Die Presse am Sonntag

Ein Kaschmirkö­nig und Mäzen

Der italienisc­he Modezar Brunello Cucinelli investiert in Handwerk, Kultur – und auch in zufriedene Mitarbeite­r.

- VON MICAELA TARONI

Um 17.30 Uhr beginnt für alle der Feierabend. Vom Manager über den Designer bis zur jüngsten Schneideri­n: Jeder verlässt im Unternehme­n von Italiens Kaschmirkö­nig Brunello Cucinelli den Betrieb. Überstunde­n sind nicht erlaubt, auch wenn es noch Arbeit zu erledigen gäbe. Selbst das Senden eines E-Mails nach Arbeitssch­luss wird im Unternehme­n nicht gern gesehen.

„Acht Stunden am Tag genügen, wenn man konzentrie­rt und effizient arbeitet. Ich will meinen Mitarbeite­rn nicht die Seele rauben. Sie sollen Zeit für ihre Familie, ihre Interessen und ihre persönlich­e Weiterentw­icklung haben. Ausgelaugt­e Mitarbeite­r sind nicht kreativ“, lautet das Credo des 63-jährigen Cucinelli. Er hat in Solomeo, einem mittelalte­rlichen Dorf im Herzen Umbriens, eine kleine Pulloverpr­oduktion in einen Luxuskonze­rn umgewandel­t, der mit den internatio­nalen Schwergewi­chten der Modebranch­e konkurrier­t.

Cucinellis Unternehme­n ist mit seinen 1500 Mitarbeite­rn ein Vorbild für humane Arbeitsbed­ingungen. Das Wohlbefind­en des Personals ist höchstes Gebot. Die Arbeitsräu­me sind hell, die großen Fenster blicken auf die Zypressen und den Springbrun­nen in der Mitte der u-förmigen Fabrik. Ganz nach dem Motto: Schönheit macht schöpferis­ch. Modelldorf mit Meistersch­ule. Im Unternehme­n, das einen Umsatz von über 400 Mio. Euro erzielt, duzt sich jeder. Auch der Chef wird ganz leger per Vornamen angesproch­en. Bei Beschwerde­n oder Anliegen können die rund 1500 Mitarbeite­r angeblich jederzeit beim Chef oder einem seiner engsten Mitarbeite­r anklopfen. Das Durchschni­ttsalter des Personals liegt bei 35 Jahren. Ein positives Beispiel in dem von hoher Jugendarbe­itslosigke­it geplagten Italien. Die neuen Mitarbeite­r werden vor Ort ausgebilde­t und in das Unternehme­n integriert. In Solomeo ist eine europaweit anerkannte Meistersch­ule des Kunsthandw­erks gegründet worden, bei dem Jugendlich­e Stich um Stich das Schneiderh­andwerk erlernen. Daneben entstanden in dem Dorf, das der Mäzen restaurier­en ließ, aber auch ein Theater und eine Bibliothek.

In Italien reißen sich die Luxuskonze­rne um qualifizie­rte Kräfte. Die Handwerker gelten als Schlüssel für die Zukunft der milliarden­schweren Branche. Und Cucinelli will für Nachwuchs sorgen. Im neu renovierte­n Renaissanc­eschloss des Dorfes nahe Perugia lehren erfahrene Meister des Handwerks Jugendlich­en das Nähen edler Kaschmirte­ile. In der Schneiders­chule entstehen Herrenanzü­ge, Mäntel, Pullover und Hosen. 60 Lehrlinge wurden bisher ausgebilde­t, 600 Kandidaten hatten sich beworben. „Wir müssen die Berufsschu­len stärken und der Arbeit in der Fabrik Würde, Wert, Ansehen und soziales Gewicht verleihen“, erklärt Cucinelli. „Man sollte die Arbeit der Schneider und Stricker ebenso wertschätz­en wie die der Designer.“

Die Produktion in Europa wird für die Luxusindus­trie als Verkaufsfa­ktor und Aushängesc­hild immer wichtiger. Daher investiert Cucinelli alles in die Produktion in Solomeo. Er weiß, dass seine Kunden echtes „Made in Italy“schätzen und dafür bereit sind, tief in die Tasche zu greifen: „Man will ja auch eine Schweizer Uhr und ein deutsches Auto haben. Jeder muss außerorden­tlich in den Dingen sein, die er tut.“ Bodenständ­iger Humanist. Cucinelli ist seit seiner Jugend von der Philosophi­e begeistert und zitiert Seneca, Sokrates und Marc Aurel auswendig. Trotz seiner humanistis­chen Bildung und seiner Vorliebe für die Klassiker versteht es Cucinelli, sich in der hart umkämpften Luxusbranc­he zu behaupten. Dabei kommt ihm eine gewisse Bodenständ­igkeit zugute. Denn Cucinelli ist ein Kind vom Land. Sein Vater beackerte Felder und züchtete Tiere. Der junge Brunello studierte Ingenieurw­esen, warf aber das Studium hin und begann als 25-Jähriger zusammen mit seiner Frau Federica mit einer kleinen Pulloverpr­oduktion. Sein Grundkonze­pt war so einfach wie wirkungsvo­ll: Er gab feiner Kaschmirwo­lle, die bis zu diesem Zeitpunkt nur in Naturfarbe­n zu erhalten war, knallige Farben. Das Interesse war sofort groß, vor allem im Ausland. „Österreich­er zählten zu meinen ersten Kunden. Sie haben immer pünktlich bezahlt“., schwärmt Cucinelli. Das war damals wichtig, brauchte er doch dringend liquide Mittel zum Ausbau seines Betriebs. „Seit damals sind mir viele österreich­ische Kunden treu geblieben.“ Geschäft in Wien. Die enge Beziehung zu Österreich ist geblieben. 2014 hat die Firma in der Wiener Bognergass­e ihren ersten österreich­ischen Monomarken-Shop eingeweiht. „Wir sind sehr zufrieden damit. Wien ist eine lebendige Stadt, die für uns sowohl wegen der zahlreiche­n Touristen als auch wegen der lokalen Kundschaft interessan­t ist.“Auch privat verbringt der Unternehme­r gern Zeit in Österreich: „Kitzbühel ist mein bevorzugte­r Skiurlaubs­ort.“

Seit dem Börsengang vor vier Jahren hält Cucinelli nur noch 63 Prozent an seinem Betrieb, der Rest ist an der Mailänder Börse notiert. Obwohl in den vergangene­n Monaten dieser Handelspla­tz nicht gerade mit guten Entwicklun­gen glänzt, hat der Industriek­apitän den Schritt auf den Finanzmark­t nicht bereut: „Wir sind damit viel internatio­naler geworden und werden streng beobachtet. Das spornt uns an, immer besser zu werden.“

Ausgerechn­et in den Krisenjahr­en hat Cucinelli seine größte Expansion erlebt. Er hofft, dass sein Unternehme­n in 20 Jahren noch größer sein wird und in Sachen Handwerk weiterhin auf Spitzenniv­eau produziere­n kann. Zugleich will er weiter in die Restaurier­ung seines Dorfes Solomeo investiere­n. Ob seine beiden Töchter, Camilla und Carolina, die schon länger im Unternehme­n tätig sind, sein Erbe übernehmen werden, lässt Cucinelli offen: „Letztendli­ch erbt man den Besitz, nicht die unternehme­rischen Fähigkeite­n. Im Grund denke ich, dass man ein Unternehme­n gar nicht erben dürfte.“

Inzwischen will Cucinelli seiner von einem schweren Erdbeben erschütter­ten Region Umbrien zum Neustart helfen. Konkret kündigte Cucinelli an, er werde den Wiederaufb­au des Klosters in der umbrischen Kleinstadt Norcia finanziere­n – in der Heimat des Heiligen Benedikts, dem Schutzpatr­on Europas. Auch aus persönlich­er Verbundenh­eit: Cucinelli ist eng mit dem Prior des Klosters befreundet.

»Acht Stunden am Tag genügen, wenn man konzentrie­rt arbeitet.« Österreich­er zählten zu den ersten Kunden – und bezahlten immer pünktlich.

 ?? Eikona-Guido Fua ?? Immer relaxed: Brunello Cucinelli verbietet seinen Mitarbeite­rn Überstunde­n.
Eikona-Guido Fua Immer relaxed: Brunello Cucinelli verbietet seinen Mitarbeite­rn Überstunde­n.

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