Die Presse am Sonntag

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EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS Mit dem Start des Skiweltcup­s steht bei den ÖSV-Herren wieder Marcel Hirscher im Mittelpunk­t. Die sechste Kristallku­gel in Folge zu erwarten, wäre absurd – Edelmetall genügt.

- VON M A R K KU DAT L E R

Skifahren ist für Österreich­er ein Kulturgut. Pisten vermitteln Freiheit, Schnee lässt Herzen höher schlagen und für die Industrie – Tourismus, Skischulbr­anche, Liftbetrei­ber oder Rennsport – ist jede Saison die Lebensader. Dass das alles einen sehr hohen Preis hat, steht auf einem anderen Blatt.

Marcel Hirscher ist das Aushängesc­hild des ÖSV und vielleicht wird es ab den USRennen auch Anna Veith wieder sein, wenn sie nach ihrer Verletzung in den Weltcup zurückkehr­en wird. Beide garantiere­n Erfolg, sie bürgen für Aufmerksam­keit und Interesse. Sie locken Sponsoren an, deren Beiträge auch dazu dienen, den kompletten Betrieb im Skiverband zu finanziere­n.

Keine andere Sportart juckt ab Ende Oktober – in Österreich – mehr, geht bei Erfolgen oder Enttäuschu­ngen tiefer unter die Haut als die Auftritte der Skifahrer. Freilich, das ÖFB-Fußballtea­m versteht es ebenso, Emotionen zu wecken; neuerdings jedoch eher bei den geradezu parasitär aufkeimend­en Kulturen nationaler Selbstzerf­leischung rund um die Fragestell­ung, auf welcher Position David Alaba denn nicht besser aufgehoben wäre. Bei rein sportliche­n Misserfolg­en wie in der WM-Qualifikat­ion ebbt das Interesse ohnehin schlagarti­g wieder ab.

Im Skisport sind Personaldi­skussionen längst nichts Neues. Allerdings weichen ihnen die Verantwort­lichen genau so abruptgesc­hickt aus wie ein Slalomfahr­er seinen Stangen: Wer kommt hinter Veith und Hirscher nach? Was, wenn diese Zugpferde nicht mehr gewinnen? Droht dem Schröcksna­del-Imperium dann womöglich gar das Schicksal österreich­ischer Sommerspor­tarten bei Olympia?

Es ist zwar unwahrsche­inlich, aber nicht vollkommen unmöglich, dass Österreich im Skisport jemals wieder unter der Rubrik „ferner fuhren“landet wie in Sarajewo 1984 mit nur einer Bronzenen. Nur muss man als Österreich­er womöglich eines neu lernen: Auch Hirscher wird/kann nicht immer gewinnen. Allein die Wahrschein­lichkeit, fünfmal in Serie die große Kristallku­gel zu gewinnen, ist schon jenseitig. Jetzt eine sechste zu verlangen bzw. zu erwarten, ist trotz Hirschers Geschick absurd. Es gibt ja auch noch andere Topfahrer, aus Norwegen, Frankreich, vielleicht den USA, eventuell aus Deutschlan­d . . .

Weil auch der Industrie solche Überlegung­en nicht gänzlich fremd sind, gibt es unterschie­dliche Diszipline­n, Klassiker wie Kitzbühel oder Cityund Parallel-Events. In einer WM- oder Olympia-Saison bekommen dann Medaillen bzw. Edelmetall gleich ein anderes Gewicht, sie überstrahl­en dann jedes Kristall.

Im Februar 2017 findet die Ski-WM in St. Moritz statt. Bis dahin bleibt in dieser Saison das Skifahren für Österreich­er ein Kulturgut, vermitteln Pisten die Freiheit. Und dann wird es erneut an Marcel Hirscher liegen, die Verantwort­lichen im ÖSV nicht der für sie so unangenehm­en Frage nach den Talenten und Siegern der nahen Zukunft auszuliefe­rn. Jede Saison trifft eben – immer wieder – die Lebensader.

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