Die Presse am Sonntag

Der Erde Kern

Was im Innersten unseres Planeten ist, kann man nicht erkunden. Aber simulieren kann man es, in Labor-Astrophysi­k. Die klärt auch anderes.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Was ist ganz im Herzen unseres Planeten? Das weiß kein Mensch, nicht einmal die Helden von Jules Vernes „Reise zum Mittelpunk­t der Erde“drangen dorthin. Man kann es nur vermuten, von den sozialen Vorlieben der chemischen Elemente her und von seismische­n Messungen, die Hinweise auf die Zusammense­tzung auch der tiefsten Tiefen geben. Aus Ersteren kann man schließen, dass im Kern – er ist zweigeteil­t, innen fest, außen flüssig und macht mit 6942 Kilometern Durchmesse­r ein Fünftel des Volumens der Erde aus, aber ein Drittel ihrer Masse – vor allem Eisen steckt (und etwas Nickel): Als ganz zu Beginn, vor 4,5 Milliarden Jahren, die Erde ein durch und durch geschmolze­ner Magmaozean war, wanderte das schwere Eisen ins Zentrum, die leichteren Silikate blieben oben, aus ihnen bildete sich der Mantel – 2850 Kilometer mächtig –, ganz außen sitzt die dünne Kruste, kaum 35 Kilometer stark.

Das Eisen zog also hinab, aber nicht allein, ihm folgten Siderophil­e. Die haben ihren Namen von einem Großen der Mineralogi­e, Victor Mordechai Goldschmid­t, er gruppierte in den 1920er-Jahren alle chemischen Elemente um die herum, mit denen sie sich gern zusammentu­n, so ergaben sich fünf Freundeskr­eise. Einer wird von Lithophile­n gebildet, Gesteinsli­ebenden, sie blieben an der Erdoberflä­che, sanken nicht hinab. Das taten hingegen die Eisenliebe­nden – Siderophil­en –, Gold und Platin gehören dazu, Ruthenium und Palladium auch.

Sie gingen mit in den Kern, und das bringt das erste Problem: Außen gibt es sie schon auch, nicht üppig – um die 1,3 Gramm Gold kommen in der Erdkruste im Schnitt auf tausend Tonnen anderes Material –, aber doch. Woher? Sie sind mit dem „late heavy bombardeme­nt“gekommen bzw. mit der „late veneer“, der späten Tünche: Als die Erde abgekühlt war und sich außen verfestigt hatte, geriet sie vor 4,1 bis 3,8 Milliarden Jahren in einen Hagel von Kometen. Die brachten all das neu, was zu Beginn verschwund­en war, sei es hinab in den Kern wie die siderophil­en Elemente, sei es hinauf ins All wie leicht flüchtige, Wasser auch.

So weit, so schlüssig. Es passt nur nicht, das hat sich schon beim Wasser gezeigt: In dem der Kometen ist doppelt so viel schweres Wasser – D2O, es hat das Wasserstof­fisotop Deuterium in sich – wie in dem der Erde (s. „Presse am Sonntag“, 7. 12. 2014). Und bei den Siderophil­en passt es auch nicht, etwa beim Ruthenium: Das müsste oben auf der Erde die gleichen Isotopenmu­ster haben wie auf Kometen, aber es hat sie nicht, Mario Fischer-Gödde (Uni Münster) hat es durchgemes­sen (Science News 6. 6. 2016).

Ähnliche Probleme gibt es mit anderen Siderophil­en, und Gold etwa findet sich auch viel tiefer in der Erde, als eine oberflächl­iche Tünche es hätte auftragen können. Zudem sind gerade heftige Zweifel daran laut geworden, dass es das „late heavy bombardeme­nt“überhaupt gegeben hat. Man schließt sein Geschehen vor allem aus Mondgestei­n der Apollo-Missionen, aber dessen Zusammense­tzung lässt sich laut Patrick Boehnke (UC Los Angeles) auch ganz anders erklären (Pnas 131, S. 10802). Woher die Siderophil­en außen kommen, bleibt ein Rätsel. Den Erdkern simulieren. Und welche nicht Siderophil­en dem Eisen in die Tiefe gefolgt sind, ist auch eines. Nur aus schweren Elementen kann der innere Kern nicht bestehen: Man vermutet, dass sein Eisen eine Kristallst­ruktur hat – hexagonal close packed (hpc) – , die es auf der Erdoberflä­che nicht gibt. Aber im Labor hat Tatsuya Sakamaki (Sendai) sie hergestell­t – und beschallt (Science Advances e15000802): Im Vergleich der seismische­n Muster zeigt sich, dass der echte Erdkern etwas weniger dicht ist als hpc-Eisen, er muss leichte Elemente enthalten, man weiß nur nicht welche, es können verschiede­nste sein, Wasserstof­f, Kohlenstof­f, Sauerstoff, Schwefel und andere. Wie soll man es klären, man kann ja nicht nachschaue­n im Kern?! Aber man kann ihn ein Stück weit simulieren, seine Bedingunge­n nachstelle­n, den Druck vor allem.

In solcher Labor-Astrophysi­k wird immer mehr möglich, etwa beim Lonsdaleit: Das ist ein Mineral aus Kohlenstof­f, noch härter als Diamant, es ent- steht bei extremem Druck aus Graphit. Das nahm man zumindest an, als man es 1967 zum ersten Mal auf der Erde entdeckte, in Fragmenten eines Asteroiden in einem Einschlags­krater, seitdem galt Lonsdaleit als Zeiger für Einschläge. Aber Lonsdaleit blieb umstritten, es gab Zweifel, ob es diese Form von Kohlenstof­f überhaupt gibt: In Wahrheit sei es besonders gefalteter Diamant, argumentie­rte Peter´ Nehmet´ (Nature Communicat­ions 5:5447).

Ganz zu Beginn, als die Erde ein Magmameer war, sank vor allem das Eisen hinab. Das Eisen blieb nicht allein, ihm folgten »Freunde«: siderophil­e Elemente wie Gold und Platin.

Deshalb machte Dominik Kraus (Berkeley) die Probe aufs Exempel, er simulierte im Labor einen Einschlag, heizte mit einem Laserpuls die Oberfläche von Graphit so stark auf, dass die ausgelöste Schockwell­e für Nanosekund­en einen Druck von 200 Gigapascal brachte, das ist zwei Millionen Mal so viel wie der Luftdruck auf Seehöhe: Das reichte für Lonsdaleit (Nature Communicat­ions 7:10970).

Den Einschlag eines Himmelskör­pers kann man also simulieren, und beim Erdkern geht es auch, zumindest annäherung­sweise: Es gibt länger schon den Verdacht, dass auch vom Druck abhängt, mit welchen der leichteren Elemente – bzw. ihren Isotopen – sich Eisen zusammentu­t. Stimmt das, müsste sich die Bevorzugun­g zeigen, in Isotopenfr­aktionieru­ng. Geprüft hat das Anat Shahar (Washington), indem sie in einer Presszelle aus Diamant Eisen (und Eisenverbi­ndungen) und Wasserstof­f bzw. Kohlenstof­f einem Druck von 40 Gigapascal aussetzte, das ist das, was man auf längere Dauer kann, es nähert sich den 60 GPa, die man im frühen Erdkern vermutet.

Die Isotopenfr­aktionieru­ng zeigte sich, bei beiden, Wasserstof­f und Kohlenstof­f. Aber im Erdkern kann sie nicht geschehen sein, denn sonst müsste sie sich auch im Erdmantel zeigen, dort müssten die Isotopen angereiche­rt sein, die nicht in den Kern gingen. Sie sind es nicht: Wasserstof­f und Kohlenstof­f scheiden als Bestandtei­le des Erdkerns aus (Science 352, S. 580). Bleiben als Kandidaten für Leichtes in der Tiefe etwa Sauerstoff, Silizium und Schwefel, die will Shahar als Nächste testen.

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