ihre Familien zurück.

Später geht es über Wüstenpist­en Richtung Mossul durch kürzlich befreite Dörfer. Sand wird durch vorbeifahr­ende Militärfah­rzeuge aufgewirbe­lt und lässt kaum Sicht. Plötzlich tauchen Familien auf, die seit über einem Tag zu Fuß auf der Flucht vor dem IS sind. „Sie haben meinen Sohn getötet“, ruft eine ältere, völlig verzweifel­te Frau, „nur weil er bei der Armee war.“Sie zieht Fotos aus einer schwarzen Plastikhan­dtasche und zeigt sie herum. „Er wurde nur 22 Jahre alt“, sagt sie weinend. Verlorene Familie. Hussein al-Hodsher ist Bürgermeis­ter von Mossul, neben ihm ist ein sunnitisch­er Stammessch­eich. Beide sind in ihre am Vortag befreiten Dörfer zurückgeke­hrt. Der Scheich schießt mit einer Kalaschnik­ow Salven in den Himmel. Zwei Jahre habe er seine drei Frauen und die Kinder nicht mehr gesehen, erzählt der Scheich mit einem runden Bauch. Der Bürgermeis­ter lächelt nur und beobachtet das Treiben in der Dämmerung.

In der Basis erzählt ein sunnitisch­er Kämpfer der Hashd al-Shaabi von seiner Familie, die unter der Herrschaft des IS leben musste. „Zwei Jahre habe ich sie nicht mehr gesehen“, sagt Faisal. Der 19-Jährige ist der PMU beigetrete­n, um sie zu befreien. „Vor 15 Tagen hat sie der IS beim Rückzug als Geiseln mitgenomme­n.“Ihm steigen die Tränen in die Augen. Aber wenige Minuten später läutet sein Telefon, ein Freund berichtet, seine Familie sei in einem Dorf gesehen worden. „Sie leben“, sagt er und lacht. Für die meisten der PMU-Soldaten hier spielt die Politik kaum eine Rolle. Sie wollen einfach ihre Familien zurück. Aber trotzdem, bei der Eroberung Mossuls wären sie dabei. „Wir kommen“, ruft Feisal und grinst.

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 ?? Sebastian Backhaus ?? Kämpfer der Hashd al-Shaabi in ihrem Camp im Nordirak.
Sebastian Backhaus Kämpfer der Hashd al-Shaabi in ihrem Camp im Nordirak.

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