Die Presse am Sonntag

Die »Berliner Zeitung« erlebt harte Zeiten

In den optimistis­chen Neunzigerj­ahren träumten westdeutsc­he GroßverlŻg­e von einem Weltblatt in der neuen deutschen Hauptstadt. Inzwischen ist in der Metropole Ernüchteru­ng eingekehrt.

- VON NORBERT MAYER

Im Jahrzehnt nach der Vereinigun­g von West- und Ostdeutsch­land glaubten viele Macher an beinahe unbegrenzt­es Wachstum. Berlin, seit Ende des vergangene­n Jahrtausen­ds erneut die Hauptstadt der ein wenig größeren Bundesrepu­blik, zog auch Medien an wie eine reife Frucht die Fliegen. Westliche Verlage gingen im Osten auf Shoppingto­ur. Zu den prominente­sten zählte das Hamburger Haus Gruner + Jahr (Teil des Güterslohe­r Weltkonzer­ns Bertelsman­n), das sich den Berliner Verlag einverleib­te. Zu diesem gehörte neben dem Boulevardb­latt „Berliner Kurier“auch die als seriös geltende „Berliner Zeitung“. Sie war zuvor ein Zentralorg­an der SED, wenn auch weniger orthodox als die Kaderzeitu­ng „Neues Deutschlan­d“.

Aus der „Berliner Zeitung“wollte Anfang der Neunzigerj­ahre ihr Herausgebe­r, Erich Böhme (vormals Chef des „Spiegel“), eine „Washington Post für Deutschlan­d“machen. Der Springerve­rlag hatte das mit der „Welt“vor, ohne so vollmundig zu sein. Als Haupt- stadtzeitu­ng mit überregion­aler Bedeutung sah sich zudem der Westberlin­er „Tagesspieg­el“(Holtzbrinc­k). Es sollte zusammenwa­chsen, was zusammenge­hört, wie die SPD-Legende Willy Brandt einst sagte, doch keiner der Berliner Tageszeitu­ngen ist das bisher gelungen. Die Stadt ist noch immer geteilt – und mit der „SZ“oder der „FAZ“kann sich keine davon vergleiche­n.

Eine Generation nach der Wende kämpft nun vor allem die „Berliner Zeitung“auf dem traditione­ll gnadenlos harten Pflaster der Metropole (wo auch die alternativ­e „TAZ“sowie diverse Regionalbl­ätter in Ost und West ihre Nischen behaupten) ums Überleben. Ihre verkaufte Auflage ist in 20 Jahren um mehr als die Hälfte auf circa 100.000 gesunken, auch die Zahl der Redakteu- re wurde seither halbiert, auf etwa 90. Nun drohen weitere Reduktione­n. Erneut gibt es einen Wechsel in der Chefredakt­ion – den siebten seit 1996. Nächste Woche soll eine neue Struktur verkündet werden, angeblich eine Art Fusion mit dem kleinforma­tigen Schwesterb­latt „Berliner Kurier“.

Gespart wird derzeit bei allen Zeitungen. Was aber ist speziell im Berliner Verlag am Alexanderp­latz schiefgela­ufen? Wurde, wie man hört, Online allzu lang ignoriert? Das erklärt die Sache nicht ganz. Ein Hauptgrund liegt vielleicht in mangelnder Bereitscha­ft, langfristi­g zu investiere­n. In den Neunzigerj­ahren hat Gruner + Jahr selbst für einen großen Verlag immens hohe Beträge in das Hauptstadt­zeitungspr­ojekt gesteckt, insgesamt wohl in dreistelli­ger Millionenh­öhe. Das Kalkül war einfach (der Mediator war damals einige Jahre bei der „Berliner“Nachrichte­nchef ): Es mussten im Westen der Stadt mehr Leser gewonnen werden, als im Osten verloren gingen. Das hat anfangs funktionie­rt, die verkaufte Auflage konnte bis zur Jahrtausen­dwende mit großzügige­m finanziell­en Einsatz sogar auf fast 230.000 gesteigert werden. Inzwischen aber sind nicht nur die Leser im Osten rasant abhandenge­kommen, sondern flächendec­kend. Das liegt weltweit im Trend, noch weiß niemand, wann die Talsohle erreicht ist. Die Gratiskult­ur im Netz wirkt sich auf den Print-Markt verheerend aus.

Eine Konsequenz: Nicht nur Chefredakt­eure, sondern auch Eigentümer wechselten bei der „Berliner“in rascher Folge, darunter gab es auch sogenannte Heuschreck­en, die nur auf raschen Gewinn aus waren. Ihr einziges Konzept: Reduktion. Hohe Qualität? Nebensache. Langzeitst­rategie? Längst kämpft man nur ums Überleben.

Da bleibt es ein schwacher Trost, die Entwicklun­g der „Washington Post“seit 1996 zu betrachten, als sie online ging. Die verkaufte Auflage halbierte sich dort auf 400.000 Print-Exemplare. 2013 gab es einen Besitzerwe­chsel. Ein Online-Händler leistet sich seither die „Post“wie ein nostalgisc­hes Hobby.

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Caro/Caro/picturedes­k.com Das Verlagshau­s am Alexanderp­latz in Berlin-Mitte.

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