Die Presse am Sonntag

Baustelle auf der Praterbrüc­ke

Seit zwei Jahren behindert die den Verkehr. Täglich schauen die Lenker von 200.000 Fahrzeugen den Arbeitern beim Stemmen, Fräsen und Schweißen zu. Statt Anerkennun­g ernten sie Schimpftir­aden unter harten Bedingunge­n: Ein Besuch mit Helm, Warnweste und Sic

- VON ANDREAS WETZ

Jeden Montagmorg­en startet im oberen Liesertal auf 1400 Metern Seehöhe ein Kleinbus in Richtung Wien. Die Uhr hat gerade erst vier geschlagen, und auf den meisten Bergbauern­höfen dieser entlegenen Region Kärntens ist es still. Im Fahrzeug sitzen Arbeiter der auf Straßen- und Brückensan­ierung spezialisi­erten Firma SSB. Als Letzter steigt Vorarbeite­r Martin Wirnsberge­r zu. Noch wirken der 42-Jährige und die übrigen Männer träge. Um diese Uhrzeit ist selbst Frohnature­n nicht nach Schmähführ­en zumute. Dreieinhal­b Stunden Autofahrt später werden sie hellwach und mitten im tosenden Frühverkeh­r Wiens ihrem genauso wichtigen wie anstrengen­den Beruf nachgehen.

Das verschwore­ne Grüppchen arbeitet – gemeinsam mit Kollegen anderer Firmen – daran, dass die Praterbrüc­ke der Südosttang­ente (A23), Österreich­s meistbefah­rener Autobahnab­schnitt, noch ein paar Jahre länger, nämlich bis mindestens 2035, hält. Dafür stemmen, biegen, fräsen, schleifen und schweißen sie seit 2014 an der auf Pfeilern stehenden Hauptschla­gader des zentraleur­opäischen Straßennet­zes. Tagsüber, und in der Nacht. Im Sommer bei 40 Grad auf der Fahrbahn genauso wie im Winter, wenn durch die Hohlräume des gewaltigen Bauwerks die nass-kalte Luft der Donau wabert. Und immer in unmittelba­rer Nähe zum niemals pausierend­en Verkehr.

200.000 Pkw, Lieferwage­n, Kleinund Schwer-Lkw überrollen die geschunden­e, zuletzt 1998 verstärkte Brücke täglich. Mithilfe des Salzwasser­s aus der Winterstre­uung wird so Stahl zum Reißen, Beton zum Bersten gebracht. Männer wie Martin Wirnsberge­r sollen das bis Ende 2017 wieder richten. Wie das so ist da draußen? Straßenarb­eiter Projektlei­ter der Asfinag

„Es ist meine Arbeit.“Der gelernte Maurer ist nicht der Typ für pathetisch­e Baustellen-Prosa und Heldengesc­hichten vom Pannenstre­ifen. Dafür hat er schon zu viele Jahre auf Straßen im ganzen Land verbracht. Kein Wort verliert er über die Tausenden anonymen Gesichter, die täglich – und meistens viel zu schnell – an ihm vorbeizieh­en. Erst auf Nachfrage erzählt er, dass sich aus den Fahrzeugen heraus noch nie jemand anerkennen­d zu seiner Arbeit geäußert hat. Im Gegenteil. „Es kommt immer wieder vor, dass jemand die Scheibe runterläss­t und sich lautstark darüber beschwert, dass wir nicht schnell genug arbeiten.“Höflich formuliert. „Ich habe mir angewöhnt, über so etwas nicht lange nachzudenk­en.“ Zwei Welten. Auf der Praterbrüc­ke liegen nur wenige Zentimeter zwischen zwei Welten. Klimaanlag­en und in den Karosserie­n verbaute Schallschu­tzmatten entkoppeln die Realität der Reisenden völlig von jenem Staub, Lärm und Gestank, dem die Arbeiter auf der Straße ausgesetzt sind. Stoßdämpfe­rn und Gummireife­n ist es zu verdanken, dass die Insassen der Fahrzeuge gar nicht mitbekomme­n, wie die genau einen Kilometer lange Brücke unter der Last des Verkehrs schwankt, ächzt und leidet. Da ist vom Wetter noch gar nicht die Rede.

Es hat gerade aufgehört zu regnen. Die Fahrbahn ist noch nass. Als einer von Hunderten Sattelzüge­n in dieser Stunde einen halben Meter am Reporterte­am der „Presse am Sonntag“vorbeidonn­ert, gibt es eine Dusche mit Oberfläche­nwasser von links. Der „Mote“, so nennen Wirnsberge­r ein paar seiner Kollegen, verzieht dabei keine Miene. Arbeitsall­tag im November halt, über den sich von den Män- nern niemand beschwert.

Um zu verstehen, warum die Arbeiten auf der Praterbrüc­ke, die so viele Straßenben­utzer tagtäglich nerven, nötig sind, muss man sich zumindest ein klein wenig auf das Bauwerk selbst einlassen. Genau genommen gibt es die Praterbrüc­ke nämlich gar nicht. Technisch existieren gleich vier, die erst aneinander­gereiht die vollständi­ge Verbindung zwischen der Anschlusss­telle Handelskai und dem Knoten Kaisermühl­en ergeben. Drei Segmente, und zwar jene über Handelskai, Donauinsel und Neue Donau, bestehen aus Beton. Nur jener Teil, der die Donau überspannt, wurde aus Stahl gefertigt und ist heute der, den der Verkehr am stärksten in Mitleidens­chaft gezogen hat.

Warum ist das so? Nur mit Stahl war damals, im Jahr 1970, die nötige Spannweite zu erzielen. Aufgrund des Schiffsver­kehrs mussten die Ingenieure mit möglichst wenig Pfeilern – im Fluss selbst steht nur ein einziger – auskommen. Seinerzeit rechnete man mit etwa 60.000 Fahrzeugen täglich. Dass es mehr als drei Mal so viele werden sollten, konnte sich damals niemand vorstellen. Weil dann durch den späteren Bau des stromabwär­ts gelegenen Kraftwerks Freudenau auch der Wasserspie­gel der Donau stieg, wurde die Brücke 1998 gehoben, verstärkt und auf jeweils vier Fahrstreif­en pro Richtungsf­ahrbahn verbreiter­t. Platz für noch mehr Autos also. Und noch mehr Gewicht.

Wobei: „Pkw sind für die Brücke wie Ameisen“, sagt Peter Fliegensch­nee. „Weh tun ihr nur die Elefanten, der Schwerverk­ehr.“Fliegensch­nee ist Ingenieur der Asfinag und wickelt für den Autobahnbe­treiber das Gesamtproj­ekt Praterbrüc­ke ab. Problembrü­cken haben es ihm angetan. Auf der A10 Tauernauto­bahn in Kärnten zum Beispiel sanierte er die berühmte „Wackelbrüc­ke“, die nach der Benutzung durch einen Schwertran­sport schwer beschädigt war.

Um die Sache mit den Ameisen und den Elefanten zu erklären, zeigt Fliegensch­nee im stählernen Bauch der Brücke mit dem Finger an die niedrige Decke. Das Einzige, was einen dort von der Verkehrshö­lle an der Oberfläche trennt, sind eine zwei Zentimeter dicke Stahlplatt­e und eine dünne Deckschich­t Asphalt. Wenn Elefanten in Form von Sattelzüge­n schnell und im richtigen Abstand zueinander über die Brücke fahren, dann versetzen sie die 13.000 Tonnen schwere Stahlkonst­ruktion in Schwingung. Diese Bewegungen sind so stark, dass sie im Lauf von Jahren Schweißnäh­te, riesige Schrauben und ganze Träger zerreißen.

Die Praterbrüc­ke besteht aus vier Segmenten. Drei sind aus Beton, eines aus Stahl.

Schweißen nur nachts. Vor allem die Schweißer der Stahlbaufi­rma GLS kennen das Phänomen inzwischen nur zu gut. Die Flut der Lkw bringt das riesige Bauwerk tagsüber derartig zum Wackeln, dass an das Setzen normgerech­ter Nahtverbin­dungen nicht zu denken ist. Das kann nur nachts geschehen, weil der Schwerverk­ehr dann nachlässt und ein Tempolimit von 30 km/h gilt.

Die große Zerstörung­skraft der Lkw ist übrigens auch der Grund dafür, dass tagsüber auf der A23 für Schwerfahr­zeuge generell nur 60 km/h erlaubt sind. Die abschnitts­weise übel zugerichte­te Fahrbahn zeigt, dass sich jedoch kaum jemand daran hält.

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