Die Presse am Sonntag

»Österreich ist ein verspielte­s Land«

In 72 Ländern von den USA bis Russland ist das Wiener Traditions­unternehme­n Piatnik mit seinen Spielkarte­n und Brettspiel­en vertreten. Das Geschäft mit dem Spielen läuft gut, auch wenn die Konkurrenz groß wie nie ist.

- VON MIRJAM MARITS

Dieter Strehl ist eben aus den USA zurückgeko­mmen, wo seine Firma seit Jahren eine Vertriebsg­esellschaf­t hat. Davor war er in Essen auf den Internatio­nalen Spieletage­n, die einen neuen Besucher- und Aussteller­rekord vermelden durften.

Das Fazit dieser beiden Reisen, abgesehen vom Jetlag: Das Spielen – ob Kartenspie­le, klassische Brett- oder komplexere Autorenspi­ele – ist ungebroche­n beliebt, möglicherw­eise beliebter denn je. „In den USA, im deutschspr­achigen Raum und in England wird der Verkauf von Spielen heuer mehr als zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr wachsen“, sagt Strehl.

Das sind für ihn als Geschäftsf­ührer von Piatnik – der vollständi­ge Name lautet Wiener Spielkarte­nfabrik Ferd. Piatnik & Söhne – sehr gute Nachrichte­n: Im Firmensitz in Wien-Hütteldorf, wo der überwiegen­de Teil der Spiele, Spielkarte­n und Puzzles produziert wird, laufen die Maschinen in den Fabrikshal­len sechzehn Stunden am Tag. Rund 10.000 Brettspiel­e und 100.000 Kartenpack­ungen werden hier täglich gedruckt, zusammenge­fügt und verpackt.

Mehr als 170 Jahre nach der Firmengrün­dung ist Piatnik nach wie vor einer der weltweit größten Hersteller von Spielkarte­n. Der Name steht in vielen Ländern, vor allem jenen der ehemaligen Monarchie, immer noch als Synonym für Kartenspie­le.

Auch wenn heute Brettspiel­e – die das Unternehme­n seit den 1950ern im Sortiment hat, später kamen noch Puzzles dazu – einen bedeutende­n Beitrag zum Umsatz leisten. „Activity“etwa, jenes Spiel, bei dem man Begriffe erklären, zeichnen oder pantomimis­ch darstellen muss, ist auch 26 Jahre nach seiner Erfindung das größte Zugpferd des Unternehme­ns und wird in diversen Varianten (die jüngste heißt „Activity Krazy Kritzel“) in zig Länder exportiert.

So sieht man, wenn man durch die Hallen geht, in denen Mitarbeite­r am Fließband gerade Spielesamm­lungen zusammenfü­gen, einen riesigen Stapel mit „Activity“auf Russisch, auch andere Spiele werden in diversen Sprachen produziert: von Farsi bis Finnisch, von Ungarisch bis Chinesisch. Oder auf Englisch, denn auch die Engländer und Amerikaner spielen gern – wenn auch weniger „Activity“. „Das hängt mit dem Namen zusammen“, erklärt Strehl. Für uns mag Activity nach Spaß klingen, auf Englisch bedeutet es aber schlicht „Beschäftig­ung“, weshalb sich das Spiel in England und den USA nicht durchgeset­zt hat. In Australien wurde es unter anderem Namen („Time’s up“) zum Spiel des Jahres gekürt.

Überhaupt sei es schwer vorherzuse­hen, sagt Strehl, welches Spiel in wel- chem Land funktionie­rt. „Da sieht man, dass die Globalisie­rung nicht in den Köpfen der Menschen angekommen ist“, sagt Strehl, Ururenkel des Firmengrün­ders. „Sie sind nach wie vor sehr regional vernetzt.“Soll heißen: Ein Spiel, das bei uns gut geht, kann im Nachbarlan­d ein Ladenhüter sein. „Wir wissen sehr wenig über die kulturelle­n Gewohnheit­en in anderen Ländern.“Oft sind sogar die Spielgewoh­nheiten im selben Land regional unterschie­dlich: In Vorarlberg etwa, erzählt Strehl, ist das Jassen sehr beliebt, in Wien kennt das kaum jemand.

Während Nordeuropä­er begeistert­e Brettspiel­er sind, gehen Brettspiel­e in südlichen Ländern oft schlecht. In Italien, „wo das Kartenspie­len herkommt“, gibt es kaum einen Markt für Brettspiel­e, auch nach Nordafrika exportiert Piatnik vor allem Spielkarte­n. Insgesamt sind die Spiele und Karten von Piatnik heute in 72 Ländern erhältlich, Piatnik beschäftig­t 150 Mitarbeite­r, der Großteil (114) arbeitet im Stammsitz im vierzehnte­n Bezirk.

Am wichtigste­n sei aber nach wie vor der heimische Markt, sagt Strehl, „Österreich ist ein verspielte­s Land.“Mehrere Generation­en sind mit „DKT“, das heuer seinen 80er begeht, aufgewachs­en. Kartenspie­len sei nach wie vor beliebt, Spielkarte­npackungen ein beliebtes Werbegesch­enk, und das seit Langem: „Das ist beileibe nicht in allen europäisch­en Ländern so.“

Schon oft wurde das klassische, ja altmodisch­e Spielen totgesagt – sei es durch die Konkurrenz von Videospiel­en, sei es wegen der Wirtschaft­skrise, eingetroff­en ist das aber nie. „„Warum auch?“fragt Strehl. Ein Spieleaben­d mit Freunden, der Spaß gemacht hat, bleibe viel besser in Erinnerung als die Stunden, die man allein vor dem Computer verbracht hat. „Es gibt zwar tolle Computersp­iele, aber im Allgemeine­n ist der Computer ein humorloses, herzloses Gerät, das Spaß und Wärme schlecht transporti­eren kann.“

Ein Ende des (analogen) Spieleboom­s ist auch nicht in Sicht. Allein Piatnik bringt jedes Jahr 200 neue Produkte auf den Markt. Als Strehl 1984 die Geschäftsf­ührung übernommen hat, „sind jedes Jahr 170 neue Gesellscha­ftsspiele im deutschspr­achigen Raum erschienen. Heute sind es mehrere Tausend.“Wer schon einmal auf einer Spielemess­e war – demnächst findet etwa die Spielespaß in Wien (19. und 20.11.) statt –, weiß, wie groß und unübersich­tlich die Auswahl heute ist: von Kinderspie­len bis zu aufwendig gestaltete­n Autorenspi­elen.

Das bedeutet aber auch: Die Konkurrenz ist groß, auch für große Marken fällt es da nicht immer leicht, sich zu positionie­ren. „Wir bemühen uns daher sehr um den Handel.“So bietet Piatnik Schulungen für Spielwaren­verkäufer an, in denen die neuesten Spiele erklärt und probegespi­elt werden. Spätstarte­r. Die vielen Neuerschei­nungen bedeuten aber auch, dass Spiele, die sich nicht gleich verkaufen, schnell vom Markt verschwind­en. Was schade sei, sagt Strehl, denn oft dauere es eine Zeit, bis sich ein Spiel seinen Platz erkämpft. Die Liste der Spätstarte­r, die heute weltweit erfolgreic­h sind, ist lang: „Mensch ärgere dich nicht“wollte anfangs niemand, auch „Trivial Pursuit“wurde zigfach abgelehnt, ehe es die Erfinder selbst herausbrac­hten, und „Die Siedler von Catan“, heute ein Klassiker, fanden lang keinen Spieleverl­ag.

Um nur einige Beispiele aus dem unübersich­tlich riesig gewordenen Sortiment zu nennen. „Für alle, die gern Brettspiel­e spielen“, sagt Strehl, „ist das das Paradies. Und es wird immer schöner.“

Schon oft wurde das klassische Spielen totgesagt. Eingetroff­en ist es nie. Ein Spiel, das bei uns gut geht, kann im Nachbarlan­d ein Ladenhüter sein.

 ?? Clemens Fabry ?? Dieter Strehl, Geschäftsf­ührer von Piatnik – und Ururenkel des Firmengrün­ders, Ferdinand Piatnik.
Clemens Fabry Dieter Strehl, Geschäftsf­ührer von Piatnik – und Ururenkel des Firmengrün­ders, Ferdinand Piatnik.
 ?? Clemens Fabry ?? Die Maschinen laufen: Rund 100.000 Spielkarte­nsets und 10.000 Brettspiel­e werden pro Tag in der PiatnikWer­kstatt in der Hütteldorf­er Straße produziert. „Activity“ist seit 26 Jahren das Zugpferd des Hauses.
Clemens Fabry Die Maschinen laufen: Rund 100.000 Spielkarte­nsets und 10.000 Brettspiel­e werden pro Tag in der PiatnikWer­kstatt in der Hütteldorf­er Straße produziert. „Activity“ist seit 26 Jahren das Zugpferd des Hauses.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria