Der Mann, der den Schliff zurückbringt
An©reŻs Lorenzi ist Messerschleifer in sechster GenerŻtion. Un© pŻssionierter Ahnenforscher, BŻstler, Geschichtenerz´hler. Üãer eine Wiener WerkstŻtt mit vererãten MŻschinen un© noch mehr vererãter FŻmiliengeschichte.
Etwa alle zwei Monate steht Andreas Lorenzi umringt von Interessierten in einer Schauküche am Wiener Spittelberg und wetzt seine Messer. Diese Abende hat der 35-jährige Messerschleifer 2009 ins Leben gerufen. Er hofft, dass die Leute nach seinen Workshops „ihren Hausverstand aus der Geiselhaft des Einzelhandels befreien“. Und eine noch wichtigere Nachricht von ihm empfangen: „Uns gibt es noch!“
Uns, die Messerschleifer. Laut Lorenzi sind sie noch eine Handvoll in Wien. Der Letzte von ihnen hat seine Meisterprüfung vor mehr als 30 Jahren abgelegt, danach wurde der Lehrgang eingestellt. Die, die noch in ihren Werkstätten stehen, sind entweder engagierte Autodidakten mit einer Reihe von Messerschleifern im Ahnenbuch wie Lorenzi selbst – oder sie nähern sich langsam ihrem Pensionsalter. Wie©erbelebungen. Immer wieder würden in seinem Geschäft in der Siebensterngasse junge Menschen vorstellig, die das alte Handwerk bei ihm lernen wollen. Aber er könne ihnen keinen Lehrvertrag anbieten. Darum wolle er in Zukunft darum kämpfen, dass die Ausbildung zum Messerschmied wieder eingeführt wird. Schließlich habe die Revitalisierung der Hufschmiedelehre vor nicht so langer Zeit auch funktioniert, als man merkte, dass Not am Mann ist. Das Projekt könnte einen etwas längeren Atem benötigen, gesteht er ein. Aber Lorenzi schwebt nicht in Gefahr, in der Zwischenzeit keine sinnvollen Aktivitäten zu finden.
Die Diskrepanz zwischen dem energiegeladenen Wiener mit den italienischen Wurzeln und seiner kleinen, rumpelkammerartigen Nebenwerkstatt am äußersten Ende der Landstraßer Hauptstraße könnte nicht größer sein. Vor allem an einem grauen Herbsttag, der das Geschäft, das vor Längerem den Gassenverkauf eingestellt und gleichzeitig jede Anstrengung aufgegeben hat, ansprechend auf Laufkundschaft zu wirken, in noch dunklere Farben taucht. Da sticht ein Herr mit dem grauen Arbeitskittel, den hellwachen Augen und dem unermüdlichen Mund zwischen den Schleifmaschinen von Großmutter Rosa doch ziemlich hervor.
Und wahrscheinlich muss man Lorenzis Familiengeschichte kennen, um seine Arbeit nicht nur im 20 Quadratmeter kleinen Verkaufslokal am Spittelberg oder in seiner Nebenwirkstätte in St. Marx, sondern in einem geschichtlichen Kontext verorten zu können.
Messerschleifen, das war ein Armeleuteberuf für Bauern, die winters mit ihren Wagen durch das Land zogen und ihre Dienste anboten. Vor allem im italienischen Rendenatal nördlich des Gardasees gab es immer viele von ihnen. Eine der großen Schleiferdynastien, das waren die Lorenzis. Und je weitere Kreise sie winters zogen, desto entferntere Orte erreichte der Name. Andreas Lorenzi zeigt seinen Stammbaum mit mehr als 3000 Verwandten – die allerletzten Zweige hat er selbst mit Namen und Wohnorten der Nachfahren ergänzt. Ancona findet sich da, und Bozen, Wien und Salt Lake City. An die 20 Schleifer aus seiner Familie leben heute verstreut auf der Welt.
Sein Familienzweig hat es den Frauen zu verdanken, dass es das 1835 gegründete Geschäft noch gibt. Großmutter Rosa, eine gebürtige Österreicherin, verlor 1945 ihren Mann. Schwiegervater Zeno, der um 1900 auf der Durchreise in Wien eine weit entfernt verwandte Lorenzi geehelicht und mit ihr drei Stahlwarenbetriebe übernommen hatte, konnte der österreichischen Schwiegertochter wenig abgewinnen. Doch sie wollte den Laden am Spittelberg selbst weiterführen und holte parallel zu ihrem Friseurberuf die Ausbildung zum Messerschmied nach. Auf sie folgte Andreas’ Mutter, die zwar die Messer- schmiedlehre absolvierte, aber bis zu seiner Geburt als Opernsängerin aufund erst danach ins Geschäft eintrat. Abschlüsse. Auch für Andreas Lorenzi war der Weg nicht genau vorgezeichnet: Er stand kurz vor dem Abschluss seines Studiums der Finanzwissenschaften, bevor er 2005 in sechster Generation kurzentschlossen das Geschäft am Spittelberg übernahm, dessen Tresen heute noch die Kassa des früh verstorbenen Großvaters Placido schmückt. „Ich habe erfolgreich mit dem Studium abgeschlossen“, sagt er lachend im Rückblick. Als seine Mutter in Pension ging, rief den 24-Jährigen doch das Familienunternehmen.
Gemeinsam mit seiner Frau, Katharina, und seinen Mitarbeitern vertritt er dort den Nachhaltigkeitsgedanken. Ein dieser Tage überstrapaziertes Schlagwort, wie er selbst meint. Aber mit einem wahren Kern. „Jeder kann zwar alles mit einem Wisch auf dem Display erledigen, aber niemand kann seine eigenen Werkzeuge warten.“Das gebe seinem Beruf noch eine Daseinsberechtigung. Daher auch die Schleifkurse.
Wobei seine Werkstatt wenig Werbung nötig hätte. „Wir sind durch viele Kleinkunden gestützt“– Köche, Friseure, Schneider und Private, die ihre Scheren, Messer, Rasenmäherklingen
Messerschleifen wŻr ein Armeleuteãeruf für BŻuern, ©ie winters ©urchs LŻn© zogen.