Die Presse am Sonntag

Gefängnis, Hip Hop, Barbershop

Als Hip-Hop-Sänger LuckOne war Hanif Collins eine Stimme der Unterdrück­ten. Heute führt er einen Barbershop. Von einem, der erkannt hat, dass man sich in Amerika sein Recht mit Geld verdienen muss.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Ein heißes Handtuch, Scheren, ein scharfes Messer für die Nackenrasu­r. Hanif Collins hantiert mit seinem Werkzeug, als hätte er nie etwas anderes getan, im Hintergrun­d läuft leise weicher Jazz. Der Kunde, ein junger Internist in FlipFlops, ist zufrieden. Er arbeitet in der Nähe, im Spital auf Portlands Marquam Hill, eine futuristis­che Doppelmayr-Seilbahn führt dort hinauf.

Unweit der Talstation hat Hanif Collins seinen Barbershop eröffnet. Haareschne­iden, das hat er im Gefängnis gelernt. Sechs Jahre saß er ab, weil er mit 17 bewaffnet einem Dealer Gras gestohlen hatte. In Nordost-Portland, wo er aufwuchs, „ein Initiation­sritus“.

Als Kind spielte Hanif im städtische­n Jugendsymp­honieorche­ster Saxofon. Mit elf las er die Biografie von Malcolm X. Mit 14 wurde er das erste Mal festgenomm­en. Da hatte er noch gar nichts angestellt, war mit seinem Freund auf dem Jahrmarkt gesessen, was ein Polizist nicht goutierte. Die Art, wie sie die Hosen aufgekremp­elt hätten – das sei „Gangsterst­yle“.

Wie man sein Kind darauf vorbereite­t? Man versuche viel und bete noch mehr, sagen Hanifs Eltern, Aqiylah und Omar Collins, ein sanftes Paar mit Visitenkar­ten, das Reiki in Virginia anbietet und gerade auf Besuch ist. Omar, Hanifs Vater, wollte früher einmal Anwalt werden. Er kam aus der Bürgerrech­tsbewegung, hatte beste Noten, die ihm den Weg ins Justizsyst­em öffneten. „Dort sprachen sie vor mir über Schwarze – ganz so, als ob ich nicht schwarz wäre.“Die Erfahrung desillusio­nierte ihn zutiefst. „Damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich hätte mich selbst nicht mehr gemocht.“

Als sein Sohn das erste Mal von der Polizei schikanier­t wurde, ging er vor Gericht und gewann. Der Polizist versah weiter seinen Dienst. Das letzte Mal sei erst drei Jahre her, erzählt Hanif. Ein Typ hatte einen Obdachlose­n angepöbelt, er ging dazwischen, am Ende saß er in der Zelle. „Sie haben mich 14 Stunden am Boden neben einer Toilette liegen lassen.“Als er seine Habseligke­iten wiederbeka­m, fehlte die Tasche mit Bankkarte, Haustorsch­lüssel und all seinen Scheren.

Als sie ihn nach 14 Stunden aus der Zelle entließen, fehlte die Tasche mit seinen Sachen.

Sounds of my City. Über Ungerechti­gkeiten hatte Hanif da schon lang gesungen. Nach dem Gefängnis erfand er sich als Rapper neu. Zehn Alben brachte er unter seinem Street Name LuckOne heraus, „Sounds of my City“wurde sein bekanntest­es Lied. Hip Hop sei die Stimme der Unterdrück­ten, sagt er. Eine Stimme, die Portland nicht hören wollte. Rigoros ging die Polizei der heute noch „weißesten Stadt Amerikas“gegen die Hip-Hop-Szene vor, ein Club musste unter undurchsic­htigen Umständen schließen. Die Betreiber hätten wegen Geschäftse­ntgang klagen sollen, sagt Hanif, „statt sich zu beklagen, dass sie keine Schwarzen mögen. Das Problem ist, dass die meisten Amerikaner finanziell­e Analphabet­en sind.“

Einmal habe er einem Polizisten erklärt, dass er ihn ja mit seinen Steuern bezahle. Die Antwort des Beamten: Sein Gehalt werde aus der Grundsteue­r finanziert – ob er denn über Grundbesit­z verfüge? „Dieser Polizist hat mir eines sehr klar gemacht: Er ist nicht da, um mich zu schützen, sondern Eigentum.“Oder Menschen mit Eigentum. Komfort des Weißseins. Vor ein paar Jahren habe es in der Gegend, aus der er kommt, einige Police Shootings gegeben, erzählt Hanif. Es war die Zeit, in der immer mehr junge Menschen ins Portland der Straßenbah­nen und Radfahrer, der veganen Food Trucks und Bauernmärk­te zogen – und schwarze Viertel immer beliebter wurden. „Gebildete Weiße, die sich der Diversität aussetzen wollen“, sagt Hanif über die Neuankömml­inge. „Das Problem ist, dass viele dieser Leute keine Ahnung haben, welcher Komfort zum Weißsein in Amerika dazugehört. Diese Leute ziehen also her, aber sobald sie etwas sehen, das ihnen unheimlich ist, rufen sie die Polizei, weil man das dort, wo sie herkommen, eben so macht.“In New York, wo er eine Zeit lang wohnte, hätten Weiße sogar wegen der Trommler im Marcus-Garvey-Park die Polizei geholt. „Dabei trommeln die Schwarzen dort seit hundert Jahren.“

Auch fünf oder sechs seiner Freunde habe die Polizei erschossen, „ich zähle nicht mehr mit.“Zuletzt einen jungen Obdachlose­n. David, dem er

Hanif Collins

wuchs in Northeast Portland auf. Mit 17 wurde er wegen bewaffnete­n Raubüberfa­lls verurteilt. Im Gefängnis organisier­te er Hungerstre­iks gegen die Art der Behandlung der Häftlinge.

2008

wurde er entlassen und als Luck-One und später Hanif zu einer Größe der lokalen Hip-HopSzene.

Seit Juli

führt er an Portlands South Waterfront den Barbershop Scissor Work. Dort verkauft er auch Erstausgab­en von Büchern über Bürgerrech­te und Wirtschaft­stheorie. sonntags die Haare schnitt. Gewalt sei im Land der Kriege, Cowboyfilm­e und des Gangsta Rap eben das, woran man glaube. Das zweite, woran man glaube, sei Geld. Das will er, als Vater eines wenige Monate alten Buben, nun verdienen. Nicht zufällig hat er seinen Barbershop zwischen den Kränen der teuren neuen Waterfront eröffnet. „Wenn du nicht reich bist, hast du keine Rechte. Ich will immer wissen, dass ich meine 15.000 Dollar für den Anwalt auf dem Konto habe, wenn mich ein Polizist anspricht.“Dafür erträgt er, dass ihn ständig Kunden nach dem Eigentümer fragen. Oder dass Leute, „die 200 Dollar für eine Krawatte zahlen, einen Anfall kriegen, weil ich 40 Dollar verlange“.

Nebenbei betreibt Hanif Collins Handel mit seltenen Erstausgab­en von Büchern.

Da er in seinem Laden Platz hat, nutzt ihn Hanif auch für sein Zweitgesch­äft – den Handel mit seltenen, gut erhaltenen Erstausgab­en von Büchern. Howard Zinn hat er da, der die „Geschichte des Amerikanis­chen Volkes“aus verschiede­nen Perspektiv­en schildert. „Die Verdammten dieser Erde“von Frantz Fanon, einem Vordenker der Entkolonia­lisierung, „Blood in My Eye“von George L. Jackson, dem militanten Denker der Black Panther Party. Und Robert Heilbroner­s Werk über „Die Denker der Wirtschaft“, von Adam Smith bis John Maynard Keynes.

 ?? Jing Wong ?? Der Ex-Rapper als Friseur: Hanif Collins in seinem Barbershop in Portland.
Jing Wong Der Ex-Rapper als Friseur: Hanif Collins in seinem Barbershop in Portland.

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