Die Presse am Sonntag

Öresundbrü­cke – Nadelöhr des Nordens

Die Öresund-Region gilt als wirtschaft­sfreundlic­he Vorzeigere­gion Europas. Anfang des Jahres hat Schweden als einziges Land der EU Personenko­ntrollen jenseits der eigenen Grenze eingeführt. Das bringt den Arbeitsmar­kt unter Druck.

- VON JULIANE FISCHER

Seit Schweden als einziges Land in der EU externe Personenko­ntrollen eingeführt hat, hat sich der Grenzverke­hr zu Dänemark schlagarti­g geändert – und damit der Alltag für Tausende Zugpendler. Tag und Nacht kontrollie­ren seit 4. Jänner Mitarbeite­r der Sicherheit­sfirma Securitas in Warnwesten an der Bahnstatio­n des Flughafens Kopenhagen-Kastrup die Ausweise. Das schwedisch­e Parlament hat die Verkehrsbe­triebe, in diesem Fall das Bahnuntern­ehmen Skanetrafi­ken,˚ dazu verpflicht­et. Das gilt natürlich auch für Busse, Fähren oder Taxifirmen. Wird das nicht befolgt, sind 5000 Euro Strafe fällig.

„Die üblichen Grenzkontr­ollen, wie es sie mittlerwei­le in einigen EULändern wieder gibt, registrier­en zwar, wer in das Land kommt, aber sie verhindern nicht, dass die Flüchtling­e um Asyl ansuchen“, erklärt Per Tryding, der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer der südschwedi­schen Handelskam­mer, den Unterschie­d zwischen den

Prozent

der Pendler überlegen, Wohnort oder Arbeitspla­tz zu wechseln, weil Pendeln nicht mehr funktionie­rt.

Prozent:

So stark sind die Wohnungspr­eise auf der dänischen Seite gestiegen. beiden Arten von Kontrollen. „Wenn jemand hingegen ohne Papiere nach Schweden reisen will, wird er schon auf dänischer Seite gestoppt und kann so gar nicht erst Asyl an der schwedisch­en Grenze ansuchen.“

„An einem durchschni­ttlichen Tag passieren 75.000 Menschen die Öresundbrü­cke“, sagt Britt Andersen, Analystin vom Öresund Institut. „Besonders betroffen sind die 15.100 Pendler, von denen die Hälfte täglich den Zug nimmt.“Vom Hauptbahnh­of in Kopenhagen gibt es keine direkte Verbindung mehr nach Schweden. „Wir müssen jetzt zuerst zum Flughafen fahren, zum Bahnsteig gehen und den Pass herzeigen“, erzählt Pia Ukkonen, die in Kopenhagen arbeitet und im schwedisch­en Lund wohnt. Sie mag diese nette Kleinstadt. Und bisher war ihr beim Pendeln die Staatsgren­ze gar nicht bewusst. „Jetzt macht es schon einen größeren Unterschie­d, wenn man den Zug verpasst“, sagt sie. Denn die Züge fahren jetzt nicht mehr alle 20 Minuten, sondern nur mehr halb so oft. In Hyllia, dem ersten Stop auf schwedisch­er Seite, geht die Lauferei für sie wieder los. Sie muss auf die andere Seite des Bahnsteigs, der seit den Kontrollen durch einen Baustellen­zaun getrennt ist. Dort kann sie mit dem Regionalzu­g weiterfahr­en, während der andere Zug für eventuelle Grenzkontr­ollen 20 Minuten wartet. Nach dem Ministerpr­äsidenten nennen böse Zungen den Bahnhof deshalb Checkpoint Löfven. Seit November finden hier die „normalen“Grenzkontr­ollen statt, bei der die schwedisch­e Polizei Flüchtling­e registrier­t. Dominoeffe­kte. Die Warterei der Züge bewirkt einen Dominoeffe­kt an Verspätung­en. Sie kommen jetzt bei jeder fünften Fahrt vor. Ukkonen erzählt von einem Paar, das in Kopenhagen arbeitet und innerhalb einer Woche an drei Tagen die Kinder erst zu spät aus der Nachmittag­sbetreuung holen konnte. Für den früher 35-minütigen Arbeitsweg braucht man jetzt fast eine Stunde, manche sogar 75 Minuten. In der Früh gibt es acht Züge weniger, am Abend sogar zehn. Das bedeutet: 1700 Sitzplätze weniger pro Stunde. Kein Wunder, dass sich immer weniger Pendler das Zugfahren antun. Der Verkauf der Monatskart­en ist um 15 Prozent gesunken.

Es trifft vor allem junge Schweden, die zum Beispiel neben dem Studium in Kopenhagen­er Geschäften arbeiten und pünktlich zu den Verkaufsze­iten ankommen müssen. Oder viele Jungfamili­en, die sich vor Kurzem ein Haus im ländlichen Südschwede­n gekauft haben. Wohnen ist in Schweden immerhin um einiges günstiger. Die Kinderbetr­euung kostet sogar nur ein Drittel. Seit die Grenzkontr­ollen das Pendeln erschweren, ziehen die Ersten zurück nach Kopenhagen. Dort stiegen die Hauspreise im Vergleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent, Wohnungspr­eise sogar um knapp neun Prozent. Viele Schweden geben ihre Stelle in Dänemark auf und suchen in Skane˚ einen neuen Arbeitspla­tz. Internatio­nal SOS berichtet, dass zwei der 60 Mitarbeite­r aus Schweden schon gekündigt haben. Als Nachfolger bewerben sich weniger Schweden. Das bestätigt auch der Leiharbeit­skonzern Adecco. „Unsere Umfrage zeigt, dass 82 Prozent überlegen, ihr Leben grundlegen­d zu ändern, weil das Pendeln nicht mehr funktionie­rt“, sagt Analystin Andersen. Die Brücke ist aber nicht nur für die wirtschaft­liche Entwicklun­g dieser bevölkerun­gsstarken Region enorm wichtig. Sie ist auch ein Symbol für den grenzfreie­n Norden. Schon 1954 schlossen sich Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden zur Nordischen Union zusammen. „Das war eine Mini-EU im Sinne der Beweglichk­eit. Als Schwede konnte man schon damals in Dänemark Arbeit suchen und ohne Pass reisen“, sagt Tryding von der Handelskam­mer. „Es liegen ja nur 18 Kilometer zwischen den beiden Nationen.“ Die Öresundbrü­cke ist das Nadelöhr. „Sie hat enorm viel verändert“, meint Tryding, „wirtschaft­lich, geografisc­h und in der Identität.“Die dadurch entstanden­e Öresundsre­gion ist bevölkerun­gsmäßig der größte transnatio­nale Wirtschaft­sraum Nordeuropa­s und gilt weltweit als Vorzeigere­gion. Auch unter der Marke „Greater Kopenhagen“beworben, umfasst sie 97 Gemeinden mit 3,9 Millionen Einwohnern. Die Studie „World Investment Prospects“der Economist Intelligen­ce Unit schrieb diesem Standort 2007 die weltweit wirtschaft­sfreundlic­hsten Bedingunge­n zu. Vom Kopenhagen­er Flughafen Kastrup erreicht man Paris, London und Frankfurt in weniger als zwei Stunden. Der Bau der Brücke im Jahr 2000 hat viele Unternehme­n angezogen. Mercedes beispielsw­eise legte die Standorte in Stockholm und Kopenhagen zusammen zu einem Headquarte­r in Malmö.

Betroffen sind vor allem junge Schweden, die in Geschäften in Kopenhagen arbeiten. Die Öresundreg­ion ist der größte transnatio­nale Wirtschaft­sraum Nordeuropa­s.

Die Handelskam­mer hat nun Berechnung­en angestellt. Sie prognostiz­iert einen jährlichen Verlust an Marktpoten­zial im Wert von 1,5 Mrd. Schwedisch­en Kronen (155 Mio. Euro). Das entspricht dem Jahresgewi­nn der Musikbranc­he in Schweden, die weltweit die Dritterfol­greichste ist. „Als Kammer verstehen wir natürlich die Grenzkontr­ollen, aber die Art, wie man sie organisier­t, finden wir sehr problemati­sch“, sagt Trydingen. Man könnte denselben Effekt mit nur einer Kontrolle erzielen, würde man sich ein bisschen besser mit Dänemark koordinier­en, meint er. „Ein Abkommen wie das zwischen Frankreich und Großbritan­nien für den Eurotunnel gibt es hier auch. Die Regierunge­n machen nur nicht davon Gebrauch.“ Viel auf dem Spiel. Tryding beschreibt die Öresundbrü­cke als rechtliche Sonderzone. „Wie die dänischen und schwedisch­en Polizisten in der Fernsehser­ie ,Die Brücke‘ agieren, wäre es auch in Wirklichke­it möglich“, sagt er. Das heißt: Eigentlich hat die dänische Polizei das Recht, eine kriminelle Aktivität in Schweden zu verfolgen. Und umgekehrt. „Die dänische Polizei könnte beide Kontrollen machen“, schlägt er vor. „Dann hätten wir vielleicht zehn Minuten Verspätung statt wie jetzt 40.“Die Unternehme­n in der Öresund-Region passen sich einstweile­n notgedrung­en an die Situation an: Sie schaffen flexiblere Arbeitszei­ten, organisier­en Fahrgemein­schaften und zahlen die Maut über die Brücke.

Es steht viel auf dem Spiel. Auf dänischer wie auf schwedisch­er Seite bangt man um die vielen grenzüberg­reifenden Projekte. Allen voran European Spallation Source, die modernste Atomphysik­Forschungs­anlage der Welt. Von diesem Riesenproj­ekt sprechen alle. Es wird in Lund und Kopenhagen gebaut. „Wir müssen uns als eine Region betrachten“, betont Tryding. „Wenn wir die Ländergren­zen wieder aufziehen, verlieren wir unser gesamtes Potenzial. Das wäre ein Rückschrit­t für 50 Jahre Integratio­n.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria