Ein Kaschmirkönig und Mäzen
Der italienische Modezar Brunello Cucinelli investiert in Handwerk, Kultur – und auch in zufriedene Mitarbeiter.
Um 17.30 Uhr beginnt für alle der Feierabend. Vom Manager über den Designer bis zur jüngsten Schneiderin: Jeder verlässt im Unternehmen von Italiens Kaschmirkönig Brunello Cucinelli den Betrieb. Überstunden sind nicht erlaubt, auch wenn es noch Arbeit zu erledigen gäbe. Selbst das Senden eines E-Mails nach Arbeitsschluss wird im Unternehmen nicht gern gesehen.
„Acht Stunden am Tag genügen, wenn man konzentriert und effizient arbeitet. Ich will meinen Mitarbeitern nicht die Seele rauben. Sie sollen Zeit für ihre Familie, ihre Interessen und ihre persönliche Weiterentwicklung haben. Ausgelaugte Mitarbeiter sind nicht kreativ“, lautet das Credo des 63-jährigen Cucinelli. Er hat in Solomeo, einem mittelalterlichen Dorf im Herzen Umbriens, eine kleine Pulloverproduktion in einen Luxuskonzern umgewandelt, der mit den internationalen Schwergewichten der Modebranche konkurriert.
Cucinellis Unternehmen ist mit seinen 1500 Mitarbeitern ein Vorbild für humane Arbeitsbedingungen. Das Wohlbefinden des Personals ist höchstes Gebot. Die Arbeitsräume sind hell, die großen Fenster blicken auf die Zypressen und den Springbrunnen in der Mitte der u-förmigen Fabrik. Ganz nach dem Motto: Schönheit macht schöpferisch. Modelldorf mit Meisterschule. Im Unternehmen, das einen Umsatz von über 400 Mio. Euro erzielt, duzt sich jeder. Auch der Chef wird ganz leger per Vornamen angesprochen. Bei Beschwerden oder Anliegen können die rund 1500 Mitarbeiter angeblich jederzeit beim Chef oder einem seiner engsten Mitarbeiter anklopfen. Das Durchschnittsalter des Personals liegt bei 35 Jahren. Ein positives Beispiel in dem von hoher Jugendarbeitslosigkeit geplagten Italien. Die neuen Mitarbeiter werden vor Ort ausgebildet und in das Unternehmen integriert. In Solomeo ist eine europaweit anerkannte Meisterschule des Kunsthandwerks gegründet worden, bei dem Jugendliche Stich um Stich das Schneiderhandwerk erlernen. Daneben entstanden in dem Dorf, das der Mäzen restaurieren ließ, aber auch ein Theater und eine Bibliothek.
In Italien reißen sich die Luxuskonzerne um qualifizierte Kräfte. Die Handwerker gelten als Schlüssel für die Zukunft der milliardenschweren Branche. Und Cucinelli will für Nachwuchs sorgen. Im neu renovierten Renaissanceschloss des Dorfes nahe Perugia lehren erfahrene Meister des Handwerks Jugendlichen das Nähen edler Kaschmirteile. In der Schneiderschule entstehen Herrenanzüge, Mäntel, Pullover und Hosen. 60 Lehrlinge wurden bisher ausgebildet, 600 Kandidaten hatten sich beworben. „Wir müssen die Berufsschulen stärken und der Arbeit in der Fabrik Würde, Wert, Ansehen und soziales Gewicht verleihen“, erklärt Cucinelli. „Man sollte die Arbeit der Schneider und Stricker ebenso wertschätzen wie die der Designer.“
Die Produktion in Europa wird für die Luxusindustrie als Verkaufsfaktor und Aushängeschild immer wichtiger. Daher investiert Cucinelli alles in die Produktion in Solomeo. Er weiß, dass seine Kunden echtes „Made in Italy“schätzen und dafür bereit sind, tief in die Tasche zu greifen: „Man will ja auch eine Schweizer Uhr und ein deutsches Auto haben. Jeder muss außerordentlich in den Dingen sein, die er tut.“ Bodenständiger Humanist. Cucinelli ist seit seiner Jugend von der Philosophie begeistert und zitiert Seneca, Sokrates und Marc Aurel auswendig. Trotz seiner humanistischen Bildung und seiner Vorliebe für die Klassiker versteht es Cucinelli, sich in der hart umkämpften Luxusbranche zu behaupten. Dabei kommt ihm eine gewisse Bodenständigkeit zugute. Denn Cucinelli ist ein Kind vom Land. Sein Vater beackerte Felder und züchtete Tiere. Der junge Brunello studierte Ingenieurwesen, warf aber das Studium hin und begann als 25-Jähriger zusammen mit seiner Frau Federica mit einer kleinen Pulloverproduktion. Sein Grundkonzept war so einfach wie wirkungsvoll: Er gab feiner Kaschmirwolle, die bis zu diesem Zeitpunkt nur in Naturfarben zu erhalten war, knallige Farben. Das Interesse war sofort groß, vor allem im Ausland. „Österreicher zählten zu meinen ersten Kunden. Sie haben immer pünktlich bezahlt“., schwärmt Cucinelli. Das war damals wichtig, brauchte er doch dringend liquide Mittel zum Ausbau seines Betriebs. „Seit damals sind mir viele österreichische Kunden treu geblieben.“ Geschäft in Wien. Die enge Beziehung zu Österreich ist geblieben. 2014 hat die Firma in der Wiener Bognergasse ihren ersten österreichischen Monomarken-Shop eingeweiht. „Wir sind sehr zufrieden damit. Wien ist eine lebendige Stadt, die für uns sowohl wegen der zahlreichen Touristen als auch wegen der lokalen Kundschaft interessant ist.“Auch privat verbringt der Unternehmer gern Zeit in Österreich: „Kitzbühel ist mein bevorzugter Skiurlaubsort.“
Seit dem Börsengang vor vier Jahren hält Cucinelli nur noch 63 Prozent an seinem Betrieb, der Rest ist an der Mailänder Börse notiert. Obwohl in den vergangenen Monaten dieser Handelsplatz nicht gerade mit guten Entwicklungen glänzt, hat der Industriekapitän den Schritt auf den Finanzmarkt nicht bereut: „Wir sind damit viel internationaler geworden und werden streng beobachtet. Das spornt uns an, immer besser zu werden.“
Ausgerechnet in den Krisenjahren hat Cucinelli seine größte Expansion erlebt. Er hofft, dass sein Unternehmen in 20 Jahren noch größer sein wird und in Sachen Handwerk weiterhin auf Spitzenniveau produzieren kann. Zugleich will er weiter in die Restaurierung seines Dorfes Solomeo investieren. Ob seine beiden Töchter, Camilla und Carolina, die schon länger im Unternehmen tätig sind, sein Erbe übernehmen werden, lässt Cucinelli offen: „Letztendlich erbt man den Besitz, nicht die unternehmerischen Fähigkeiten. Im Grund denke ich, dass man ein Unternehmen gar nicht erben dürfte.“
Inzwischen will Cucinelli seiner von einem schweren Erdbeben erschütterten Region Umbrien zum Neustart helfen. Konkret kündigte Cucinelli an, er werde den Wiederaufbau des Klosters in der umbrischen Kleinstadt Norcia finanzieren – in der Heimat des Heiligen Benedikts, dem Schutzpatron Europas. Auch aus persönlicher Verbundenheit: Cucinelli ist eng mit dem Prior des Klosters befreundet.
»Acht Stunden am Tag genügen, wenn man konzentriert arbeitet.« Österreicher zählten zu den ersten Kunden – und bezahlten immer pünktlich.