Das Ende des liberalen Zeitalters?
Bleibende Bedeutung kommt diesem derben US-Wahlkampf nur deshalb zu, weil mit dem Trumpismus die Antiglobalisierungswelle nun auch voll übers Herzland der freien Welt hereinbricht.
Unangenehmer hätte die „OktoberÜberraschung“für Hillary Clinton kaum ausfallen können. Nur wenige Tage vor der US-Präsidentenwahl am 8. November leitete das FBI neue Untersuchungen gegen die Kandidatin der Demokraten ein. Wieder geht es um E-Mails, die die damalige Außenministerin von ihrem privaten Server verschickt haben soll. Die Ermittler fanden die Nachrichten ausgerechnet im elektronischen Postfach des früheren Abgeordneten Anthony Weiner. Gegen ihn, den sexuell auffälligen Exmann von Clintons Beraterin Huma Abedin, ermittelt die Bundespolizei, weil er im Internet auch einer 15-Jährigen eindeutige Angebote unterbreitet haben soll. Von der Verquickung dieser zweier Skandalstränge hat der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump nur träumen können.
Die Behörden hatten die E-Mail-Causa schon im Juli ad acta gelegt. Sie warfen Clinton zwar – schlimm genug – grobe Fahrlässigkeit vor, weil sie auch ein paar als geheim eingestufte Mails über ihren privaten Account verschickt hatte. Strafrechtlich rele- vantes Verhalten stellten sie jedoch nicht fest. Clinton entschuldigte sich spät, aber doch. Die – letztlich aufgeblasene – Affäre schien aus der Welt. Jetzt wittert Trump, der nach seinen sexistischen und ausländerfeindlichen Untergriffen bereits hoffnungslos abgeschlagen in Umfragen war, seine letzte Chance. Jeder andere Republikaner, mit Ausnahme von Dschingis Khan vielleicht, hätte nach acht Jahren Barack Obama gegen eine dermaßen polarisierende Konkurrentin wie Clinton die Wahl gewonnen. Bei Trump wird es wohl trotzdem nicht reichen. Ihm fehlt einfach das Format.
Der US-Wahlkampf hat exemplarisch ein Krankheitsbild aufgezeigt, an dem auch viele europäische Staaten laborieren. In westlichen Gesellschaften sind politische Parallelwelten entstanden, die nicht mehr miteinander kommunizieren. In ihren schalldichten Echokammern radikalisieren die rhetorischen Kampfverbände nur noch ihre eigenen Vorurteile. Es zählen keine Fakten mehr. Anstandsregeln lösen sich auf.
Gleichzeitig zerbricht der liberale Grundkonsens. In den USA reüssiert mit dem Trumpismus erstmals seit der Zwischenkriegszeit eine Bewegung, die gegen Freihandel und offene Gesellschaften mobilmacht. Gegen ein Erfolgsmodell, das nach 1945 bei allen Ungleichgewichten und Veränderungsschocks Hunderte Millionen Menschen aus der Armut gehoben hat. Die Antiglobalisierungswelle hat den Motor der freien Welt erfasst: die USA. Und zwar auch von rechts.
Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass sich Europa fast geschlossen angewidert über den US-Gruselclown mit dem toupierten sandfarbenen Haar mokiert. Denn gar nicht so wenige Europäer, ob links oder rechts, denken ähnlich wie Trump.
Um die USA aber muss man sich letztlich weniger Sorgen machen als um Europa. Das Land hat schon viele Krisen überstanden, sogar einen Bürgerkrieg. Es hat isolationistische und immigrationsfeindliche Phasen ebenso durchgetaucht wie Stagnationsperioden. Amerika hat sich immer wieder neu erfunden. Das ist seine Stärke. Bis jetzt war noch jeder Nachruf verfrüht.