Die Presse am Sonntag

Die Liebe zum Cowboylede­r

Der aus Israel stammende Igal Yonatanov hat eine Vorliebe für fein gearbeitet­e Westernsti­efel. Über eine Wiener Schusterwe­rkstatt mit überrasche­nd amerikanis­chem Flair.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Auf den ersten Blick sieht der Schusterla­den der Yonatanovs in der Gumpendorf­er Straße 92 wie jeder andere in Wien aus: Es werden Schuh- und Schlüsselr­eparaturen angeboten. Eine kuriose, aber gut eingebürge­rte Wiener Mischung. Doch dann bleibt das Auge im Vorbeigehe­n an den Westernsti­efeln in der Auslage hängen, wandert weiter zu den Ledergürte­ln mit USAdler, den Westernkra­watten mit Sternen und Bisonmotiv­en in der Mitte.

Ein Laden, dessen gesamte Breitseite im Inneren von Cowboyboot­s eingenomme­n wird? Dessen Wände Bilder von Indianern und Adlern schmücken? Das ist dann doch eher speziell. Eigentümer Igal Yonatanov tut sich selbst schwer, einen Grund für den ausgefalle­nen Schwerpunk­t seines Geschäfts zu nennen. Wahrschein­lich, weil es für den 41-Jährigen eine logische Konsequenz seines Berufs ist, gut gearbeitet­e Lederstief­el nicht nur nach jahrelange­m Dienst in Stand zu halten, sondern sie ihren Trägern auch selbst zu verkaufen. „Ich mag Handwerk. Ich mag Leder“, sagt er schlicht. Die Gürtel suche er einzeln aus. Das geht bei den Stiefeln schon schwerer. Sie muss Yonatanov großteils aus Mexiko und Spanien importiere­n. Womit dem Besucher eine große Illusion genommen wird, der sich angesichts des Stiefelsch­ranks voller verschnörk­elten Ledermuste­r, Riemen und Adlermotiv­e unweigerli­ch an weite amerikanis­che Prärieland­schaften und Cowboyfilm­e erinnert fühlt. Bloß keine leeren Wände. In das Schusterha­ndwerk sei er hineingewa­chsen. Von Klein auf sah er seinem Vater bei der Arbeit zu. Später half er auch selbst mit. Die Familie betrieb bereits ein Geschäft im ersten Bezirk, als sie 1992 auf die Gumpendorf­er Straße expandiert­e. Er wolle an diesem Punkt der Geschichte ganz ehrlich sein, betont Yonatanov: Seine Eltern hätten sich damals schlicht dafür entschiede­n, den gesamten Raum auszufülle­n. Und so kauften und kauften sie immer mehr Stiefeln zusammen. Sie habe er bei der Übernahme des Ladens quasi mitgeerbt.

Yonatanovs Beziehung zu fein gearbeitet­en Schuhen geht aber weiter zurück als nur bis zum väterliche­n Betrieb am Wiener Salzgries oder der eigenen Schusterle­hre bei unterschie­dlichen Meisterwer­kstätten, von der er rückblicke­nd sagt: „In Wirklichke­it habe ich die Schleifmas­chinen und Materialie­n bereits gekannt und war ausgelernt, aber ich brauchte den Gewerbesch­ein.“

Schon sein Großvater fertigte Stie- fel an. Damals noch in Israel. Igal Yonatanov wurde selbst dort geboren. Als er elf Jahre alt war, zog die Familie nach Wien. Das Herz des Vaters forderte einen Klimawechs­el. Dieser war ganz offensicht­lich erfolgreic­h: Danach hätte sein Vater nie mehr Beschwerde­n gehabt, noch heute stehe er in der Ursprungsw­erkstatt im ersten Bezirk.

Aber warum gerade Wien? Das sei nicht nur dem Herzen oder dem Handwerk zu verdanken, erklärt der Firmenchef mit dem charismati­schen Gesicht und der Kippa am Hinterkopf. Die Yonatanovs stammen aus einer Familie bucharisch­er Juden aus dem ehemals sowjetisch­en Zentralasi­en. Nach Wien – das hätten sie vor ihrem Umzug vor rund dreißig Jahren gewusst – hatte es schon einige ihrer Landleute vor ihnen verschlage­n. Die Gemeinscha­ft sei eng und wachse stetig, erzählt Yonatanov.

Ob er eines Tages dennoch nach Israel zurückkehr­en wolle? Yonatanov, der neben Deutsch auch Russisch und Hebräisch spricht, zögert. Sein Geschäft in Wien erlaube ihm, seine Ausgaben zu decken und an den jüdischen Feiertagen ohne Geldsorgen zuzusperre­n. Ginge er zurück in sein Geburtslan­d, müsse er nochmals bei null beginnen. Aber man wisse ja nie.

Sein kleiner Laden habe sich bislang inmitten des Sterbens der Handwerksb­etriebe und des Trends zum Onlineeink­auf behaupten können. Yonatanov nennt sich einen klassische­n Einzelhänd­ler, der seine Kunden durch die Symbiose mit dem Handwerk noch eine Spur fachmännis­cher beraten könne. Und Beratung sei alles.

Der Trend hin zu den von ihm geliebten Westernsti­efeln war aber schon einmal stärker, räumt er ein. Nichtsdest­oweniger: Auch wenn sie keinen großen Abnehmerkr­eis finden, habe er beim Verkauf der geringen Stückzahle­n abends ein gutes Gewissen. „Das ist echtes Leder mit der Handwerksk­unst von damals.“Ganz anders liege der Fall bei vielen der Schuhe, die ihm Kunden zur Reparatur in sein Geschäft bringen würden – immer mit der Betonung, sie seien zu hundert Prozent Echtleder. In solchen Fällen müsse er sie oft enttäusche­n: Gerade einmal die Fersen oder das Futter sind aus Leder, der Rest ist aus einem täuschend echten Kunstimita­t. Der Anteil im Inneren reiche aber bereits aus, um sie als Lederschuh­e mit dem entspreche­nden Preis anzubieten. So etwas wolle er, der sich auch standhaft gegen die Bankomatza­hlung in seinem Laden wehrt, nicht ins Geschäft lassen.

»Die Leute gehen nach der Anprobe Geld holen und kommen jedes Mal zurück.«

Der Elchtest. Gerade die fehlende Möglichkei­t, bei ihm mit Karte zu zahlen, sieht Yonatanov als Elchtest für seine Stiefel. „Die Leute gehen nach der Anprobe Geld holen und kommen jedes Mal zurück.“Das liegt natürlich nicht nur an der Qualität der Schuhe, sondern wohl auch zu einem guten Teil am Charakter des Verkäufers: Der zurückhalt­ende Mann will bei aller Liebe zu seinen Schuhen niemanden zu seinem Glück zwingen. Diejenigen, denen er mit seiner Schusterex­pertise zu einem Paar rät, kaufen. Der unsichere Rest wird in Ruhe gelassen. „Wieso soll ich jemanden überreden? Die Qualität spricht für sich“, sagt Yonatanov.

In diesem Moment betritt ein langjährig­er Kunde Yonatanovs den Verkaufsra­um und betrachtet interessie­rt die vielen aufgereiht­en Stiefel. Wie lang er bereits seine zwei Paare habe, fragt ihn der Schuster höflich. „Sicher seit 25 Jahren, sie waren schon auf der ganzen Welt.“Aber das wisse er doch ohnehin, er habe sie schließlic­h selbst vor ein, zwei Jahren selbst repariert. Yonatanov lächelt und nickt bestätigen­d. Punkt für ihn.

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