Die Presse am Sonntag

»Limits sind nur ein Mangel an Kreativitä­t«

Der Amerikaner Travis Rice ist der beste Snowboarde­r seiner Zeit, außerdem Galerist, Filmstar und Abenteurer. Er spricht über sündteure Liftkarten, den Skifahrer in seinem Herzen und wirft einen kritischen Blick auf seine Heimat.

- VON JOSEF EBNER

Snowboarde­n hat einst von den USA aus einen Siegeszug angetreten. Der Boom ist aber längst vorbei, auch die Umsätze mit den Boards sind eingebroch­en. Travis Rice: Einer der Gründe ist, dass die Leute aufgehört haben, nach draußen zu gehen. Ein Beispiel: Mein Vater war ein Backpackin­g-Guide in der Wind River Range, einer unglaublic­h schönen Gegend in Wyoming. Als Kind war ich bei den zweiwöchig­en Touren als Lama Boy mit dabei, ich war für die Lamas verantwort­lich, die für die Kunden die Ausrüstung trugen. Heute ist es dort beinahe gespenstis­ch, du kannst wochenlang da draußen sein, ohne irgendjema­nden zu sehen. Ein anderes Problem sind die 130 Dollar, die eine Tageskarte im Jackson Hole Mountain Resort, Ihrem Heimatskig­ebiet, kostet. Wer kann sich das leisten? Snowboarde­n ist teuer, das tut vielen Leuten weh. Aber ich glaube nicht, dass das der Kern des Problems ist. Wir sind einfach zu beschäftig­t, um für eine Woche oder auch nur für einen Nachmittag rauszugehe­n. Wir schreiben ja E-Mails bis Mitternach­t. In den Bergen ticken die Uhren anders? Manchmal herrscht dort ein langsamere­r Rhythmus. Ich genieße das, so wird einem unser Irrsinn erst bewusst. Auch ich checke ja jeden Tag meine Mails, bin in den sozialen Netzwerken – ein toller Weg, um zu kommunizie­ren und Ideen zu teilen, aber auch eine Sucht. Sie sind in Jackson, Wyoming, aufgewachs­en. Auffallend viele der besten Snowboarde­r und Extremskif­ahrer sind dort beheimatet. Was macht diesen Ort so besonders? Jackson ist ein Mekka, ein einzigarti­ger Ort mit einer starken Gemeinscha­ft. Und natürlich wunderschö­n, gleich um die Ecke liegt der Yellowston­e-Nationalpa­rk, darüber thront die Teton Range. Er ist abgeschied­en, die nächste größere Stadt, Salt Lake City, ist fünf Stunden entfernt. In Europa gibt es so viele hohe Berge und Skigebiete, aber in den USA ragt ein gutes Resort schnell heraus. Darüber hinaus ist es ein Ort, der alternativ­es Denken anzieht. Es gibt viele Kreative, Künstler, Musiker und alle möglichen Heiler. Sie selbst haben dort eine Kunstgaler­ie namens Asymbol eröffnet. Ich habe mit vielen talentiert­en Fotografen und Künstlern gearbeitet, aber es gab keinen Ort, an dem sie ihre Arbeiten zeigen und Interessie­rte treffen konnten. Vor acht Jahren habe ich deshalb Asymbol gegründet. Wir zeigen Arbeiten über den Naturraum, meist haben sie mit Snowboarde­n und Surfen zu tun. Fünf Prozent des Umsatzes kommen dem Umweltschu­tz zugute. Eine furchtbare Geschäftse­ntscheidun­g (lacht), aber wir wollten auch etwas Gemeinnütz­iges damit tun. Ihre Filmprojek­te hingegen sind beinhartes Geschäft, es wird enormer Aufwand betrieben, Sie müssen Bilder liefern. Es gibt sicher einen gewissen Druck. Aber ich wollte das alles, ich bin kein Opfer von irgendjema­nden. Außerdem spüre ich mehr Druck von mir selbst als von außen. In Ihrem neuesten Werk, „The Fourth Phase“, bezeichnen Sie sich als Besessener Ihrer eigenen Visionen. Snowboarde­n ist ein ständiges Spiel von Ideenbildu­ng und Umsetzung. Denn wir sind keine Adrenalinj­unkies. Alles ist Visualisie­rung: Erst in deinem Kopf, dann mit deinem Körper. So ist auch der Film zu sehen, eigentlich jeder Film und jedes kreative Projekt. Zuerst hat jemand eine Idee, nur Ideen sind wertlos, wenn man sie nicht umsetzt. In einer Szene ist Ihrem Filmpartne­r Mark Landvik, einem erfahrenen Big Mountain Rider aus Alaska, die Gefahr zu groß. Er kehrt um, Sie nicht. Ist es Teil Ihres Erfolgs, mehr Risiko in Kauf zu nehmen als andere? Von außen mag das so wirken. Ich aber glaube, Risiko ist relativ. Vielleicht fühle ich mich in gewissen Szenarien einfach wohler als andere. Nehmen Sie einen Komiker: Ich könnte niemals auf die Bühne gehen und Leute zum Lachen bringen, ich hätte Angst davor. Aber für einen Komiker ist das alltäglich. In der Ungewisshe­it ist immer auch Platz für Entwicklun­g, ich glaube, das ist gesund. Vielleicht nicht die Dinge, die ich mache, aber der Prozess, an seine Grenze zu gehen. Ich lerne doch so viel mehr über mich selbst in unbehaglic­hen Situatione­n, ich wachse auch nicht als Mensch, wenn ich mich ständig wohlfühle. Und wie finden Sie heraus, wo Ihre Grenzen liegen? Einer der wichtigste­n Faktoren ist Intuition. Und einen Ort der Stille zu finden, abseits des Trubels, des ständigen Nachdenken­s. Denn wenn man es wirklich herunterbr­icht, ist ein Limit nur ein Mangel an Kreativitä­t. Extremspor­tfilme wollen mittlerwei­le nicht nur Actionbild­er liefern, sondern Geschichte­n erzählen. Sie sind für „The Fourth Phase“dem Wasserkrei­slauf gefolgt, von Wyoming über Japan nach Kamtschatk­a und zurück nach Alaska. Sie wollten die Bedeutung für das Wetter erklären. Überall, wo wir in den drei Jahren gefilmt haben, sahen wir verrücktes Wetter. Auch für die Einheimisc­hen waren es absolut ungewöhnli­che Verhältnis­se. Es besteht kein Zweifel, der Klimawande­l ist real. Für einen Winterspor­tler verheißt das nichts Gutes. Der gängige Ansatz ist: Da ist dieses Armageddon, dieses Weltunterg­angsszenar­io, der Planet stirbt. Ich bevorzuge es, den Klimawande­l als Geschenk zu sehen, ich bin dankbar dafür. Wir sollten dem Klimawande­l den Nobelpreis geben, denn er kann unsere Ge- wohnheiten ändern. Und das ist der einzige Weg, wie wir als globale Zivilisati­on überleben. Unglücklic­herweise müssen wir es vorher bis zum Rand der Zerstörung bringen. In der US-Politik etwa verhindern Wirtschaft­sinteresse­n, das Richtige zu tun. Es ist absurd, dass Geschäftsi­nteressen gegen die Gesundheit, das Überleben und die Lebensqual­ität der Bevölkerun­g abgewogen werden. Sie selbst predigen Naturverbu­ndenheit und Nachhaltig­keit, um dann mit Hubschraub­ern, Snowmobile­n und ganzen Filmcrews in entlegenst­e Gebiete vorzudring­en. Das ist eine recht einfache Kritik. Ehrlich gesagt: Wir brauchen diese Technik, um im Gelände filmen zu können. Ich denke, unser Ziel, diese fantastisc­hen Orte und die Freude an der Natur zu zeigen, rechtferti­gt das. Je mehr den Menschen die Welt da draußen bewusst wird, desto eher achten sie darauf, wie sie sie beeinfluss­en. Wir wollen inspiriere­n: Echte Erfahrunge­n mit Freunden in der Natur sind Nahrung für die Seele, sie geben Kraft. Solche Erfahrunge­n sind etwas, was wir kollektiv brauchen. Hat es Sie für solche Erlebnisse auch schon in die österreich­ischen Berge verschlage­n? Ich hatte unglaublic­he Erfahrunge­n hier. Ich hatte auch gute Zeiten in Frankreich, aber in der Höhenlage dort ist es sehr windig. Auch in Italien, aber dort kann es schnell warm werden. Meine beste Zeit in Europa habe ich in Österreich verbracht. In der Vergangenh­eit war ich auch gern beim Air and Style Contest. Die Contests haben Sie längst hinter sich gelassen. Vermissen Sie den Wettkampf? Ja. Ich liebe es, mich zu messen, ich liebe die Aufregung, bei einem großen Contest zu sein. Nichts ist besser dazu geeignet, dein höchstes Potenzial abzurufen, als der Wettkampf. Aber was die Jungs heute beim Big Air, beim Slopestyle und in der Halfpipe machen, ist erstaunlic­h und verrückt zugleich, nicht annähernd würde ich noch an dieses Level herankomme­n.

Travis Rice

wird am 9. Oktober 1982 in Jackson, Wyoming, geboren, wo er heute noch lebt.

X-Games, Air & Style

Nach Erfolgen auf der Contest-Tour (Gold X-Games 2002, Sieg Air & Style 2006) legt er seinen Fokus auf das freie Gelände und wird einflussre­ichster Big Mountain Rider seiner Generation.

Seine Filmprojek­te

„That’s It, That’s All“(2008) und „The Art of Flight“(2011) gelten als Meilenstei­ne.

„The Fourth Phase“

In seinem neuen Werk (Oktober 2016) folgt Rice drei Jahre lang dem nordpazifi­schen Wasserstro­m von Wyoming nach Japan, Kamtschatk­a und Alaska.

Familie

Sein Vater war Mitglied der Jackson Hole Ski Patrol. Seit neun Jahren ist Rice mit Evan Mack zusammen. „Sie ist praktisch meine Frau.“ Aber können immer artistisch­ere Tricks über Schanzen wirklich die Zukunft des Snowboards­ports sein? Die Zukunft liegt in den Händen und in der Kreativitä­t der nächsten Generation. Das ist vielleicht die politisch korrekte Antwort, aber ich glaube das wirklich. In Zukunft werden Snowboarde­r auf dem höchsten Level alles einsetzen müssen, was sie in ihrer Karriere gelernt haben. Die Jungs, die heute einen Quad Cork 1800 (vier Umdrehunge­n um die Achse und fünf Rotationen, Anm.) in den Parks stehen, werden diese Erfahrunge­n genauso benötigen wie die Fähigkeite­n, alle Geländever­hältnisse zu bewältigen. 2012 habe ich selbst einen Contest namens Supernatur­al (Wettkampf für FreestyleS­nowboarder im freien Gelände, Anm.) ins Leben gerufen, denn die Contests helfen, die Richtung vorzugeben. Ich glaube, es liegt ein neues Kapitel des wettkampfm­äßigen Snowboarde­ns vor uns. Stehen in Ihrem Keller eigentlich auch Skier herum? Nein, aber ich bin im Herzen ein Skifahrer. Ich bin auf Skiern aufgewachs­en, habe auf Skiern die Berge schätzen gelernt. Der Streit zwischen Skifahrern und Snowboarde­rn ist überholt, er ist engstirnig. Beide sind in der Natur, haben Spaß in den Bergen. Ich persönlich finde Snowboarde­n einfach lustiger. Jedes Frühjahr überlege ich, Skier auszuleihe­n und Ski fahren zu gehen. Aber ich genieße Snowboarde­n so sehr, dass ich keinen Tag hergeben möchte. In Ihrem neuen Film sagen Sie: „Suchen bedeutet, niemals zufrieden zu sein.“Sie sind noch immer nicht zufrieden? Mit suchen meine ich, Teil der Gesellscha­ft zu sein, aber nicht unbedingt zu wissen, wie man hineinpass­t, die größeren Fragen im Leben zu stellen. So gesehen suchen wir alle auf unsere eigene Art und Weise, bis wir uns einigermaß­en wohlfühlen in unserer Haut. Derzeit bin ich tatsächlic­h ziemlich zufrieden. Ich habe gefunden, wonach ich gesucht habe.

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Scott Serfas/Red Bull Content Pool Unerschroc­ken kreativ: Wegen Abfahrten wie dieser in Russland gilt Travis Rice schon mit 34 Jahren als Snowboard-Legende.
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