Vollauslastung im Notquartier
Vor zehn JŻhren öffnete ©ie NotschlŻfstelle Vinzi-Bett. Seit ©ŻmŻls sin© t´glich 100 Prozent ©er Betten ãelegt. Der Grun©: Bei oã©Żchlosen EU-Bürgern versŻgen Wien, Bun© un© Union.
Es gibt Tage, an denen ist Ivan Cezar so betrunken, dass er sich nicht nach Hause traut. Dann greift er zum Telefon, wischt mit zitternder Hand über das Display, wählt eine Nummer und sagt: „Ich schlafe heute auswärts.“Cezars Zuhause, das ist die Notschlafstelle Vinzi-Bett in der Ottakringer Straße 20.
Auswärts, das bedeutet für den 36-Jährigen und seinesgleichen im Idealfall eine unruhige Nacht in einem Sessel der Wiener Nacht-U-Bahn. Läuft es nicht so gut, dann sucht er sich mit seinem Schlafsack ein halbwegs von der Witterung geschütztes Plätzchen auf der Donauinsel, unter irgendeiner Brücke oder auf den Grünflächen im Umfeld des Westbahnhofs. Als rumänischer Staatsbürger hat er – wie andere Unionsbürger auch – keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Dennoch ziehen Menschen wie Cezar nach wie vor, insbesondere aus den osteuropäischen Unionsstaaten, nach Wien, um hier ein besseres Leben zu beginnen.
Für die, die dabei scheitern, gibt es in Österreich nichts. Keine Almosen, keine Mindestsicherung, kein nettes Wort. Anders als zum Beispiel Flüchtlinge müssen Unionsbürger hier für zumindest einige Monate einer Arbeit nachgegangen sein, um wenigstens auf befristete Sozialleistungen hoffen zu dürfen. Bei Flüchtlingen funktioniert das sofort. Der offizielle Gedanke dahinter ist, dass Europäer in ihrer Heimat nicht um ihr Leben fürchten müssen und daher einfach dorthin zurückkehren können. Der inoffizielle lautet: Diese Leute sind das Problem ihrer Herkunftsstaaten, nicht unseres.
Tatsächlich bleibt die Sache jedoch an Hedi Klima und ihren 40 ehrenamtlichen Mitarbeitern hängen. Seit genau zehn Jahren bieten sie diesen Menschen im Vinzi-Bett der Vinzi-Werke zumindest einen Schlafplatz. Dabei war die Einrichtung eigentlich als Spezialangebot für Sandler, Landstreicher und Trinker aus Österreich gedacht. „Wir sahen jedoch schnell, dass die Not an einer anderen Ecke dieser Stadt viel größer ist“, erinnert sie sich heute. DilemmŻ begŻnn im Kin©erheim. 47 Betten stehen dort seither für Obdachlose zur Verfügung. Die Bedingungen für eine Aufnahme sind sozial zumindest halbwegs verträgliches Benehmen, das Bezahlen von einem bis drei Euro Betriebskostenbeitrag pro Nacht – und Platz im Haus. Der ist nämlich knapp. Seit die Einrichtung am 8. November 2006 öffnete, verging kein Tag, an dem nicht alle Betten belegt waren. 100 Prozent Auslastung.
Wovon kommerzielle Vermieter nur träumen. „Eigentlich wünsche ich mir, dass das Vinzi-Bett nicht mehr gebraucht wird“, sagt Klima in ihrem kleinen Büro. Tatsächlich könnte sie wohl auch ein viel größeres Haus mit Menschen wie Ivan Cezar füllen. Traurige Lebensläufe gibt es nämlich genug. Scheidungsopfer, ehemalige Spieler, auf der Durchreise Hängengebliebene.
Cezar wurde in seiner Heimat in den Wirren rund um den Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu von seiner Mutter in einem der berüchtigten Kinderheime abgegeben. Was dort geschah, darüber spricht er nicht. Fest steht nur, dass er in jener Zeit als Jugendlicher den Grundstein für sein heutiges Alkoholproblem legte. Mit 18 musste er das Heim verlassen, hauste anschließend eine Zeit lang in der
Vinzi-Bett.
2006 gegründet, kümmern sich Hedi Klima (Foto) und ihr Team vor allem um Personen, die hier keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.
Spen©en.
Das VinziBett finanziert sich ohne öffentliche Förderungen aus privaten Spenden. Die meisten Kosten verursacht die monatliche Miete in Höhe von 5000 Euro. Dieser Ausgabe liegt ein Erlagschein der Vinzi-Werke bei. Auch Onlinespenden sind möglich. IBAN: AT94 2011 1293 5364 6100 BIC: GIBAATWW Verwendungszweck: Vinzi-Bett Kanalisation. Er machte Stationen in der Armee, als Hilfskoch, Lagerarbeiter und Staplerfahrer, verdiente damit im Monat 250 Euro und zahlte 200 Euro Miete. Sein einziger Gedanke: „Ich muss weg, das geht woanders besser.“
Doch Ivan Cezar dachte falsch. Nun ist es sieben Jahre her, dass er mit dem Antrieb, etwas aus sich zu machen, nach Österreich ging. Seit sieben Jahren ist er Dauergast von Hedi Klima und ihrem Team. Längst arbeitet er im Haus oder im angeschlossenen VinziShop mit, der mit seinen Erlösen einen Teil des Notasyls finanziert. Der Rest kommt aus privaten Spenden und jenem Beitrag, den die Gäste – je nach Möglichkeit – pro Nacht bezahlen. Seine Perspektive? Eher schlecht. Doch er will die Hoffnung nicht aufgeben. Im-
Für EU-Bürger giãt es keine Min©estsicherung, keine Almosen, kein nettes Wort. »WŻs hilft, sin© SŻchleistungen wie WohnrŻum un© Ausãil©ung.«
merhin finanzieren ihm Freunde des Hauses heute zumindest eine Krankenversicherung. Sogar die nötige Zahnprothese hat er inzwischen bekommen. Bis vor einem Jahr war das anders. Regelmäßig verschickten Ärzte und Spitäler Mahnungen wegen offener Behandlungskosten an ihn. Er hat einen ganzen Ordner davon.
Hedi Klima, die den Gästen des Hauses wie eine Art Gastmutter auch beim Bewältigen der Alltagsprobleme hilft, glaubt aber nicht, dass das Ausschütten des sozialen Füllhorns über Menschen wie Cezar etwas ändern würde. „Geld allein löst diese Probleme nicht“, sagt sie. Erstens würden dann noch mehr Personen mit schwierigen Lebensbedingungen aus Osteuropa hierher kommen. Zudem können viele von ihnen mit Geld nicht umgehen, spielen und trinken, verjubeln jeden Cent, der ihnen übrig bleibt. „Was hilft, sind Sachleistungen wie Wohnraum, Ausbildung und vor allem Sprachkenntnisse.“Das Vinzi-Bett und seine freiwilligen Helfer tragen seit zehn Jahren ihren Teil dazu bei.