Baustelle auf der Praterbrücke
Seit zwei Jahren behindert die den Verkehr. Täglich schauen die Lenker von 200.000 Fahrzeugen den Arbeitern beim Stemmen, Fräsen und Schweißen zu. Statt Anerkennung ernten sie Schimpftiraden unter harten Bedingungen: Ein Besuch mit Helm, Warnweste und Sic
Jeden Montagmorgen startet im oberen Liesertal auf 1400 Metern Seehöhe ein Kleinbus in Richtung Wien. Die Uhr hat gerade erst vier geschlagen, und auf den meisten Bergbauernhöfen dieser entlegenen Region Kärntens ist es still. Im Fahrzeug sitzen Arbeiter der auf Straßen- und Brückensanierung spezialisierten Firma SSB. Als Letzter steigt Vorarbeiter Martin Wirnsberger zu. Noch wirken der 42-Jährige und die übrigen Männer träge. Um diese Uhrzeit ist selbst Frohnaturen nicht nach Schmähführen zumute. Dreieinhalb Stunden Autofahrt später werden sie hellwach und mitten im tosenden Frühverkehr Wiens ihrem genauso wichtigen wie anstrengenden Beruf nachgehen.
Das verschworene Grüppchen arbeitet – gemeinsam mit Kollegen anderer Firmen – daran, dass die Praterbrücke der Südosttangente (A23), Österreichs meistbefahrener Autobahnabschnitt, noch ein paar Jahre länger, nämlich bis mindestens 2035, hält. Dafür stemmen, biegen, fräsen, schleifen und schweißen sie seit 2014 an der auf Pfeilern stehenden Hauptschlagader des zentraleuropäischen Straßennetzes. Tagsüber, und in der Nacht. Im Sommer bei 40 Grad auf der Fahrbahn genauso wie im Winter, wenn durch die Hohlräume des gewaltigen Bauwerks die nass-kalte Luft der Donau wabert. Und immer in unmittelbarer Nähe zum niemals pausierenden Verkehr.
200.000 Pkw, Lieferwagen, Kleinund Schwer-Lkw überrollen die geschundene, zuletzt 1998 verstärkte Brücke täglich. Mithilfe des Salzwassers aus der Winterstreuung wird so Stahl zum Reißen, Beton zum Bersten gebracht. Männer wie Martin Wirnsberger sollen das bis Ende 2017 wieder richten. Wie das so ist da draußen? Straßenarbeiter Projektleiter der Asfinag
„Es ist meine Arbeit.“Der gelernte Maurer ist nicht der Typ für pathetische Baustellen-Prosa und Heldengeschichten vom Pannenstreifen. Dafür hat er schon zu viele Jahre auf Straßen im ganzen Land verbracht. Kein Wort verliert er über die Tausenden anonymen Gesichter, die täglich – und meistens viel zu schnell – an ihm vorbeiziehen. Erst auf Nachfrage erzählt er, dass sich aus den Fahrzeugen heraus noch nie jemand anerkennend zu seiner Arbeit geäußert hat. Im Gegenteil. „Es kommt immer wieder vor, dass jemand die Scheibe runterlässt und sich lautstark darüber beschwert, dass wir nicht schnell genug arbeiten.“Höflich formuliert. „Ich habe mir angewöhnt, über so etwas nicht lange nachzudenken.“ Zwei Welten. Auf der Praterbrücke liegen nur wenige Zentimeter zwischen zwei Welten. Klimaanlagen und in den Karosserien verbaute Schallschutzmatten entkoppeln die Realität der Reisenden völlig von jenem Staub, Lärm und Gestank, dem die Arbeiter auf der Straße ausgesetzt sind. Stoßdämpfern und Gummireifen ist es zu verdanken, dass die Insassen der Fahrzeuge gar nicht mitbekommen, wie die genau einen Kilometer lange Brücke unter der Last des Verkehrs schwankt, ächzt und leidet. Da ist vom Wetter noch gar nicht die Rede.
Es hat gerade aufgehört zu regnen. Die Fahrbahn ist noch nass. Als einer von Hunderten Sattelzügen in dieser Stunde einen halben Meter am Reporterteam der „Presse am Sonntag“vorbeidonnert, gibt es eine Dusche mit Oberflächenwasser von links. Der „Mote“, so nennen Wirnsberger ein paar seiner Kollegen, verzieht dabei keine Miene. Arbeitsalltag im November halt, über den sich von den Män- nern niemand beschwert.
Um zu verstehen, warum die Arbeiten auf der Praterbrücke, die so viele Straßenbenutzer tagtäglich nerven, nötig sind, muss man sich zumindest ein klein wenig auf das Bauwerk selbst einlassen. Genau genommen gibt es die Praterbrücke nämlich gar nicht. Technisch existieren gleich vier, die erst aneinandergereiht die vollständige Verbindung zwischen der Anschlussstelle Handelskai und dem Knoten Kaisermühlen ergeben. Drei Segmente, und zwar jene über Handelskai, Donauinsel und Neue Donau, bestehen aus Beton. Nur jener Teil, der die Donau überspannt, wurde aus Stahl gefertigt und ist heute der, den der Verkehr am stärksten in Mitleidenschaft gezogen hat.
Warum ist das so? Nur mit Stahl war damals, im Jahr 1970, die nötige Spannweite zu erzielen. Aufgrund des Schiffsverkehrs mussten die Ingenieure mit möglichst wenig Pfeilern – im Fluss selbst steht nur ein einziger – auskommen. Seinerzeit rechnete man mit etwa 60.000 Fahrzeugen täglich. Dass es mehr als drei Mal so viele werden sollten, konnte sich damals niemand vorstellen. Weil dann durch den späteren Bau des stromabwärts gelegenen Kraftwerks Freudenau auch der Wasserspiegel der Donau stieg, wurde die Brücke 1998 gehoben, verstärkt und auf jeweils vier Fahrstreifen pro Richtungsfahrbahn verbreitert. Platz für noch mehr Autos also. Und noch mehr Gewicht.
Wobei: „Pkw sind für die Brücke wie Ameisen“, sagt Peter Fliegenschnee. „Weh tun ihr nur die Elefanten, der Schwerverkehr.“Fliegenschnee ist Ingenieur der Asfinag und wickelt für den Autobahnbetreiber das Gesamtprojekt Praterbrücke ab. Problembrücken haben es ihm angetan. Auf der A10 Tauernautobahn in Kärnten zum Beispiel sanierte er die berühmte „Wackelbrücke“, die nach der Benutzung durch einen Schwertransport schwer beschädigt war.
Um die Sache mit den Ameisen und den Elefanten zu erklären, zeigt Fliegenschnee im stählernen Bauch der Brücke mit dem Finger an die niedrige Decke. Das Einzige, was einen dort von der Verkehrshölle an der Oberfläche trennt, sind eine zwei Zentimeter dicke Stahlplatte und eine dünne Deckschicht Asphalt. Wenn Elefanten in Form von Sattelzügen schnell und im richtigen Abstand zueinander über die Brücke fahren, dann versetzen sie die 13.000 Tonnen schwere Stahlkonstruktion in Schwingung. Diese Bewegungen sind so stark, dass sie im Lauf von Jahren Schweißnähte, riesige Schrauben und ganze Träger zerreißen.
Die Praterbrücke besteht aus vier Segmenten. Drei sind aus Beton, eines aus Stahl.
Schweißen nur nachts. Vor allem die Schweißer der Stahlbaufirma GLS kennen das Phänomen inzwischen nur zu gut. Die Flut der Lkw bringt das riesige Bauwerk tagsüber derartig zum Wackeln, dass an das Setzen normgerechter Nahtverbindungen nicht zu denken ist. Das kann nur nachts geschehen, weil der Schwerverkehr dann nachlässt und ein Tempolimit von 30 km/h gilt.
Die große Zerstörungskraft der Lkw ist übrigens auch der Grund dafür, dass tagsüber auf der A23 für Schwerfahrzeuge generell nur 60 km/h erlaubt sind. Die abschnittsweise übel zugerichtete Fahrbahn zeigt, dass sich jedoch kaum jemand daran hält.