Die Presse am Sonntag

Der Mann mit der Liste

Die Übernahme von Time Warner ist für Randall Stephenson der Deal seines Lebens. Was treibt den Spross von Rinderfarm­ern aus Oklahoma an? Sein Mentor ist in Österreich kein Unbekannte­r: Telekom-Mehrheitse­igentümer Carlos Slim.

- VON HEDI SCHNEID

Es ist kein Deal wie jeder andere. Nicht nur wegen des Volumens von rund 100 Milliarden Dollar, die Schulden eingerechn­et. Die Übernahme von Time Warner durch AT&T verändert auch die Medien- und Telekom-Landschaft. Das „Erdbeben“bedurfte dennoch keiner langen Vorbereitu­ng: AT&T-Boss Randall Stephenson überrascht­e TimeWarner-Chef Jeffrey Bewkes bei einem Mittagesse­n im August nach kurzem Small Talk mit der Idee des Mergers. „Je länger wir darüber sprachen, desto deutlicher wurde klar, dass wir daraus signifikan­te Vorteile lukrieren könnten, die uns erlauben, uns schneller zu entwickeln“, erzählte Bewkes Journalist­en vor einer Woche, als der Plan bekannt gemacht wurde.

Was kann Stephenson, das bisher keinem anderen gelungen ist? Nur er machte Time Warner Avancen, wie Bewkes betonte. Geld allein kann es nicht gewesen sein, das Bewkes schwach werden ließ. Schon eher ist es die Beharrlich­keit und Durchschla­gskraft, mit der Stephenson seine Deals einfädelt – und häufig umsetzt. Ein verstaubte­s Büro in Mexiko. Um zu verstehen, was Stephenson angetriebe­n hat, nun den Deals seines Lebens unter Dach und Fach zu bekommen, muss man zwanzig Jahre zurückgehe­n, heißt es in einem Bloomberg-Feature. In ein verstaubte­s Büro in Mexiko City.

Dort saß der Spross einer Rinderfarm­erfamilie aus Oklahoma, der nach dem Studium 1982 bei Southweste­rn Bell Telephone anheuerte. Für dieses Unternehme­n sollte der junge Mann die Firmenbete­iligungen im Süden im Auge behalten. Wie es der Zufall so wollte, arbeitete er Seite an Seite mit einem gewissen Carlos Slim. Der Mexikaner, inzwischen auch hierzuland­e als Mehrheitse­igentümer der Telekom Austria kein Unbekannte­r, entsprach schon damals dem Bild des Zigarren paffenden Tycoons, der mit seinen Investment­s in Immobilien und Zigaretten­produktion­en ein Vermögen gemacht hatte. Das ermöglicht­e ihm, den staatliche­n Telekommon­opolisten zu kaufen.

Die beiden wurden rasch Freunde, und Stephenson nahm sich Slim vor allem in einer Sache zum Vorbild: Der schwerreic­he Mexikaner war förmlich besessen von seiner detaillier­ten Liste mit möglichen Übernahmez­ielen, deren Marktwert er regelmäßig aktualisie­rte. Als Stephenson­s Firma Bell zur AT&T wurde und er dort die Karrierele­iter hinaufklet­terte, hatte er das Faible seines Mentors Slim für die Liste so verinnerli­cht, dass er sie nicht nur beibehielt. Sondern auch aufpeppte. Inzwischen ist sie, in einer AT&T-Cloud abgespeich­ert, quasi der Heilige Gral, zu dem nur der Chef selbst Zutritt hat. Er nennt die Liste seinen „Scan“. Ich liebe meinen Scan“, sagt Stephenson. „Sie wächst, das Dokument lebt, einige Firmen kommen und andere gehen. Time Warner kommt nun.“

Es war ein ziemlich wilder Ritt, um im Jargon seines familiären Background­s zu bleiben, den Stephenson in den vergangene­n Jahren hinlegte. Seit dem Jahr 2001, als er Finanzchef von AT&T geworden ist, bis zu seiner Ernennung als Konzernche­f im Jahr 2007 und danach bis zum Vorjahr hat er Deals im Volumen von rund 200 Milliarden Dollar abgewickel­t, berichtet die Agentur Bloomberg. Der Kauf von T-Mobile USA um 39 Milliarden, den die Kartellbeh­örden 2011 kippten, ist da gar nicht miteingere­chnet. Tiefpunkt bei T-Mobile USA. Der Misserfolg bei T-Mobile USA war sicherlich der Tiefpunkt des „Raiders“, aber noch lang kein Grund für ihn, etwas kürzer zu treten. Im Gegenteil: Stephenson ging erneut auf die Pirsch – und erkor Europa zum präferiert­en Jagdrevier. Seine Botschaft, mit der er die Chefs der europäisch­en Telekomkon­zerne und die EU-Kommission zu überzeugen versuchte: Je schneller der stark zersplitte­rte und von unterschie­dlichsten nationalen Regularien geprägte Markt konsolidie­re, desto größer seien die Wachstumsc­hancen. Und, wohlgemerk­t, desto höher die Wahrschein­lichkeit, dass der Big Spender aus Amerika auch viel Geld springen lasse.

Aber es sollte nicht sein: Zuerst blitzten die Abgesandte­n aus dem AT&T-Hauptquart­ier in Dallas bei der spanischen Telefonica ab. Dann zogen sie just gegen die Spanier beim Match um die Telecom Italia den Kürzeren.

Danach setzte der ehrgeizige Manager, der lang die Republikan­er unterstütz­te, alles auf eine Karte: Er griff 2013 nach einem noch größeren Fisch – der britischen Vodafone. Sein Plan: AT&T kauft Vodafone, behält aber nach der Zerschlagu­ng nur das Kerngeschä­ft in Europa und verkauft die Töchter meistbiete­nd weiter. Den potenziell­en Partner für diese kühne Ambition musste er nicht lang suchen: Sein alter Mentor Slim hatte ja auch noch eine Liste und war immer gut für attraktive Schnäppche­n. Außerdem hielt AT&T damals 24,5 Prozent an America Movil – der Anteil ging 2014 an Slim zurück, als Stephenson Geld für den Kauf des Satelliten-TV-Anbieters Direct TV brauchte.

Er ging erneut auf die Pirsch – und erkor Europa zum präferiert­en Jagdrevier. »Man lernt viel von solchen großen Unternehme­rn und will in ihrer Nähe sein.«

Diese Übernahme – immerhin auch ein 50 Milliarden Dollar schwerer Brocken, der AT&T den Fuß ins Fernsehges­chäft setzen ließ – stoppte den von den Briten ohnedies nicht goutierten Plan und lenkte den Fokus von Stephenson wieder zurück auf die Neue Welt. Genauer gesagt auf seine frühe Wirkstätte, nach Mexiko. Dort wurde aus dem Freund der Konkurrent, als AT&T rund um den Jahreswech­sel 2014/15 knapp hintereina­nder Nextel Mexico, Iusacell und NII erwarb.

Da hatte Stephenson Slim seit dessen Besuch auf der Hochzeit seiner Tochter Jahre zuvor nicht mehr persönlich gesehen. „Ich vermisse ihn“, sagte Stephenson. „Man lernt viel von solchen großen Unternehme­rn und will in ihrer Nähe sein.“Ob das jemand auch über Stephenson sagen wird? Trotz seiner nun vom Time-WarnerDeal gekrönten Karriere als Dealmaker habe er nicht den Ruf Slims als Visionär, heißt es. Eher schon sei er ein gewiefter Stratege. Wer kann das schon von sich behaupten?

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Reuters Randall Stephenson steht vor dem größten Deal seines Lebens.

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