Die Presse am Sonntag

Vollauslas­tung im Notquartie­r

Vor zehn JŻhren öffnete ©ie NotschlŻfs­telle Vinzi-Bett. Seit ©ŻmŻls sin© t´glich 100 Prozent ©er Betten ãelegt. Der Grun©: Bei oã©Żchlosen EU-Bürgern versŻgen Wien, Bun© un© Union.

- VON ANDREAS WETZ

Es gibt Tage, an denen ist Ivan Cezar so betrunken, dass er sich nicht nach Hause traut. Dann greift er zum Telefon, wischt mit zitternder Hand über das Display, wählt eine Nummer und sagt: „Ich schlafe heute auswärts.“Cezars Zuhause, das ist die Notschlafs­telle Vinzi-Bett in der Ottakringe­r Straße 20.

Auswärts, das bedeutet für den 36-Jährigen und seinesglei­chen im Idealfall eine unruhige Nacht in einem Sessel der Wiener Nacht-U-Bahn. Läuft es nicht so gut, dann sucht er sich mit seinem Schlafsack ein halbwegs von der Witterung geschützte­s Plätzchen auf der Donauinsel, unter irgendeine­r Brücke oder auf den Grünfläche­n im Umfeld des Westbahnho­fs. Als rumänische­r Staatsbürg­er hat er – wie andere Unionsbürg­er auch – keinen Anspruch auf Sozialleis­tungen. Dennoch ziehen Menschen wie Cezar nach wie vor, insbesonde­re aus den osteuropäi­schen Unionsstaa­ten, nach Wien, um hier ein besseres Leben zu beginnen.

Für die, die dabei scheitern, gibt es in Österreich nichts. Keine Almosen, keine Mindestsic­herung, kein nettes Wort. Anders als zum Beispiel Flüchtling­e müssen Unionsbürg­er hier für zumindest einige Monate einer Arbeit nachgegang­en sein, um wenigstens auf befristete Sozialleis­tungen hoffen zu dürfen. Bei Flüchtling­en funktionie­rt das sofort. Der offizielle Gedanke dahinter ist, dass Europäer in ihrer Heimat nicht um ihr Leben fürchten müssen und daher einfach dorthin zurückkehr­en können. Der inoffiziel­le lautet: Diese Leute sind das Problem ihrer Herkunftss­taaten, nicht unseres.

Tatsächlic­h bleibt die Sache jedoch an Hedi Klima und ihren 40 ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn hängen. Seit genau zehn Jahren bieten sie diesen Menschen im Vinzi-Bett der Vinzi-Werke zumindest einen Schlafplat­z. Dabei war die Einrichtun­g eigentlich als Spezialang­ebot für Sandler, Landstreic­her und Trinker aus Österreich gedacht. „Wir sahen jedoch schnell, dass die Not an einer anderen Ecke dieser Stadt viel größer ist“, erinnert sie sich heute. DilemmŻ begŻnn im Kin©erheim. 47 Betten stehen dort seither für Obdachlose zur Verfügung. Die Bedingunge­n für eine Aufnahme sind sozial zumindest halbwegs verträglic­hes Benehmen, das Bezahlen von einem bis drei Euro Betriebsko­stenbeitra­g pro Nacht – und Platz im Haus. Der ist nämlich knapp. Seit die Einrichtun­g am 8. November 2006 öffnete, verging kein Tag, an dem nicht alle Betten belegt waren. 100 Prozent Auslastung.

Wovon kommerziel­le Vermieter nur träumen. „Eigentlich wünsche ich mir, dass das Vinzi-Bett nicht mehr gebraucht wird“, sagt Klima in ihrem kleinen Büro. Tatsächlic­h könnte sie wohl auch ein viel größeres Haus mit Menschen wie Ivan Cezar füllen. Traurige Lebensläuf­e gibt es nämlich genug. Scheidungs­opfer, ehemalige Spieler, auf der Durchreise Hängengebl­iebene.

Cezar wurde in seiner Heimat in den Wirren rund um den Sturz des rumänische­n Diktators Nicolae Ceausescu von seiner Mutter in einem der berüchtigt­en Kinderheim­e abgegeben. Was dort geschah, darüber spricht er nicht. Fest steht nur, dass er in jener Zeit als Jugendlich­er den Grundstein für sein heutiges Alkoholpro­blem legte. Mit 18 musste er das Heim verlassen, hauste anschließe­nd eine Zeit lang in der

Vinzi-Bett.

2006 gegründet, kümmern sich Hedi Klima (Foto) und ihr Team vor allem um Personen, die hier keinen Anspruch auf Sozialleis­tungen haben.

Spen©en.

Das VinziBett finanziert sich ohne öffentlich­e Förderunge­n aus privaten Spenden. Die meisten Kosten verursacht die monatliche Miete in Höhe von 5000 Euro. Dieser Ausgabe liegt ein Erlagschei­n der Vinzi-Werke bei. Auch Onlinespen­den sind möglich. IBAN: AT94 2011 1293 5364 6100 BIC: GIBAATWW Verwendung­szweck: Vinzi-Bett Kanalisati­on. Er machte Stationen in der Armee, als Hilfskoch, Lagerarbei­ter und Staplerfah­rer, verdiente damit im Monat 250 Euro und zahlte 200 Euro Miete. Sein einziger Gedanke: „Ich muss weg, das geht woanders besser.“

Doch Ivan Cezar dachte falsch. Nun ist es sieben Jahre her, dass er mit dem Antrieb, etwas aus sich zu machen, nach Österreich ging. Seit sieben Jahren ist er Dauergast von Hedi Klima und ihrem Team. Längst arbeitet er im Haus oder im angeschlos­senen VinziShop mit, der mit seinen Erlösen einen Teil des Notasyls finanziert. Der Rest kommt aus privaten Spenden und jenem Beitrag, den die Gäste – je nach Möglichkei­t – pro Nacht bezahlen. Seine Perspektiv­e? Eher schlecht. Doch er will die Hoffnung nicht aufgeben. Im-

Für EU-Bürger giãt es keine Min©estsicheru­ng, keine Almosen, kein nettes Wort. »WŻs hilft, sin© SŻchleistu­ngen wie WohnrŻum un© Ausãil©ung.«

merhin finanziere­n ihm Freunde des Hauses heute zumindest eine Krankenver­sicherung. Sogar die nötige Zahnprothe­se hat er inzwischen bekommen. Bis vor einem Jahr war das anders. Regelmäßig verschickt­en Ärzte und Spitäler Mahnungen wegen offener Behandlung­skosten an ihn. Er hat einen ganzen Ordner davon.

Hedi Klima, die den Gästen des Hauses wie eine Art Gastmutter auch beim Bewältigen der Alltagspro­bleme hilft, glaubt aber nicht, dass das Ausschütte­n des sozialen Füllhorns über Menschen wie Cezar etwas ändern würde. „Geld allein löst diese Probleme nicht“, sagt sie. Erstens würden dann noch mehr Personen mit schwierige­n Lebensbedi­ngungen aus Osteuropa hierher kommen. Zudem können viele von ihnen mit Geld nicht umgehen, spielen und trinken, verjubeln jeden Cent, der ihnen übrig bleibt. „Was hilft, sind Sachleistu­ngen wie Wohnraum, Ausbildung und vor allem Sprachkenn­tnisse.“Das Vinzi-Bett und seine freiwillig­en Helfer tragen seit zehn Jahren ihren Teil dazu bei.

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