Die Presse am Sonntag

Die verrückte Welt der Nullzinsen

Die EZB will ihre Politik der Geldschwem­me vorläufig beibehalte­n. Das gibt den Aktienmärk­ten noch Luft.

- JU

Die EZB hat ihren Leitzins diese Woche nicht nur unveränder­t belassen, sondern auch zu verstehen gegeben, dass die Welt der Nullzinsen noch sehr lange Bestand haben werde. Und über das so genannte Tapering, das kontrollie­rte Zurückfahr­en der Staatsanle­ihenkäufe zur Liquidität­sversorgun­g, sei nicht einmal gesprochen worden, hieß es nach der EZB-Sitzung am Donnerstag.

Damit bleibt uns auch die verrückte Welt der negativen Verzinsung sicherer Staatsanle­ihen bis auf Weiteres erhalten. Verrückt deshalb, weil sie die gewohnte Finanzwelt völlig umdreht.

Beispielsw­eise bei der Bewertung: Ratingagen­turen messen die Schuldentr­agfähigkei­t der staatliche­n Emittenten und vergeben danach ihre Bonitätsno­ten. Weil Staaten ihre Anleihen normalerwe­ise nicht tilgen, sondern durch die Ausgabe neuer Anleihen refinanzie­ren, heißt Schuldentr­agfähigkei­t die Fähigkeit, die Zinsen zu bedienen.

Nur: Bei Negativver­zinsung zahlt der Emittent de facto keine Zinsen, sondern bekommt welche. Theoretisc­h müsste man, um die Qualität der Anleihe zu bewerten, also die Bonität der Anleihekäu­fer klassifizi­eren. Eine ziemlich verkehrte Welt, oder?

Die aber, wie gesagt, bis auf Weiteres Standard bleiben dürfte. Für Aktionäre, aber auch für Immobilien­investoren heißt das, dass die Blasen in ihren Märkten weiter aufgepumpt werden. Die Party wird also wohl noch ein bisschen weitergehe­n.

Allerdings sollten die Eigentümer von zinssensib­len Assets den Markt in nächster Zeit ein bisschen genauer beobachten. Denn was „bis auf Weiteres“im Zusammenha­ng mit der EZB-Politik heißt, wurde ja nicht definiert. Und da könnte es im Dezember schon wieder spannend werden. Zum einen wartet die ganze Welt auf das Zinssignal aus den USA, das noch vor Weihnachte­n kommen könnte. Oder auch nicht, denn in diesem Jahr hat die US-Notenbank ihren angekündig­ten zweiten Zinsschrit­t schon mehrmals verschoben.

Zum anderen hat sich auch die EZB ein Hintertürc­hen offen gehalten: Im Dezember lägen neue Konjunktur­prognosen vor, hieß es. Dann werde man sich die Sache noch einmal ansehen. Ein brüskes Ende der bis April 2017 geplanten Anleihekäu­fe (derzeit 80 Mrd. Euro im Monat) sei aber ebenso wenig wahrschein­lich wie eine scharfe Zinswende in Europa.

Das gibt Aktienanle­gern wahrschein­lich noch ein paar Monate Luft.

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