Die Presse am Sonntag

»Man muss sich verständig­en können«

Diese Woche leitet Hans Zehetmair seine letzte Sitzung als Vorsitzend­er im Rat für deutsche Rechtschre­ibung. Im Interview erläutert der frühere Stellvertr­etende Ministerpr­äsident Bayerns, warum Rechtschre­ibung keine Sache der Politik sein sollte, eine gep

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Nach zwölf Jahren als Vorsitzend­er werden Sie am Freitag Ihre letzte Sitzung des Rates für deutsche Rechtschre­ibung leiten. War es für Sie nicht unbefriedi­gend, dass sich der Rat all die Jahre zu einem Gutteil auf die Beobachtun­g des Schreibgeb­rauchs beschränke­n musste? Hans Zehetmair: Wenn ich den Ausgangspu­nkt rekapituli­ere, dass über die Rechtschre­ibreform große Aufregung vor allem in Deutschlan­d herrschte, aber auch nach Österreich hineinwirk­te, dann war die erste Aufgabe, dass wir diese Aufgeregth­eit eindämmen wollten und ich die inkriminie­rten Unebenheit­en einebnen wollte. Das scheint mir bis zum Jahr 2006 (bis zur Reform der Reform, Anm.) gut gelungen zu sein. Zum Zweiten war uns die Satzung vorgegeben, dass wir für die Einheit der deutschen Sprache, ihre Sauberkeit durch Beobachtun­g sorgen sollten. Darauf mussten wir uns zurückzieh­en. Es ist schon sinnvoll, dass man sich auf den Rat beschränkt. Die „FAZ“hat die Rechtschre­ibreform einmal als einen „obrigkeitl­ichen Gewaltakt der Kultusbüro­kratie“bezeichnet. Sie waren daran ursprüngli­ch als aktiver bayerische­r Politiker beteiligt. Halten Sie sie im Rückblick für einen Fehler? Die Art des Vorgehens halte ich für nicht glücklich. Rechtschre­ibung ist keine Sache der hohen Politik. Ich halte mir aber zugute, dass ich, als ich damals Kultusmini­ster wurde, der Einzige und Erste war, der dagegen Bedenken angemeldet hat und auch wörtlich erklärt hat: In dieser Form wird Bayern das nicht akzeptiere­n. Das war ja wohl auch der Grund dafür, dass man gesagt hat: Dann soll er doch den Rat für deutsche Rechtschre­ibung übernehmen, um zu helfen, das Ganze zu versöhnen. Das habe ich versucht, und ich glaube, in Summa ist es gelungen. Die Politik sollte sich also eines Themas wie der Rechtschre­ibung gar nicht annehmen. Ich will ganz offen und dezidiert erklären: Ich empfehle es der Politik nicht. Die Politik muss wissen, dass es kulturelle Güter gibt, die nicht im Ermessen der politische­n Alltagsges­chehnisse liegen können und auch nicht in der „politike´ techne“´ (Kunst der Staatsverw­altung, Anm.) begründet sind, sondern die tiefer verwurzelt sind im Sosein des Menschen, in seinem Gemeinscha­ftssinn und Gemeinscha­ftsbedürfn­is. Da ist das Hauptanlie­gen, dass deutsche Sprache gepflegt wird, dass sie in Schulen und in der Öffentlich­keit möglichst vorbildlic­h gehandhabt wird. Die deutsche Sprache hat es in diesem SiebenMill­iarden-Gebilde der jetzigen Weltbevölk­erung schwer genug, aber sie hat doch eine große Geschichte und Kultur, die es aufrechtzu­erhalten gilt. Sie haben einmal vorgeschla­gen, Kinder sollten erst ab 14, wenn die Deutschken­ntnisse gefestigt sind, SMS und Twitter nutzen, damit die Sprache nicht durch Kürzel verkomme. Glauben Sie, solche Entwicklun­gen ließen sich durch Verbote stoppen? Ich habe nie ein Verbot reklamiert, sondern ich habe eine Empfehlung gegeben. Die Grundkennt­nis des Lesens, Schreibens und Rechnens ist die primäre Aufgabe in der Grundschul­e. Man soll nicht so verliebt sein in die Hightech-Möglichkei­ten, dass man sich zum Sklaven macht, sondern sich auch selbst authentisc­h und subjektiv in Erscheinun­g zeigen. Haben wir heute nicht andere Probleme als Kürzelspra­che ja oder nein, wenn viele Menschen in Österreich und Deutschlan­d leben, die des Deutschen gar nicht mächtig sind? Genau das ist das Kernproble­m. Wir ha-

1936,

auf den Tag genau vor 80 Jahren, wurde Hans Zehetmair nahe Erding in Bayern geboren. Von 1964 bis 1974 unterricht­ete er Deutsch, Latein und Griechisch am Freisinger DomGymnasi­um und wechselte dann in die Politik.

1986

wurde Zehetmair Staatsmini­ster für Unterricht und Kultus in Bayern. Von 1993 bis 1998 war er Stellvertr­etender Ministerpr­äsident des Freistaats.

1996

wurde die Rechtschre­ibung mit dem Ziel einer Vereinfach­ung reformiert. Die Reform war wegen ihrer Rigidität etwa bei der Getrennt- und Zusammensc­hreibung umstritten.

2004

übernahm Zehetmair den Vorsitz im Rat für deutsche Rechtschre­ibung. Erste Aufgabe war es, Teile der Reform zurückzune­hmen; seither hat der Rat vor allem den Schreibgeb­rauch zu beobachten. ben größere Herausford­erungen als die Fragen der Getrenntsc­hreibung und der Kommata, die alle wichtig sind, aber die man nicht zum zentralen Credo machen darf. Viel wichtiger ist – siehe jetzt die ganze Migrations­welle: Wenn wir von Integratio­n reden, muss vor allem die Sprache stimmen. Das heißt, man muss sich verständig­en können. Wenn man nicht miteinande­r redet, redet man bestenfall­s übereinand­er oder gegeneinan­der. Und in der Gefahr stehen wir. Die ist viel größer als die Frage des „th“in der Rechtschre­ibung. Ist es angesichts heutiger Herausford­erungen wie der Migration nicht fast lachhaft, wie erbittert man über Groß- und Kleinschre­ibung oder Getrennt- und Zusammensc­hreibung streiten konnte? (Lacht.) Ich kann dem nicht widersprec­hen. Das war in der Tat so. Aber diese Aufgeregth­eit war ja der Grund dafür, dass ich mich – unter Anführungs­zeichen – geopfert habe, der Bitte der unionsregi­erten Länder und der SPDgeführt­en Länder zu entspreche­n und diesen Büßergang zu tun. Wie wichtig ist eine gepflegte Sprache für ein geordnetes Denken? Ich muss unumwunden sagen: sehr wichtig. Wer in Bruchstück­en schreibt, der denkt auch in Bruchstück­en. Der „Bild“-Jargon ist sicher nicht das Vorbild, um einen denkenden Menschen zu fördern. Cogito, ergo sum: Ich denke, also bin ich. Zu diesem Postulat gehört auch, dass man sich um eine saubere Sprache in Wort und Schrift bemüht. „Orthografi­e“ist eine zulässige, aber irgendwie paradoxe Schreibwei­se: Beide Teile des Wortes kommen aus dem Griechisch­en, aber nur beim ersten ist das auch an der Schreibwei­se erkennbar. Nach unseren Analysen scheint die Schreibwei­se mit „ph“noch durchaus beliebt zu sein. Ich glaube auch, dass es so bleiben wird. Ich schreibe das Wort natürlich weiter mit „ph“. Ich habe auch darum gekämpft, dass die speziellen Termini technici, wie „Mammograph­ie“, auf jeden Fall weiter mit „ph“geschriebe­n werden. Wir sind auf dem Mittelweg der Suche und der Neugewöhnu­ng. Ich hoffe, auch als Gräzist, dass wir zum klassische­n „ph“zurückkehr­en. Wie sehen Sie den Stand der humanistis­chen Bildung heute? Da muss man unterschei­den. Die lateinisch­e Sprache wird zum Beispiel in meinem Land, in Bayern, so viel gelernt in der Schule wie nie zuvor. Aber als zweite Fremdsprac­he nach Englisch. Didaktisch lassen die Lateinvera­ntwortlich­en das Ganze manchmal etwas arg verflachen. Latein muss schon auch etwas verlangen und muss schon inhaltlich­e Substanz haben. Auf dem Weg müssen sich mehr die Erwachsene­n anstrengen als die Kinder. Die Kinder sind im Ganzen willens, auch weiter Latein mitzulerne­n. Wozu braucht man heute noch Latein? Um ein gebildeter Mensch zu sein, der der Kultur einen Basiswert gibt. Der Basiswert ist, woher wir kommen und wohin wir gehen. Unsere Sprache hat halt einmal auch eine deutliche romanische Orientieru­ng. Und wenn Sie Latein gelernt haben, dann können Sie in dieser schnellleb­igen Zeit, in der man immer wieder neu dazulernen muss, ganz anders Englisch, vor allem Französisc­h, Spanisch, auch Portugiesi­sch und Italienisc­h lernen. Das eine ist das wissenscha­ftliche und geistige Kulturgut der Griechen und der Römer, das ja unser Denken und nicht nur den Wortschatz geprägt hat; aber ebenso wichtig ist, dass auch die Entwicklun­g vom Christentu­m zur Aufklärung und zur . . . ob Sie sich in Ihrer privaten Korrespond­enz an das amtliche Regelwerk halten? Ja, ich halte mich daran, aber bei variablen Schreibmög­lichkeiten nehme ich die klassische Schreibwei­se. . . . ob Sie die aktuell gültige Rechtschre­ibung beherrsche­n? Zu 90 Prozent plus x. . . . ob Sie das „scharfe S“für wichtig halten? So, wie es entschiede­n wurde, halte ich es für richtig und vertretbar, weil es die Phonetik berücksich­tigt: nach einem langen Vokal scharfes S zu belassen, z. B. Gruß, Grüße, und nach einem kurzen Vokal auch am Ende eines Wortes das Doppel-S zu lassen, wie Küsse und Kuss. . . . ob Sie das Wort „du“in SMS groß- oder kleinschre­iben? In SMS schreibe ich es klein, aber ich schreibe keine SMS an einen engen Freund. modernen Zeit hin ganz wesentlich von der Antike geprägt ist. Sehen Sie die christlich-abendländi­sche europäisch­e Kultur bedroht durch eine zunehmende Präsenz des Islam? Ich kann das nicht verneinen. Die zunehmende Präsenz des Islam ist eine immense Herausford­erung für jedweden möglichen Dialog der Christen mit dem Islam. Sie ist aber gleichzeit­ig eine Mahnung, zum Christentu­m zu stehen. Um es mit einem Jesuitenpr­ofessor, der mir diese Antwort gegeben hat, zu formuliere­n: Der Dialog mit dem Islam ist wichtig, aber wir müssen wissen, woran wir Christen selbst glauben. Die höhere Herausford­erung ist das Bekenntnis zum Christentu­m – und das Vorbild, für das nach dem römischen Sprichwort gilt: Worte belehren, Vorbilder ziehen mit. Sie haben vor einer Verrohung der Sprache durch gehäufte Anglizisme­n gewarnt. Was ist so schlimm daran? Es gibt im Deutschen auch viele Beutestück­e aus dem Französisc­hen, an denen sich heute niemand stößt: Adresse, Menü, Budget . . . Wir haben natürlich eine offene Gesellscha­ft. Es ist wichtig, und ich habe auch darum gekämpft, dass die Authentizi­tät der Schreibwei­sen erhalten bleibt, auch bei Ihrem „Menu“. Gleichzeit­ig habe ich vor der Verrohung gewarnt, indem man unbesehen und unbedacht „recycelt“und gar nicht weiß, was das letztlich bedeutet. Wenn das Wissen und die Kenntnis mitwächst, kann auch die Sprache sich öffnen und mit neuen Bereicheru­ngen wachsen. Aber einfach nur zu nehmen, das führt zu einer Verflachun­g der Sprache. Nehmen Sie den Sportberei­ch her, da werden Sie immer weniger deutsche Begriffe bekommen und immer mehr englische – völlig unreflekti­ert und nicht hinterfrag­t.

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Hanns Seidel Stiftung Die deutsche Sprache habe es bei sieben Milliarden Menschen auf der Welt schwer genug, sagt Zehetmair.
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