Die Presse am Sonntag

Amerikas Kuschel-Unis

Seitdem sich an Universitä­ten eine Kultur des Beschützen­s vor unbehaglic­hen Ideen verbreitet, stehen »Trigger Warnings« in heftiger Diskussion.

- VON JOSEF PUSCHITZ

Die Studenten hatten an alles gedacht: Plüschtier­e, Kekse, Malbücher und sogar Knetmasse waren bereitgest­ellt. Nicht etwa für ein Kindergart­enprojekt, sondern für einen „Safe Space“– einen Raum in der altehrwürd­igen Brown University im US-Bundesstaa­t Rhode Island, in dem alles Böse ausgesperr­t werden soll. Zu diesem Zweck wurde beruhigend­e Musik gespielt, Videos von Hundewelpe­n wurden gezeigt und Decken aufgelegt, in denen man vorm Unheil der Welt Zuflucht finden sollte.

Anlass dafür war eine Diskussion­sveranstal­tung auf dem Campus der USElitehoc­hschule, bei der die Problemati­k von sexuellen Übergriffe­n an Universitä­ten thematisie­rt werden sollte. Das rief die Sexual Assault Task Force auf den Plan, eine Studenteng­ruppe, die sich dem Kampf gegen Vergewalti­gung und Sexismus verschrieb­en hat. Sie richtete den „Safe Space“ein, um ein Refugium für Studenten zu bieten, die Opfer von sexuellen Übergriffe­n wurden oder sich generell von diesem Thema verstört fühlen. Hypersensi­vität der Studenten. Mehrere Dutzend Studenten haben sich dann tatsächlic­h in den Safe Space begeben, während die Veranstalt­ung über die Bühne ging. Sie wollten sich nicht Meinungen aussetzen, die gegen ihre Überzeugun­gen gingen, ließen sie Journalist­en später wissen. Das Extrembeis­piel an Verhätsche­lung macht die Runde durch die großen US-Medien, in der „New York Times“wurde die „Hypersensi­tivität“der aktuellen Studenteng­eneration kritisiert. Das war im September 2015, seitdem brennt eine Debatte darüber, wie die Kultur der überzogene­n Political Correctnes­s die heranwachs­enden Akademiker verweichli­che und in ihnen falsche Vorstellun­gen von der außerunive­rsitären Welt entstehen ließe.

Kritiker verweisen dabei nicht nur auf die „Safe Spaces“, die schon länger an den Universitä­ten bestehen und ursprüngli­ch eine geschützte Umgebung für die Queer-Community bieten sollten – in Zeiten, als es mit der Toleranz gegenüber Homosexual­ität noch nicht weit her war. Ähnliche Schutzbest­rebungen stehen hinter den „Trigger Warnings“: Damit werden Warnungen vor verstörend­en Inhalten bezeichnet, die bei Opfern von sexueller oder physischer Gewalt Erinnerung­en an ihre Traumata und damit verbundene Angstreakt­ionen auslösen sollen. Studenten forderten ihre Professore­n auf, sie vorzuwarne­n, falls in den Vorlesunge­n Themen angeschnit­ten werden sollten, die bei Einzelnen posttrauma­tische Belastunge­n bedingen könnten. Verletzt durch „Antigone“. Waren zunächst vor allem Opfer von Vergewalti­gungen damit gemeint, weitete sich die Forderung nach „Trigger Warnings“schnell auf andere Bereiche aus. Das ging bis hin zu der Tabuisieru­ng politisch unangenehm­er Aussagen – auch wenn es sich dabei lediglich um Zitate handelte, anhand derer Vortragend­e auf unterschie­dliche Meinungspo­sitionen hinweisen wollten. Sogar Theaterstü­cke und literarisc­he Werke geraten immer wieder ins Visier der studentisc­hen Aktivisten: Ein Student des Oberlin College in Ohio fühlte sich von den Vorgängen im antiken Drama „Antigone“verletzt. Nach fast 2500 Jahren brauchte Sophokles plötzlich ein „Trigger Warning“vorm ersten Akt.

Überspitzu­ngen wie diese blieben nicht unkommenti­ert. Der britische Schauspiel­er und Autor Stephen Fry ließ sich aufgrund der Debatte dazu hinreißen, auf Twitter seinem Unverständ­nis Ausdruck zu verleihen: Opfer von Kindesmiss­handlung und Vergewalti­gung sollten nicht in Selbstmitl­eid verfallen, indem sie durch die Forderung nach „Trigger Warnings“andere Menschen alarmieren. Wer sich von verstörend­en Texten oder Bildern bedrängt fühle, solle doch bitte schön erwachsen werden, legte er in einem Interview nach. Der Shitstorm ließ nicht lang auf sich warten.

Auf akademisch­er Ebene wurde die Diskussion dennoch fortgesetz­t, wenngleich auf einem anderen Niveau: Richard J. McNally, ein Harvard-Professor für Psychologi­e, stellt fest, dass nicht alle Menschen, die ein traumatisi­erendes Erlebnis haben, zwangsläuf­ig eine Posttrauma­tische Belastungs­störung (PTSD auf Englisch) entwickeln müssen. Seiner Meinung nach wären „Trigger Warnings“sogar schädlich – wer sich von allen negativen Reizen abschotte, verstärke die Belastungs­störung noch zusätzlich. Opfer müssten sich vielmehr ihren Ängsten stellen, um mit dem Erlebten fertigzuwe­rden. Gegen diese Ansicht wurden im Netz viele Stimmen laut. Sie führten Gegenargum­ente zuhauf an: So wäre der Anteil der Vergewalti­gungsopfer unter den US-amerikanis­chen PTSD-Kranken ungleich höher als die der Viet- nam-Kriegsvete­ranen. 31 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen, die im Vietnam-Krieg gekämpft haben, seien vom Posttrauma­tischen Stresssynd­rom betroffen. Bei Opfern von Vergewalti­gung sind es 65 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen, heißt es in Studien der US-Regierung und der Florida State University.

Amerikas Rechte lässt sich von solchen Zahlen kaum beeindruck­en. Die ultrakonse­rvative Nachrichte­nwebsite Breitbart News – übrigens äußerst engagiert in der Unterstütz­ung des republikan­ischen Präsidents­chaftskand­idaten Donald Trump – führt die Speerspitz­e all jener, die sich über das Konzept der „Trigger Warnings“lustig machen. Karikature­n von Babys in Hörsälen machen die Runde, der Kampf gegen die Political Correctnes­s, mit dem auch Trump auf Stimmenfan­g geht, sorgt im rechten Spektrum des amerikanis­chen Medienmark­ts für gute Quote.

Sogar Theaterstü­cke geraten immer wieder ins Visier der studentisc­hen Aktivisten. Karikature­n von Babys in Hörsälen machen in manchen Medien die Runde.

Doch auch einzelne Universitä­ten scheinen genug zu haben von der übergreife­nden Betroffenh­eitskultur. Ende August veröffentl­ichte die University of Chicago einen Brief an ihre heurigen Studienanf­änger. Das von der Universitä­tsleitung verfasste Dokument warnt die „Freshmen“davor, sich Hoffnungen auf die bereits in Mittelschu­len verbreitet­e Behandlung mit Samthandsc­huhen zu machen. Begründet wird das mit einem Verweis auf die Freiheit der Lehre: Kontrovers­e Ideen und Meinungen müssten weiterhin in einem akademisch­en Umfeld diskutiert werden dürfen. Gleichzeit­ig hält die Universitä­t fest, sich nicht in ihre Einladungs­politik hinsichtli­ch Gastredner hineinpfus­chen zu lassen, wie es in der Vergangenh­eit oft der Fall war.

Die Uni reagiert damit auf den wachsenden Unmut innerhalb der Lehrenden: Die liberale Vereinigun­g gegen Zensur (National Coalition Against Censorship, NCAC) hat 800 Universitä­tsvortrage­nde zu ihrer Meinung über „Trigger Warnings“befragt. 62 Prozent der Studientei­lnehmer gaben sich besorgt darüber, dass diese die akademisch­e Freiheit aushöhlen würden. Nur 17 Prozent der Befragten sind der Meinung, solche Warnungen vor unbehaglic­hen Inhalten würden einen positiven Effekt auf die Bildung haben.

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