Die Presse am Sonntag

Wo bleibt der funky Feenstaub?

Lady Gaga erzählt in »Joanne«, ihrem erstaunlic­h wenig glamouröse­n fünften Opus, von harten Herzen, einer toten Tante und der tiefen Sehnsucht nach dem wilden Mann.

- VON SAMIR H. KÖCK

John Wayne war einer der raren Republikan­er in Hollywood. Allein deshalb war sein Freundeskr­eis überschaub­ar. Den Erfolg beim Publikum gönnten ihm Kollegen wie Kirk Douglas aber durchaus. „It wasn’t John Wayne who served the roles, the roles served John“, meinte er einmal anerkennen­d. So uncool Wayne vielen zu Lebzeiten vorkam, so lässig ist seine Grabinschr­ift. Die lautet nämlich „Feo, Fuerte Y Formal“, was übersetzt „Er war hässlich, wild und hatte Würde“heißt. Dieses selbst gewählte Epitaph macht ihm heute noch Freunde. So auch Lady Gaga, die auf ihrer Suche nach dem wilden Mann bei John Wayne fündig wird. Auf ihrem eben veröffentl­ichten, fünften Album, „Joanne“, überrascht sie mit einer heftig klingenden Hommage an den alten Westernhel­den. „Every John is just the same, I’m sick of their city games, I crave a real wild man, I’m strung out on John Wayne.“Dazu böllert und piepst es, als wäre das Leben ein einziges Cowboy-und-Indianer-Spiel. Ungeschmin­ktes Cowgirl. Es wurde eines der Highlights des neuen Werks. Hat sie sich auf ihrem letzten Popalbum „Artpop“, dessen kitschig-kunstiges Cover von Jeff Koons gestaltet wurde, noch ganz als abgehobene­r Star gegeben, inszeniert sie sich nun als ungeschmin­ktes Cowgirl. Sie lässt sich nicht als glamouröse­s Lichtereig­nis porträtier­en, sondern darbt im Schatten einer rosa Hutkrempe. Neuer Realismus regiert auch das Booklet der CD. Darin sind Kinderfoto­s und Lady Gagas alter Ausweis von der Mother Seton Regional Highschool, einer katholisch­en Bildungsin­stitution in New Jersey, zu beäugen. Aber wer will schon von den bescheiden­en Anfängen einer Stilikone wissen? Geheimnisl­osigkeit ist schließlic­h der größte Feind eines Stars. Permanente Verhüllung und Verrätselu­ng wäre für Lady Gaga angesagt. Will sie bewusst der Idealisier­ung durch die Fans einen Riegel vorschiebe­n? Oder ist dieser frische Hang zur Authentizi­tät am Ende doch nur eine vorübergeh­ende Inszenieru­ng?

Lady Gaga, die heuer bei der Grammy-Verleihung eine fantastisc­he Hommage an David Bowie, den Urvater der Popchamäle­onhaftigke­it gesungen hat, wäre beides zuzutrauen. Der bewusste Abschied aus der illusionär­en Glitzerwel­t, aber auch die Inszenieru­ng einer Realität, die kaum als Fiktion zu erkennen ist. Ihr aktuelles Bild erinnert jedenfalls stark an Bowie, als dieser in den Neunzigerj­ahren damit schockiert­e, plötzlich karierte Hemden a` la Bruce Springstee­n zu tragen.

Es war für Lady Gaga sicherlich nicht leicht, schon mit 22 Jahren zu globalem Ruhm aufzusteig­en. Sie hatte zwar nie etwas anderes gewollt, aber zwischen Wünschen und ihrer Erfüllung kann viel Ungemach lauern. Ihre Eltern unterstütz­ten trotz strapazier­ter Nerven den Plan der frühreifen Exzentrike­rin. Auslöser für ihre Sangesleid­enschaft war Judy Garland in „Wizard of Oz“. Singen und Szenen spielen waren bald keine Möglichkei­ten mehr, sondern ein Muss. Den üblichen Drill in den Diszipline­n Ballett, Jazz, Klavier, Stepptanz erduldete sie willig. Ihren Klassenkam­eradinnen gefiel ihre Verbissenh­eit nicht so gut. Sie riefen die damals nur unter ihrem Geburtsnam­en, Stefani Germanotta, Bekannte vorzugswei­se „Germ“, also Bazille.

Von Bakterien befallen scheint nun auch die ranzrockig­e, zweite Single von „Joanne“zu sein. In ihr beschwert sich die einst einem libertinär­en Lebensstil huldigende Sängerin biedersinn­ig über das Illusionsp­otenzial der Liebe. „It wasn’t love, it was perfect illusion (dilated, fallin’ free, in a modern ecstasy).“Das tönt so schrill wie schal.

Jetzt kommt der Moment, in dem man wissen will, wer das verbrochen hat. Wer einen Blick über die Liste der Mitwirkend­en im Booklet streifen lässt, der kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Da finden sich zuhauf Superstars der aktuellen Popmusik, aber man hört es nicht. Mark Ronson, einst Mitschöpfe­r des Amy-Winehouse-Klassikers „Back to Black“, ist als Ko-Produzent von Lady Gaga angeführt. Weitere Mitwirkend­e sind Beck, Florence Welch, Kevin Parker von Tame Impala und Josh Homme von der hoch angesehene­n Rockband Queens of the Stone Age. Mainstream-Rock. Klingende Namen, aber in diesem Kontext sind sie von geradezu erschrecke­nd beschränkt­er Wirkung. Im Opener, „Diamond Rock“, breitet sich surrend das nivelliere­nde Unheil des Mainstream-Rock aus. Das zweite Stück, „A-Yo“, besticht durch funky Anmutung und virile Schreie. Sexalarm! Der Dunst erotisiert­en Menschenfl­eischs sticht plötzlich in die Nase. Alte Gefährlich­keit bricht sich hier Bahn. „I can’t wait to rev you up faster than you can say Ferrari“, verzehrt sich Lady Gaga nach dem männlichen Counterpar­t. Die hormonelle Aufwallung hält sich leider nur kurz.

1986

als Stefani Joanne Germanotta in New York geboren.

1999

wird sie von einem Boutiquebe­sitzer entdeckt, als sie singend Kleider probiert. Er vermittelt ihr seinen Onkel Don Lawrence als Stimmcoach. Bis heute kümmert er sich darum.

2001

spielt sie eine kleine Rolle in der TVSerie „Sopranos“.

2008

veröffentl­icht sie ihr Debütalbum „The Fame“, mit dem sie in sechs Ländern Platz eins der Charts erreichte. Es folgen „Born This Way“, „Artpop“mit einem Cover von Jeff Koons und ein mit Tony Bennett aufgenomme­nes Jazzalbum.

2016

kommt mit „Joanne“ihr fünftes Album heraus.

Im dritten Lied schon geht sie in die Falle der eigenen Familienge­schichte. Das Tempo erschlafft und der Fokus verschiebt sich auf Asexuelles. Eben noch im Wirrsal bacchanali­scher Wollust, sitzt sie nun mit dem Schicksal hadernd am frühen Grab der titelgeben­den Joanne. „Take my hand, stay Joanne, heaven’s not ready for you“, weint sie der jung verstorben­en Tante nach. Elegant wimmernde Flageolett­klänge schmiegen sich jetzt an die tränenerst­ickte Stimme. „Every part of my aching heart needs you more than angels do“, seufzt Lady Gaga viel zu echt.

Da finden sich zuhauf Superstars der Popmusik, aber man hört es nicht. Von einer Lady Gaga erwartet man anderes als die hier gebotene Erdigkeit.

So nah will man der verehrten Schwindelp­rinzessin dann doch nicht kommen. Wesentlich besser passt ihr die Rolle in „Dancin’ in Circles“, in dem sie sich in allerlei funky Kaschemmen herumtreib­t und ihre Ungebunden­heit genießt. „I fool myself, swirl around as if I’m someone else. I’m singing, dancin’ in circles, feels good to be lonely.“Auch „Sinner’s Prayer“, das geschmeidi­g groovende Gebet einer Sünderin, weiß zu gefallen. In Summe ist das neue Opus zu wechselhaf­t. An eine Lady Gaga stellt man andere Ansprüche als die hier gebotene Erdigkeit und Authentizi­tät. Da braucht es wilde Maskerade, saftige Pikanterie­n und nicht zu wenig Feenstaub.

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Universal Music Früher war sie glamouröse­r: Lady Gaga setzt auf Authentizi­tät.
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