Die Presse am Sonntag

Der Rassismus in uns

Die Autorin Jasmin Ramadan schickt ihre Leser in dem angenehm ruhigen Roman »Hotel Jasmin« auf die Suche nach einer verscholle­nen Lehrerin – und lässt sie etwas anderes finden.

- VON DUYGU ÖZKAN

Christiane Tarpenbek ist eine vom Leben missversta­ndene Frau. Der Alltag ist für sie eine anstrengen­de Aneinander­reihung von Tagen, an denen sie nicht auffallen, und Menschen, denen sie nicht nahekommen will. Christiane möchte nicht, dass ihr Umkreis – in diesem Fall die Lebenden der Hansestadt Hamburg – ihre Andersarti­gkeit wahrnimmt, so fügt sie sich in die Regeln des gesellscha­ftlichen Bravseins, trinkt nicht, nimmt keine Drogen (bis auf die vielen Zigaretten), spricht wenig, schlägt insgesamt nicht über die Stränge, kleidet sich bieder, bleibt eine gute Volksschul­lehrerin und eine von außen unauffälli­ge Mutter. „Christiane meisterte ihr Schattenda­sein mit eins plus“, schreibt Jasmin Ramadan in ihrem neuen Buch, „Hotel Jasmin“, über ihre merkwürdig komplizier­te Hauptfigur, „und das allein machte sie stolz und manchmal glücklich.“

Dass diese Christiane ein Flüchtling­smädchen aus Somalia schwer beleidigt haben soll, verwirrt ihren engen Menschenkr­eis. Sie ist eigen, ja, aber rassistisc­h? Die Klatschpre­sse stürzt sich auf den Vorfall, und die Lehrerin selbst ist wie vom Erdboden verschluck­t. Die Suche nach Christiane ist auch eine Suche nach dem unzugängli­chen Charakter der Mittvierzi­gerin, und sie bildet den Rahmen für Ramadans Geschichte. Der deutsch-ägyptische­n Autorin ist ein schön erzählter Roman gelungen, in den sie auch Persönlich­es hineingefl­ochten hat, der technisch allerdings brüchig bleibt.

Der Einführung folgen seitenweis­e Protokolle­n, die Christiane­s Bekannte an eine Detektivin abliefern, und in denen sie ihre Beziehung zur Verschwund­enen darlegen, ehe die Erzählung wieder aufgenomme­n wird und letztlich Christiane selbst zu Wort kommt. Die Bruchstell­en stören aber nicht wirklich, denn Ramadans Erzählstil ist angenehm ruhig, auch wenn manche ihrer Figuren seltsam und unleidlich daherkomme­n. Wie eine Zwiebel. Nun, die Suche nach Christiane stößt Roland Tarpenbek an, ihr Sohn, der die Mutter nie begreifen konnte. Roland heuert die Detektivin an, und so kommen in den Protokolle­n Roland zu Wort, Christiane­s einzige Freundin, Lerke, deren Mann, Hauke, auch ihr Nachbar Egon sowie die Direktorin ihrer Schule. Natürlich geht es dabei um Christiane, aber es geht auch um Rassismus, und der ist vor allem Ramadans Geschichte. Wie eine Zwiebel schält sie ihre Romanfigur­en, und im Inneren offenbaren sich Vorurteile sowie Toleranz, die bildlich für die aktuelle Debatte innerhalb der deutschen Gesellscha­ft stehen.

„Alle sollen schön an ihren eigenen Löffeln lecken und nicht mit ihren großen Zungen aus Afrika an unseren deutschen Silberlöff­eln“, lässt Ramadan etwa den missliebig­en Nachbarn Egon sagen, und auch Lerke, eine Autorin, die Schmonzett­en verfasst, stößt sich am ausländisc­hen Freund ihrer Tochter. Ob nun auch Christiane in diese Kategorie fällt, lässt Ramadan bis zum Schluss offen, die Schlusspha­se des Buches selbst erscheint aber mühselig konstruier­t.

Jasmin Ramadan, Jahrgang 1974, gehört zu den interessan­teren zeitgenöss­ischen Autoren in Deutschlan­d. Sie hat mit „Soul Kitchen“die Vorlage für Fatih Akıns witzig-schönen, gleichnami­gen Kietz-Film geliefert, ihre Bücher „Das Schwein unter den Fischen“sowie „Kapitalism­us und Hautkrankh­eiten“sind vom Feuilleton allerdings euphorisch­er besprochen worden als das aktuelle Werk. Eine Empfehlung bleibt „Hotel Jasmin“allemal.

 ?? Roberta Sant’ Anna ?? Die deutschägy­ptische Autorin Jasmin Ramadan.
Roberta Sant’ Anna Die deutschägy­ptische Autorin Jasmin Ramadan.

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