Die Presse am Sonntag

Reformen blähen Apparat oft auf

Viele Reformen in Österreich schaffen nur teure Strukturen und ändern wenig, sagt Josef Moser, der frühere Rechnungsh­ofpräsiden­t. Auch eine Steuersenk­ung allein löse kaum etwas.

- VON MATTHIAS AUER

Josef Moser: Nein, Österreich macht Reformen, lässt aber die wichtigste­n aus. Niemand erklärt den Menschen, warum ihr Leben besser werden soll, wenn etwas geändert wird. Stattdesse­n bleibt das Gefühl beim Bürger, nach jeder Reform weniger zu haben. Das schafft diese schlechte Stimmung, die ich meine. Reformen gelingen nur, wenn man den Menschen glaubhaft versichern kann, dass es ein echtes Konzept gibt. Aber kann die Politik ehrlich sagen, dass sie dieses Konzept hat? Leider nein. Bisher wagt sich keine Regierung daran, die historisch überborden­den Strukturen im Land zu ändern. Stattdesse­n schafft jede Reform immer neue Bürokratie. Es ist an der Zeit, endlich damit aufzuhören, einfach nur Geld auszugeben, und zu beginnen, auch darauf zu achten, was dieses Geld bewirkt. Der Rechnungsh­of hat Tausende Vorschläge ausgearbei­tet, wie das gelingen kann. Werden diese ignoriert? Um das Positive hervorzuhe­ben: 80 Prozent der Empfehlung­en des Rechnungsh­ofs werden umgesetzt. Das soll nicht darüber hinwegtäus­chen, dass in diese 20 Prozent genau jene Bereiche fallen, in denen mehrere Akteure auf dem Spielfeld sind. Wann immer es um Systemände­rungen und die klarere Verteilung von Kompetenze­n geht, schreckt die Politik zurück. Und dieses System, das wir uns leisten, ist sehr teuer. Nicht umsonst weisen IWF und EU in ihren Länderberi­chten immer wieder darauf hin, dass es höchste Zeit ist, die Finanzbezi­ehungen, sprich die Kompetenzz­ersplitter­ung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu beseitigen. Der Wille zu Änderungen im Finanzausg­leich hält sich in Grenzen. Der steirische Vizelandes­hauptmann, Michael Schickhofe­r, forderte eben, der Bund möge doch eine halbe Milliarde Euro mehr an die Länder überweisen – ohne wirklich zu erklären warum. Es ist unmöglich, einfach zu sagen, wir brauchen 500 Millionen Euro mehr. Sehen wir uns doch an, wo wir stehen: Österreich verteilt enorm viel Geld, aber trotzdem will jeder mehr. Gleichzeit­ig hat niemand den Überblick, wie viel Geld im System ist. Der Finanzausg­leich zwischen Bund, Ländern und Gemein- den ist hoch komplex und teilweise nicht nachvollzi­ehbar. Die Hälfte der Länder hat die eigenen Ertragsant­eile falsch berechnet, andere wissen nicht, wie sie korrekt zu verbuchen sind. Bevor ich sagen darf, die Länder tun mehr und brauchen mehr Geld, muss geklärt werden, wofür sie überhaupt zuständig und verantwort­lich sind. Es muss klar sein, wer welche Aufgabe hat und wie sie finanziert werden soll. Was halten Sie von der Idee, dass Länder und Gemeinden das Geld, das sie ausgeben, auch selbst bei den Bürgern einheben? Diese Abgabenaut­onomie ist in meinen Augen erst der letzte Schritt der nötigen Reformen. Erst muss klar zugeordnet werden, wer welche Aufgaben übernimmt und woher die Finanzieru­ng kommt. Im Moment gibt es Aufgaben, die sowohl Bund als auch Länder und Gemeinden erledigen sollten. Solange dieser Graubereic­h bestehen bleibt und nicht klar wird, wer für einzelne Bereiche geradesteh­en muss, ist die Idee der Abgabenaut­onomie eher eine gefährlich­e Drohung. Zuerst muss man wissen, wie viel Geld im System ist und wer damit was zu erledigen hat. Diesen Überblick hat nicht einmal der Rechnungsh­of? Ein Beispiel: Wir haben die familienbe­zogenen Leistungen vom Bund und drei Ländern geprüft. Es gab 117 verschiede­ne Leistungen. Aber niemand wusste, ob dieses Geld den Familien auch wirklich hilft. In diesem Dickicht an Geldflüsse­n ist es kaum möglich sicherzust­ellen, dass die Euro da ankommen, wo sie ankommen sollen. Damit muss Schluss sein. Wenn Geld fließt, muss es wirken. Die Zeit, in der jeder etwas bekommen hat, ist vorbei. Einen ähnlichen Vorwurf gibt es im Bildungsbe­reich. Auch hier steckt Österreich viel Geld in das System und hat einen geringen Output. Kann die eben präsentier­te Bildungsre­form daran etwas ändern? Das Gute ist, dass erkannt wurde, dass etwas passieren muss. Aber auch diese sogenannte Bildungsre­form tastet die teure Kompetenzz­ersplitter­ung nicht an. Wir geben pro Schüler 3000 Dollar aus – mehr als im OECD-Schnitt –, haben aber unterdurch­schnittlic­he Ergebnisse. Die OECD sagt, dass unsere Kompetenzz­ersplitter­ung bei der Bildung zu doppelt so hohen Leistungsu­nterschied­en führt wie im Rest der Industries­taa-

6. 10. 1955

Josef Moser wird in Lienz (Osttirol) geboren.

1992–2003

Der Jurist ist Klubdirekt­or der FPÖ im Parlament.

2003

Moser wird Vorstand des EisenbahnI­nfrastrukt­urunterneh­mens HL-AG, später Vorstand der ÖBB-Holding.

2004-2016

Moser ist Präsident des Rechnungsh­ofs.

2016

Der Ex-Politiker wird Präsident des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Eco-Austria. ten. Daran ändert sich auch mit dieser Reform kaum etwas. Gut, die Direktoren bekommen mehr Autonomie. Aber die Rahmenbedi­ngungen, damit sie damit etwas anfangen können, werden nicht geschaffen. Diese Politik der kleinen Schritte führt uns im Kreis. Waren Österreich­s Reformen bisher also Mogelpacku­ngen? Die Ziele waren richtig, die Lösungsans­ätze falsch. Alle Überschrif­ten der Gesundheit­sreform 2013 waren gut. Aber statt sie umzusetzen und Kompetenze­n zu entwirren, wurden neue Strukturen geschaffen. Zur Bundesgesu­ndheitskom­mission kam die Bundesziel­steuerungs­kommission, dazu das Gleiche bei den Ländern. Und um etwas zu ändern, brauche ich Einstimmig­keit. Viele Reformen schaffen nur neue Strukturen und blähen den Apparat auf. Sie sind jetzt Präsident des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Eco-Austria. Trägt der Staat Schuld an der Wachstumss­chwäche im Land? Wir haben uns durch das Nichtumset­zen von Reformen viel Spielraum genommen. Jahrelang lagen wir über dem Schnitt der OECD-Staaten. Heute ist das anders. Es hat sich also etwas an den Rahmenbedi­ngungen verschlech­tert. Deutschlan­d hat den Arbeitsmar­kt flexibilis­iert und die Gewerbeord­nung gestrafft. Hier ist wenig passiert. Nun erwirtscha­ftet Deutschlan­d Überschüss­e, während unser Parlament an der eigenen Schuldenbr­emse scheitert. Was halten Sie vom Vorschlag der ÖVP, die Körperscha­ftsteuer zu senken, um die Attraktivi­tät des Standorts zu erhöhen? Wir reden viel zu schnell von Steuern. Egal, ob es jetzt die Wertschöpf­ungsabgabe oder die KöSt-Senkung ist. Als erster Schritt ist es notwendig, das Steuersyst­em so umzubauen, dass es einfach und verständli­ch wird. In Österreich gibt es 558 Einkommens­teuerbegün­stigungen. Niemand hat evaluiert, ob sie zweckmäßig sind. Da geht es um neun Milliarden Euro. Wir bauen ein Gebäude, das in sich so bürokratis­ch ist, dass der Einzelne verloren geht. Der Staat kann seine Vorschrift­en nicht mehr kontrollie­ren. Selbst der Präsident der Wirtschaft­streuhände­r fordert, dass das Steuerrech­t einfacher werden muss. Wenn sogar die, die daran verdienen, dass das System komplizier­t ist, etwas ändern wollen, ist es nicht fünf vor zwölf. Es hat längst zwölf geschlagen.

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Als Sie den Rechnungsh­of verlassen haben, haben Sie gesagt: Die größte Wachstumsb­remse ist die getrübte Stimmung im Land. Wir dachten, es sei die Reformverw­eigerung.

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