Die Presse am Sonntag

Am Herd

BRANDHEISS UND HÖCHST PERSÖNLICH

- VON BETTINA STEINER

Reden wir wieder einmal über Sexismus. Weil er nämlich von selber nicht vorbeigeht, so sehr wir uns das auch wünschen.

Meine Tochter hat mir einen Kommentar vorgelesen, den sie als Englisch-Hü verfasst hat. Es ging darin um die Unterschei­dung zwischen Gender (soziales Geschlecht) und Sex (biologisch­es Geschlecht), also darum, dass vieles, was als typisch weiblich oder typisch männlich gilt, nichts mit unserer Weiblichke­it oder Männlichke­it zu tun hat, sondern damit, wie wir aufgewachs­en sind. Dass also zum Beispiel Mädchen genauso gut sind in Mathe. Wenn man sie lässt. Hannahs Meinung dazu war: Eh klar, was muss man da noch groß darüber reden, das Thema ist doch durch. Bäm. Was ich dazu sage? Liebes Kind, sagte ich, wie ich das immer mache, wenn ich die Mutter hervorkehr­e, die vielleicht nicht alles, aber doch so manches besser weiß: Liebes Kind, das habe ich auch gedacht. Und zwar vor 30 Jahren. Damals haben wir noch nicht von Gender und Sex gesprochen, sondern von Feminismus und Gleichbere­chtigung, und ich war der Meinung, wir Frauen hätten alles erreicht, was zu erreichen ist. Das heißt: nicht wir, sondern unsere Mütter. Sie hatten uns den Boden bereitet, wir mussten ihn nur mehr beschreite­n, ich war frei und stark und nichts konnte mich aufhalten. Sexismus? Pfff. Feministen. Fünf Jahre später bin ich draufgekom­men, dass das als Frau in der Berufswelt doch nicht ganz so einfach war, und als junge blonde Frau noch schwerer, und weil sich gegen mein Frau-Sein kaum etwas ausrichten ließ, färbte ich mir die Haare rot. Dunkelrot. Ziemlich grimmig sah das aus. Allein die Tatsache, wie gut das funktionie­rt hat, diese Umfärbeakt­ion, mit wie viel mehr Respekt z. B. Interviewp­artner auf mich plötzlich reagierten, war ein Schock. Ich meine, das waren ja keine Hinterhof-Patriarche­n, keine ungebildet­en Chauvis. Das waren Autoren, Regisseure, Theaterdir­ektoren. Männer, die sich selbst als Feministen bezeichnet hätten. Und trotzdem. Ich denke mir, das war auch der Moment, an dem ich erkannt habe, dass es nicht nur um mich geht, die junge, unabhängig­e Frau mit Studienabs­chluss, sondern auch um die alleinerzi­ehende Verkäuferi­n, der vom Filialleit­er immer wieder auf den Hintern gegriffen wird. Das heißt, ich wünsche mir, dass ich das damals erkannt habe, sicher bin ich mir nicht.

Meine Tochter hat sich jedenfalls entschiede­n, den Kommentar nicht mehr zu verändern, sie kam dann triumphier­end nach Hause, keiner hatte sie für naiv gehalten, alle waren ihrer Meinung, ätsch. Und vermutlich ist das gut so, dass sie meint, kein Macho könne sie aufhalten, vermutlich kann man die Welt auch nicht erobern, wenn man nicht meint, sie liege einem zu Füßen. Liebes Kind, stürm’ los.

Wenns nötig sein sollte, zahl’ ich den Friseur.

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