Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
Die Materialwissenschaft liefert die materielle Basis unserer Zivilisation, betont ein britischer Autor. Dass unser Materialverbrauch die Zivilisation aber auch bedroht, blendet er aus.
Sie müssen nicht ins Museum gehen, um darüber zu staunen, wie die Technik unser Leben verändert hat. Es reicht, wenn Sie sich in Ihrem Alltag umsehen.“Nach dieser Einleitung begibt sich der britische Materialwissenschaftler Mark Miodownik auf eine Reise durch sein faszinierendes Fachgebiet: In „Wunderstoffe“(304 Seiten, 20,60 Euro, DVA) beschreibt er die Geschichte und Zukunft von zehn Materialien, die in unserem Leben allgegenwärtig sind. Dabei geht er nicht nur auf Metalle, Papier, Glas, Kunststoffe oder Beton ein, sondern gibt auch Einblicke in „heiße“Forschungsthemen wie z. B. Aerogele (sehr leichte feste Schäume) oder Implantate. Das äußerst lesenswerte Buch kann immer wieder überraschen – etwa wenn die verschiedenen Kristallstrukturen von Kakaobutter und deren Bedeutung für das Geschmackserlebnis erklärt werden. Miodowniks Loblied auf die Materialwissenschaften gipfelt in der Aussage, dass „wir unsere Zivilisation in erster Linie diesen Stoffen verdanken. Ohne sie wären wir den Elementen genauso ausgeliefert wie die anderen Tiere.“
Da hat er wahrscheinlich recht. Die Sache hat aber eine Schattenseite, auf die der Autor nicht eingeht: Unser überbordender Materialverbrauch gefährdet gleichzeitig unsere Zivilisation. Laut UNUmweltprogramm UNEP verbraucht ein durchschnittlicher Weltbürger jährlich knapp zehn Tonnen Materialien (in Europa 20 Tonnen, in Afrika drei Tonnen). Würden alle Erdbewohner unseren materiellen Lebensstandard erreichen, wäre der weltweite Ressourcenverbrauch fast dreimal so hoch – ein Szenario, das die Tragfähigkeit der Erde wohl überspannen würde.
Als Rezept dagegen wird immer wieder die „Entkoppelung“des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum genannt – und zwar durch einen effizienteren Umgang mit den Materialien. Eine aktuelle Analyse australischer Wissenschaftler um James D. Ward ist allerdings dazu angetan, dass wir diesen Traum begraben müssen: Ein Sinken des Verbrauchs bei gleichzeitig steigendem BIP sei allenfalls in manchen Regionen und für manche Produktgruppen möglich – global gesehen hingegen nicht, so die Forscher (PlosOne 14. 10.).
Dieses Ergebnis passt – leider – zu den aktuellen UNEP-Daten: Zwar hat in den reichen OECDStaaten eine relative Entkopplung stattgefunden; das war allerdings nur deshalb möglich, weil wir die Produktion vieler Güter in andere Teile der Welt ausgelagert haben. Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.