Die Presse am Sonntag

Donald Trump, Held der zornigen, ängstliche­n Weißen

Der politische Aufstieg des populistis­chen Unternehme­rs illustrier­t den Klassenkon­flikt in Amerika zwischen urbanen Kosmopolit­en an den Küsten und einer ländlichen, konservati­ven, weißen Mittelschi­cht, die sich kulturell und wirtschaft­lich abgehängt fühlt

- VON OLIVER GRIMM

Eine Hillary-Clinton-Puppe am Galgen. Ein selbst gebastelte­r Hillary-Clinton-Kopf auf einem Spieß. Wutentbran­nte „Sperrt sie ein!“-Sprechchör­e auf jeder Kundgebung von Donald Trump, dem republikan­ischen Gegner Clintons. Vizepräsid­ent Joe Biden und Trump, die sich aus der Ferne gegenseiti­g zu einer Schulhofsc­hlägerei auffordern. Ein entfesselt­er rechtsextr­emer Internetmo­b, der sich digital für Trump ins Zeug legt und jüdische Journalist­en via Photoshop in die Gaskammern von Auschwitz schickt.

So geht der bisher vermutlich hässlichst­e Wahlkampf um die amerikanis­che Präsidents­chaft in die Schlussrun­de. Er spielt sich in einer Gesellscha­ft ab, die weltanscha­ulich und politisch außerorden­tlich entzweit ist. Vergangene Woche stellten die Brookings Institutio­n und das Public Religion Research Institute (PRRI), zwei Washington­er Ideenschmi­eden, die Ergebnisse ihrer heurigen American Values Survey vor, einer jährlichen Befragung von mehr als 2000 Amerikaner­n.

Liest man diesen 48-seitigen Bericht, könnte man glauben, hier würden zwei völlig verschiede­ne Länder beschriebe­n. 72 Prozent der Anhänger Trumps finden, Amerikas Gesellscha­ft und Lebensweis­e hätten sich seit den Fünfzigerj­ahren zum Schlechter­en entwickelt. 70 Prozent der Clinton-Wähler meinen das Gegenteil. 73 Prozent aller Republikan­er bejahen die Aussage: „Die wachsende Zahl an Neuankömml­ingen aus anderen Ländern bedroht traditione­lle amerikanis­che Gewohnheit­en und Werte.“63 Prozent der Demokraten verneinen das. Einem autoritäre­n Führer könnten 55 Prozent der Republikan­er etwas abgewinnen, während 57 Prozent die Behauptung „Weil die Dinge in diesem Land so weit aus dem Ruder gelaufen sind, brauchen wir einen Führer, der bereit ist, manche Regeln zu brechen, wenn das nötig ist“ablehnen.

Nur in einer Frage teilen Amerikas Konservati­ve und Liberale eine Lebenserfa­hrung: Bloß 41 Prozent der Demokraten und 43 Prozent der Republikan­er haben angegeben, einen engen Freund oder zumindest einen Angehörige­n zu haben, der die jeweils andere Partei unterstütz­t. Die meisten Amerikaner kennen also nur Menschen, die politisch so denken wie sie selbst. Dieser Prozess der weltanscha­ulichen Abscheidun­g hat mit den sozialen Umwälzunge­n der Sechzigerj­ahre begonnen und ist seit mehr als einem Jahrzehnt auch im politische­n System vollendet. Die Politikwis­senschaftl­er Keith Poole und Howard Rosenthal analysiere­n seit Jahrzehnte­n das Abstimmung­sverhalten im US-Kongress, woraus sie diese Einsicht gewonnen haben: Seit den Kongresswa­hlen des Jahres 2004 hat es zwischen Demokraten und Republikan­ern sowohl im Senat als auch im Abgeordnet­enhaus keine ideologisc­hen Überschnei­dungen mehr gegeben. Der konservati­vste Demokrat war noch immer liberaler als der liberalste Republikan­er.

Dieses Schisma ist, wie in allen westlichen Demokratie­n, auch geografisc­h zu erkennen. Ein Blick auf die Umfragewer­te der beiden Präsidents­chaftskand­idaten zeigt Clintons Stärke an den dicht besiedelte­n, urbanen Küsten der USA und Trumps Anhängersc­haft im spärlicher bewohnten Landesinne­ren.

55 Prozent der Republikan­er wünschen sich einen autoritäre­n Führer.

Vermessung des Trumpismus. Eine Nation, zwei Lebenswelt­en: Diese Spaltung reicht nicht aus, um den erstaunlic­hen Reiz von Trumps autoritäre­m Chauvinism­us auf viele Amerikaner zu erklären. Die USA waren bereits seit Jahren gespalten, ehe der Bauunterne­hmer am 16. Juni vorigen Jahres auf einer Rolltreppe in seinem Manhattane­r Trump Tower herabschwe­bte und seine Kandidatur mit einer Tirade gegen die Mexikaner und dem Gelöbnis, eine Grenzmauer zu bauen, ankündigte. Wer sind die Trump-Wähler?

Jonathan T. Rothwell, der Chefökonom von Gallup, ist diesem Rätsel anhand einer umfassende­n demoskopis­chen Untersuchu­ng auf den Grund gegangen. Er konnte auf einen enormen Datenberg zurückgrei­fen: Von 8. Juli 2015 bis 31. August heurigen Jahres hatte Gallup insgesamt 112.995 Amerikaner in allen Ecken des Landes nach ihrer Meinung zu Trump befragt. Diese Ergebnisse verknüpfte Rothwell mit einem Dutzend Statistike­n über die jeweiligen Wohnbezirk­e der Befragten: von der Bevölkerun­gsdichte über die Sterberate, Verschuldu­ngsgrad, Rassentren­nung, Einkommens­quellen, Immobilien­preise bis zu Bildungsni­veaus und Invaliditä­tsraten.

Im September brachte Rothwell die Resultate unter dem Titel „Explaining Nationalis­t Political Views: The Case of Donald Trump“heraus, und er entkräftet­e einige wohlgepfle­gte Allgemeinp­lätze über Trumps Anhänger. Sie sind zwar, wie erwartet, weniger gut ausgebilde­t und arbeiten mehrheitli­ch in körperlich anstrengen­den Berufen. Doch

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