Die Liebe zum Cowboyleder
Der aus Israel stammende Igal Yonatanov hat eine Vorliebe für fein gearbeitete Westernstiefel. Über eine Wiener Schusterwerkstatt mit überraschend amerikanischem Flair.
Auf den ersten Blick sieht der Schusterladen der Yonatanovs in der Gumpendorfer Straße 92 wie jeder andere in Wien aus: Es werden Schuh- und Schlüsselreparaturen angeboten. Eine kuriose, aber gut eingebürgerte Wiener Mischung. Doch dann bleibt das Auge im Vorbeigehen an den Westernstiefeln in der Auslage hängen, wandert weiter zu den Ledergürteln mit USAdler, den Westernkrawatten mit Sternen und Bisonmotiven in der Mitte.
Ein Laden, dessen gesamte Breitseite im Inneren von Cowboyboots eingenommen wird? Dessen Wände Bilder von Indianern und Adlern schmücken? Das ist dann doch eher speziell. Eigentümer Igal Yonatanov tut sich selbst schwer, einen Grund für den ausgefallenen Schwerpunkt seines Geschäfts zu nennen. Wahrscheinlich, weil es für den 41-Jährigen eine logische Konsequenz seines Berufs ist, gut gearbeitete Lederstiefel nicht nur nach jahrelangem Dienst in Stand zu halten, sondern sie ihren Trägern auch selbst zu verkaufen. „Ich mag Handwerk. Ich mag Leder“, sagt er schlicht. Die Gürtel suche er einzeln aus. Das geht bei den Stiefeln schon schwerer. Sie muss Yonatanov großteils aus Mexiko und Spanien importieren. Womit dem Besucher eine große Illusion genommen wird, der sich angesichts des Stiefelschranks voller verschnörkelten Ledermuster, Riemen und Adlermotive unweigerlich an weite amerikanische Prärielandschaften und Cowboyfilme erinnert fühlt. Bloß keine leeren Wände. In das Schusterhandwerk sei er hineingewachsen. Von Klein auf sah er seinem Vater bei der Arbeit zu. Später half er auch selbst mit. Die Familie betrieb bereits ein Geschäft im ersten Bezirk, als sie 1992 auf die Gumpendorfer Straße expandierte. Er wolle an diesem Punkt der Geschichte ganz ehrlich sein, betont Yonatanov: Seine Eltern hätten sich damals schlicht dafür entschieden, den gesamten Raum auszufüllen. Und so kauften und kauften sie immer mehr Stiefeln zusammen. Sie habe er bei der Übernahme des Ladens quasi mitgeerbt.
Yonatanovs Beziehung zu fein gearbeiteten Schuhen geht aber weiter zurück als nur bis zum väterlichen Betrieb am Wiener Salzgries oder der eigenen Schusterlehre bei unterschiedlichen Meisterwerkstätten, von der er rückblickend sagt: „In Wirklichkeit habe ich die Schleifmaschinen und Materialien bereits gekannt und war ausgelernt, aber ich brauchte den Gewerbeschein.“
Schon sein Großvater fertigte Stie- fel an. Damals noch in Israel. Igal Yonatanov wurde selbst dort geboren. Als er elf Jahre alt war, zog die Familie nach Wien. Das Herz des Vaters forderte einen Klimawechsel. Dieser war ganz offensichtlich erfolgreich: Danach hätte sein Vater nie mehr Beschwerden gehabt, noch heute stehe er in der Ursprungswerkstatt im ersten Bezirk.
Aber warum gerade Wien? Das sei nicht nur dem Herzen oder dem Handwerk zu verdanken, erklärt der Firmenchef mit dem charismatischen Gesicht und der Kippa am Hinterkopf. Die Yonatanovs stammen aus einer Familie bucharischer Juden aus dem ehemals sowjetischen Zentralasien. Nach Wien – das hätten sie vor ihrem Umzug vor rund dreißig Jahren gewusst – hatte es schon einige ihrer Landleute vor ihnen verschlagen. Die Gemeinschaft sei eng und wachse stetig, erzählt Yonatanov.
Ob er eines Tages dennoch nach Israel zurückkehren wolle? Yonatanov, der neben Deutsch auch Russisch und Hebräisch spricht, zögert. Sein Geschäft in Wien erlaube ihm, seine Ausgaben zu decken und an den jüdischen Feiertagen ohne Geldsorgen zuzusperren. Ginge er zurück in sein Geburtsland, müsse er nochmals bei null beginnen. Aber man wisse ja nie.
Sein kleiner Laden habe sich bislang inmitten des Sterbens der Handwerksbetriebe und des Trends zum Onlineeinkauf behaupten können. Yonatanov nennt sich einen klassischen Einzelhändler, der seine Kunden durch die Symbiose mit dem Handwerk noch eine Spur fachmännischer beraten könne. Und Beratung sei alles.
Der Trend hin zu den von ihm geliebten Westernstiefeln war aber schon einmal stärker, räumt er ein. Nichtsdestoweniger: Auch wenn sie keinen großen Abnehmerkreis finden, habe er beim Verkauf der geringen Stückzahlen abends ein gutes Gewissen. „Das ist echtes Leder mit der Handwerkskunst von damals.“Ganz anders liege der Fall bei vielen der Schuhe, die ihm Kunden zur Reparatur in sein Geschäft bringen würden – immer mit der Betonung, sie seien zu hundert Prozent Echtleder. In solchen Fällen müsse er sie oft enttäuschen: Gerade einmal die Fersen oder das Futter sind aus Leder, der Rest ist aus einem täuschend echten Kunstimitat. Der Anteil im Inneren reiche aber bereits aus, um sie als Lederschuhe mit dem entsprechenden Preis anzubieten. So etwas wolle er, der sich auch standhaft gegen die Bankomatzahlung in seinem Laden wehrt, nicht ins Geschäft lassen.
»Die Leute gehen nach der Anprobe Geld holen und kommen jedes Mal zurück.«
Der Elchtest. Gerade die fehlende Möglichkeit, bei ihm mit Karte zu zahlen, sieht Yonatanov als Elchtest für seine Stiefel. „Die Leute gehen nach der Anprobe Geld holen und kommen jedes Mal zurück.“Das liegt natürlich nicht nur an der Qualität der Schuhe, sondern wohl auch zu einem guten Teil am Charakter des Verkäufers: Der zurückhaltende Mann will bei aller Liebe zu seinen Schuhen niemanden zu seinem Glück zwingen. Diejenigen, denen er mit seiner Schusterexpertise zu einem Paar rät, kaufen. Der unsichere Rest wird in Ruhe gelassen. „Wieso soll ich jemanden überreden? Die Qualität spricht für sich“, sagt Yonatanov.
In diesem Moment betritt ein langjähriger Kunde Yonatanovs den Verkaufsraum und betrachtet interessiert die vielen aufgereihten Stiefel. Wie lang er bereits seine zwei Paare habe, fragt ihn der Schuster höflich. „Sicher seit 25 Jahren, sie waren schon auf der ganzen Welt.“Aber das wisse er doch ohnehin, er habe sie schließlich selbst vor ein, zwei Jahren selbst repariert. Yonatanov lächelt und nickt bestätigend. Punkt für ihn.