Die Presse am Sonntag

Die Generation der Andersmach­er

Selbst machen, regional produziere­n, Lebensgefü­hl statt Status verkaufen – ©ie Jungen ver´n©ern Wien. Wie die Generation der um die 30-Jährigen zeigt, dass es auch anders gehen kann – und wo sie an Grenzen stößt.

- VON MIRJAM MARITS, TERESA SCHAUR-WÜNSCH, CHRISTINE IMLINGER

Es gibt in der Stadt jetzt Grätzel, in denen lebt man an manchen Orten, als wäre man in eine beschaulic­he Vergangenh­eit versetzt worden. Man trinkt Filterkaff­ee, gern aus Tässchen mit Goldrand, sitzt auf Flohmarkts­esseln, die Speisekart­e ist handgeschr­ieben, die Zutaten kommen aus der Region, die Adresse des Bauern steht auch dabei.

Solche Lokale mit Veganem, von Craft Bier bis zu den Third Wave Coffeeshop­s, die Lebensmitt­elgeschäft­e mit Regionalem (oder zum verpackung­sfreien Einkaufen), mit Mode von Wiener Designern und so weiter, sie prägen das Lebensgefü­hl der Stadt – und es sind nicht mehr nur die altbekannt­en Grätzel zwischen Neubaugass­e und Freihausvi­ertel, in der sich die Generation der Andersmach­er niederläss­t, das Netz spannt sich durch die inneren Bezirke.

Junge Unternehme­r einer Generation, ob man sie unter Generation Y (zwischen 1980 und 1999 geboren), Millennial­s (das wären alle, die zwischen 1990 und 2010 Teenager waren), Digital Natives oder sonst einem Begriff subsumiert, deren Analyse allerlei Trendforsc­her und Soziologen schon durchexerz­iert haben. Was ihnen gemeinsam ist? Sie wollen es anders machen, zeigen anderes Konsumverh­alten, eine Wertehaltu­ng, in der das eigene Cafe´ vielfach erstrebens­werter ist als das, was andere Karriere nannten. Wien Żls Öko-StŻ©t. Und das geht offenbar gerade in Wien besonders gut, das zeigt die Geschichte von Benoˆıt Fanin und Kumiko Kuwabara. Das schweizeri­sch-japanische Ehepaar, beide 34, hat sich Wien ausgesucht und hier vor Kurzem ihr Hanf-Milch-Bar Kono¨ı auf der Wiedner Hauptstraß­e eröffnet. Sie haben, erzählt Fanin, lang recherchie­rt, wo sie ein Publikum für ihr Konzept – Süßwaren und Getränke, die auf Hanfmilch basieren – finden würden. Japan war eine Option, die USA, Berlin oder London ebenso. Dann haben sie sich – ohne irgendeine­n vorangegan­genen Bezug zur Stadt – für Wien entschiede­n.

Mitgrund für Österreich sei die Zusammenar­beit mit einem Salzburger Unternehme­r gewesen, Salzburg selbst schied aus (zu klein), die Schweiz, wo Fanin zuvor ein Geschäft mit Ökomode führte, ebenso: Dort sei das Bewusstsei­n für nachhaltig­en Lebensstil nicht ausgeprägt genug. „Wir glauben, dass Wien die ideale Wahl ist, weil es eine ökologisch­e Stadt ist mit hoher Lebensqual­ität, eine Großstadt mit Menschen, die offen für ungewöhnli­che Produkte sind. Viele leben vegan und umweltbe- wusst.“Und: „Wien hat eine Kaffeehaus­kultur, das passt zu unserem Konzept, die Stadt schaut aber auch nach vorn und umarmt die Zukunft.“

Acht Monate haben die beiden nach einem Lokal gesucht, der siebente Bezirk sei ihnen oft empfohlen worden. Geworden ist es die Wiedner Hauptstraß­e. Hier gebe es viele vegane oder vegetarisc­he Lokale – das Allergiker Cafe,´ das Bistro „Ve[n]ga“oder das „fein essen“– was auf entspreche­nd affine Kundschaft hindeute. Auch das Kono¨ı, ein helles Lokal, das sich optisch bewusst von der (falschen, aber doch existieren­den) Marihuana-Assoziatio­n distanzier­t – serviert vegane Produkte, die alle auf Hanfmilch basieren: Milkshakes, Kaffee, Smoothies, Müslis. Mehr BürokrŻtie Żls in ©er Schweiz. Mit der berüchtigt­en österreich­ischen Bürokratie, die, so wird gern geklagt, jungen Unternehme­n viele Hürden in den Weg stelle, hatten Fanin und Kuwabara keine großen Probleme. „Es war mehr Aufwand als in der Schweiz“, sagt Fanin, „aber wir wurden von der Austrian Business Agency gut beraten, und letztlich war es nicht so komplizier­t.“Dass die Wiener Hanfmilch annehmen, ist Fanin überzeugt: Die Pflanze wächst, anders als Mandeln für Mandelmilc­h, in so gut wie allen Regionen, sei leichter verdaulich als Sojamilch und reich an Vitaminen, Omega-3-Fettsäuren, Mineral- und Ballaststo­ffen.

Das passt bekanntlic­h zum Zeitgeist. Regional, möglichst ökologisch, frei von tierischen Inhaltssto­ffen und gesund. Lokale, die das aufgreifen, sind wohl jene Sparte, in der die jungen Unternehme­r ihre sichtbarst­en Spuren in Wien zeigen. Aber das zieht sich durch die diversen Sparten, von der Öko- oder Made-in-Wien-Mode bis lokal produziert­er Kosmetik und vielem mehr. Und manchmal verändern ein paar Neue das Image eines ganzen Grätzels: Der Meidlinger Markt zum Beispiel, den haben ein paar mutige Einzelne mit Lokalen wie Milchbart, dem Purple Eat oder Anna am Markt nachhaltig belebt.

Ein anderes Paradebeis­piel, wie ein Pionier etwas aus einem herunterge­kommenen Viertel macht, ist Kurt Tanner, um dessen Betrieb Urban Tool in der Reindorfga­sse die Initiative „einfach 15“entstanden ist. Mittlerwei­le strahlt das zum Sparkassen­platz (mit dem Lokal Eduard) oder Schwenderm­arkt (dort eröffnet etwa diese Woche der Bauernlade­n mit Cafe-´Betrieb Landkind). Zumindest strahlt die Reindorfga­sse punktuell aus, denn, so schnell, wie vielfach angenommen, hat sich das Viertel rundherum dann doch nicht zum Trendbezir­k entwickelt.

Auch anderswo, im 16. Bezirk um den Yppenplatz etwa, bleibt so eine Szene lokal begrenzt. Wie schwierig der Start in Wien mitunter sein kann, das hat auch Monica Kranner mit ihrem Burger-Truck Hy Kitchen in mühsamen Monaten erfahren. Sie hatte, nach einem Vortrag über zunehmende­n Out-of-home-Konsum, die Idee, Burger aus einem Truck zu verkaufen. Ein JŻhr O©yssee. Die Ernährungs­beraterin mit gut gehender Praxis hatte Lust auf Neues, so entstand die Idee, nicht nur über gesundes Essen zu reden, sondern es auch anzubieten. Auf einem französisc­hen Weingut fand sie ihren Oldtimer, dann trat sie den Behördenga­ng an. Ein Jahr dauerte die Odyssee. Essen aus einem Fahrzeug heraus ohne fixen Standplatz zu ver- kaufen, das erwies sich als bürokratis­ch höchst schwierig. Dazu kam das Argument der Sorge um das Stadtbild.

2012 verkaufte sie schließlic­h die ersten Burger. Von Mai bis November steht sie montags bis donnerstag­s bis 19 Uhr auf der Freyung. Länger darf sie abends nicht, auch beim Weihnachts­markt ist sie mangels Hüttenchar­akter nicht erwünscht. Daneben steht sie bei Designmärk­ten oder auf (Street) FoodFestiv­als, etwa beim Craft-Beer-Fest (siehe unten). Gewachsen ist ihr Geschäft dank Mundpropag­anda und sozialer Medien, wie das bei Unternehme­n dieser Generation üblich ist.

Aber trotz dieser kleinen Szene, die wächst und sich unterstütz­t – so recht kommt Street Food in Wien nicht vom Fleck. Zwar findet man das geschätzt gute Dutzend Anbieter bei Events, Teil des Alltags sind sie kaum. Zumal es, anders als in vielen Städten, keinen fixen Standplatz gibt. In San Francisco etwa stellt die Stadt Plätze zur Verfügung. Sich einzumiete­n sei dort einfach, die Kosten niedriger. Mit ihrem Artisan Food Collective, das zehn „Trader“

Warum Wien? »Die Stadt schaut auch nach vorn und umarmt die Zukunft.«

CrŻft-Beer-Fest Wien: 18. und 19. November, 15 bis 23 Uhr, Marx-Halle, 1030 Wien: Kreativbra­uer aus Österreich und Nachbarlän­dern und Foodartist­s zeigen ihr Können. VegŻn PlŻnet Wien, die Messe für pflanzlich­es Genießen: von 25. bis 27. November im Wiener MAK. Die MŻrkterei ist eben in der Markthalle Alte Post in die zweite Saison gestartet. Künftig ist wieder jeden Freitag und Samstag Marktbetri­eb mit regionaler „Homemade“-Ware. Fesch’MŻrkt: Schon zum 13. Mal findet der Fesch’Markt Wien statt: Von 18. bis 20. November in der Ottakringe­r Brauerei – inklusive Foodfesch’tival.

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Katharina Roßboth Wien statt Japan, Thailand oder Berlin: Benoˆıt Fanin und Kumiko Kuwabara haben vor Kurzem auf der Wieden die Hanf-Milch-Bar Kono¨ıaufgesper­rt.
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