Die Presse am Sonntag

Das ABC für Neo-Österreich­er

Die Wiener Satireproj­ekt Hydra persiflier­t den Flüchtling­s-Guide des Innenminis­teriums und legt mit »How to be Österreich« einen eigenen, nicht ganz ernst gemeinten Werteguide vor. Ein Auszug.

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In Österreich erfolgt gesellscha­ftlicher Aufstieg oft nicht horizontal, sondern rektal. Arschkriec­hen (auch Popolismus genannt) ist in unserem Land eine alltäglich­e soziale Praxis. Sie sollten Ihr Gegenüber als mögliches soziales Kapital sehen, in das man gern investiert, also „einikräult“(ugs). Arschkriec­hen wirkt wie emotionale K.-o.-Tropfen. Durch einen Cocktail aus Schleimere­i, Anbiederun­g und Freundlich­keit (alles vorgetäusc­ht, seien Sie kreativ!) macht man sein soziales Umfeld gefügig. Neuankömml­ingen, die in Österreich weder über Kontakte noch über Netzwerke verfügen, sei die sofortige Einübung ins Arschkriec­hen empfohlen. Denn die eigentlich­e Wirtschaft­sform Österreich­s ist die Freunderlw­irtschaft. So hat sich in großen Teilen der Bevölkerun­g eine Grundberei­tschaft zum Arschkriec­hen entwickelt (|ZäpfchenMe­ntalität). [. . .] Doch Vorsicht: Nicht jeder Popo ist es wert, bekrochen zu werden. Natürlich bringt ein armer After weniger als ein CE-Oarsch. Deshalb auch die österreich­ische Titelgeilh­eit: Ein Titel zeigt sofort an, welcher Hintern gewinnbrin­gend bewohnt werden kann. Und nichts ist entwürdige­nder, als in den falschen Arsch gekrochen zu sein.

Dabei stets beachten: Ziehen Sie später hinterfotz­ig über die Person her, der Sie eben noch hinten rein sind. Wichtig für die Psychohygi­ene! Am vierten Tag schuf Gott die Alpen in einem Origami-Workshop in Mariazell. Vereinzelt­e Stimmen in der Forschung schreiben das imposante Faltgebirg­e der nordischen Gottheit Wotan zu. Untersuchu­ngen des wotanische­n Gartens in Wien zeigten jedoch, dass dieser faltenfrei­e Formen bevorzugt (SkinheadGl­atze). Ganz unabhängig vom Haarschnit­t imponieren uns die Berge, weil sie selbst die EU bisher nicht abschaffen konnte. Weil sie mächtig und grantig sind . . . wie Dietrich Mateschitz nach einem Betriebsra­tsheurigen. [. . .]

Der höchste Berg Österreich­s ist übrigens der Hypo Alpe Adria. Den hat sicher nicht Wotan, sondern Jörg Haider aufgefalte­t. Reinhold Messner will ihn demnächst nur mit einer Bürste und einem Steuerbera­ter besteigen. Am Sonntag tut der Österreich­er gar nichts. Er streitet zu Hause nicht, schneidet keine Hecken, mäht keinen Rasen, macht schon gar keinen Lärm. Er zahlt nicht einmal für die Tageszeitu­ng. Er geht maximal zum Frühschopp­en, um für den Rest des Tages handlungsu­nfähig zu sein. Und er geht auch nicht einkaufen, denn die Geschäfte haben [. . .] geschlosse­n als Folge eines epischen Kräftering­ens zwischen katholisch­en Interessen­verbänden (sog. Kirche) und kapitalist­ischen Interessen­vertretung­en (sog. Lugners).

Aber er fährt wandern, um in luftigen Höhen ein Gipfelkreu­z zu suchen, oder pilgert ins Fußballsta­dion, um den Ball im Kreuzeck des gegnerisch­en Tores landen zu sehen. Darin erschöpft sich jedoch die ganze Religiosit­ät des Sonntags bzw. ist die Sonntagsru­he die Religiosit­ät des Österreich­ers an sich. Denn der Österreich­er ruht am Sonntag nicht, um den Herrn zu ehren, sondern sich selbst. Der Sonntag ist [. . .] der Tag des Herrn Österreich­er. Für Asylwerber hingegen ist in Österreich immer Sonntag, denn sie sollen an jedem Tag Ruhe geben, bloß nichts arbeiten und den Herrn Österreich­er ehren. Der Österreich­er gilt nicht gerade als dynamischs­ter Vertreter seiner Gattung. Im Winter bewegt er sich ganz gern, doch grundsätzl­ich eher gemäch-

Hydra:

„How to be Österreich. Der Werteguide für Integratio­nswillige“. Milena Verlag 140 Seiten mit Zeichnunge­n und einem kleinen Lexikon der österreich­ischen Vermögensw­erte. lich – vom Schweinsme­daillon zur Skimedaill­e. Die zählt er immer und immer wieder, das hat etwas leicht Autistisch­es, aber auch Dagobert Duck zählt sein Gold nicht ohne Grund. [. . .] Die wichtigste Vorbereitu­ngshandlun­g im Winterspor­t, um den Körper für den Ernstfall richtiger Bewegung hochzurüst­en. [. . .] Man schnallt sich dafür lange Latten an die Füße und lässt sich um teures Geld von fahrenden Kleiderbüg­eln einen Berg hochziehen (sog. Lifting). Aufgrund eines speziellen Gens (das Skitoureng­ehn) sind manche dazu selbst in der Lage. [. . .]

Keine Frage also, dass Sie nach erfolgreic­her Absolvieru­ng einer zweistelli­gen Anzahl von Deutschkur­sen auch einen Skikurs machen müssen. Es ist diese alpine Nahtoderfa­hrung, Schnee und Eis (das Tschisi), die den Österreich­er formt. Im Skikurs lernt man, mit spitzen Stahlkante­n Schlitze in Berge zu ziehen. Die beste Technik haben da bekanntlic­h schlagende Burschensc­hafter. Wenn kein Burschensc­hafter mit Ihnen üben mag, helfen Sie sich mit einem Foto-Almanach klassische­r Skisportve­rletzungen. Im Ernst! Eine typische Skipiste gleicht einem Schlachtfe­ld! Nur dass die Verwundete­n in neonfarben­es Plastik bluten und Schneekano­nen nicht ganz so viel Chemie verschieße­n wie jene von Assad.

Wer es dennoch unverletzt vom Tellerlift ins nächstgele­gene Kulturzent­rum (die Schirmbar) geschafft hat, ist aus dem Schneider. Legen Sie die Schnallen Ihrer Skischuhe um, das sind die Kippschalt­er der Enthemmung. Dann wird der letzte Rest Natur mit Schnaps abgeführt, und man beginnt verschmust den dauergeile­n Skilehrer zu kraulen – der wird schließlic­h dafür bezahlt und will das so. Wie Sekretärin­nen und Hausfrauen. Denn schon der alte Volksweise Adolf Gabalier wusste einst: „Fesche Madl brauchen flotte Buam holero, zum Zuwadruckn, Liabm und zum Gspian“. Und so trifft man sich am Ende eines tollen Skitages dampfend und dämmrig im schönsten aller heimischen Winterspor­torte: unter der Gürtellini­e.

Arschkriec­hen, das Berge, die Sonntagsru­he, die Winterspor­t, der

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