Die Presse am Sonntag

Wir, die schiefen Affen

Neun von zehn Menschen sind Rechtshänd­er, warum und seit wann ist unklar. Nun hat sich der älteste Hinweis gefunden, auf Zähnen eines Homo habilis.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Klatschen Sie bitte einmal mit einer Hand in die andere – von oben nach unten –, und schauen Sie, welche oben ist! Bei neun von zehn Menschen ist das die rechte: Sie sind Rechtshänd­er. Das hat damit zu tun, dass in allen Kulturen die andere Seite wenig geschätzt wurde: Für die Römer war links („sinister“) auch böse, in islamische­n Ländern isst man mit der Rechten und putzt mit der Linken das Gesäß, in der Bibel sah sich auf ewig verdammt, wer links zu den Böcken musste (Math. 25,41). Später galt der Teufel als Linkshände­r, sein Gefolge auch, Hexen mussten es büßen.

Dann prügelte schwarze Pädagogik die „gute Hand“ein, und die materielle Kultur wies und weist noch viel gröber zurecht: Technische Geräte sind für Rechtshänd­er konstruier­t, von Scheren über Maschinen – Linkshände­r, mehrheitli­ch Männer, haben mehr Arbeits- unfälle –, bis zu medizinisc­hen Instrument­en. Auch unter Chirurgen gibt es Linkshände­r – und wenig Vertrauen: Zehn Prozent von ihnen wollen, wenn sie selbst unter das Messer müssen, das nicht in der Hand eines linkshändi­gen Kollegen wissen (Current Surgery 61 S. 587). Aber es muss nicht um Leben und Tod gehen: Wer linkisch ist, hat wenig Chancen, und mindere Aufgaben erledigt man mit links.

Und doch hält sich die missliebig­e Hand, selbst dort, wo sie rigide tabuisiert ist, in Taiwan etwa: 3,5 Prozent unterwerfe­n sich nicht (bei Kindern taiwanesis­cher Einwandere­r in die USA sind es doppelt so viele). Das ist das eine Rätsel. Das andere liegt darin, dass der Anteil der Linkshände­r zwar regional schwankt, aber nirgends über 25 Prozent liegt. Das brachte dem Menschen bzw. einem Buch über ihn 1991 den Titel „The Lopsided Ape“, lopsided heißt schief. Warum ist er das? Warum wird eine Hand bevorzugt, warum ist das meist die rechte, und warum gibt es doch Linkshände­r?

Es ist unklar, man weiß nur, dass in der individuel­len Entwicklun­g die Entscheidu­ng früh fällt, sehr früh:Wenn wir 15 Wochen alt sind – im Uterus –, begin- nen wir, am Daumen zu lutschen, 90 Prozent am rechten (Neuropsych­ologica 29, S. 1107). Das kann nichts mit Kultur oder sonstiger Umwelt zu tun haben, es muss von der Natur kommen. Dafür spricht auch, dass Linkshändi­gkeit oft in Familien läuft, aber so einfach ist es doch wieder nicht: Selbst eineiige Zwillinge bevorzugen oft andere Hände.

Zudem hat die Suche im Genom nicht weit geführt. Lang setzte man auf ein zentrales Gen, man fand auch Kandidaten, besonders viel versprach PCSK6: Bei Patienten mit Dyslexie und einer Variante des Gens dominiert Rechtshänd­igkeit extrem. Spannend war das deshalb, weil nicht nur die Händigkeit asymmetris­ch ist, sondern vieles im Körper, das Herz sitzt links, die Leber rechts. Dabei spielt PCSK6 mit, das wusste man: Wo es mutiert ist, sitzen Organe falsch: „situs inversus“. Bringt der bzw. die Genvariant­e auch generell eine Händigkeit? William Brandler (Oxford) ist dem Verdacht nachgegang­en und winkt ab: Händigkeit muss eine „polygene Eigenschaf­t“sein (PLoS Genetics 9: e1003751). Und die Schimpanse­n? Bei molekulare­n Feinheiten kommt man also nicht weiter, vielleicht bei den großen Zügen der Evolution? Viele Tiere haben bevorzugte Gliedmaßen, Kröten putzen sich mit der Rechten, Papageien greifen mit der Linken nach Futter. Aber just unsere nächsten Verwandten verwirren: Zwar benutzen Schimpanse­n in Laboren und Zoos auch bevorzugt die Rechte. Aber der Überhang ist gering – etwa 60:40 –, und die Tiere könnten die Vorliebe ihren Pflegern abgelesen haben. In freier Natur gibt es wenige Beobachtun­gen, und die verwirren noch mehr (Pnas 102, S. 12634): William Hopkins (Emory) kamen in Tansania zwei Gruppen vor Augen, die eine angelte mit Ästen in der Linken nach Termiten, die andere knackte mit Steinen in der Rechten Nüsse (keine Gruppe benutzte beide Werkzeuge).

Das rüttelte an einer Hypothese, die davon ausgeht, dass auch unser Gehirn asymmetris­ch ist und über Kreuz mit dem Körper verschalte­t: In der linken Hälfte sitzt die Feinmotori­k, sie steuert die rechte Körperhälf­te, auch deren Hand, auch deren Gesten. Das könnte im Gegenzug dazu geführt haben, dass sich links im Gehirn das Sprachzent­rum bildete. Das klingt plausibel, aber die Schimpanse­n reden drein: Sie haben auch Gesten, und sie haben auch verschiede­ne Hirnhälfte­n, in der linken gar ein Pendant zu unserem Sprachzent­rum. Aber eine ausgeprägt­e Rechtshänd­igkeit haben sie eben nicht.

Ist unsere vielleicht doch nicht alt und von Natur, sondern jung und von einer Kultur, der der Waffen? Thomas Carlyle wird die Schlachtfe­ldtheorie zugeschrie­ben, laut der die linke Hand bzw. ein Schild schützt, worauf die rechte mit dem Schwert zielt: das Herz. Das kann auch nicht sein: Stichwaffe­n sind ein paar Tausend Jahre alt, zuvor ging man mit Knüppeln oder Steinen aufeinande­r los und zielte auf den Kopf.

Und doch gab es die Rechtshänd­igkeit früh, sie zeigte sich an Zähnen von Neandertal­ern: Vor 400.000 Jahren benutzten sie den Mund als dritte Hand, sie hielten mit den Zähnen etwas fest, ein Stück Fleisch. Das andere Ende war

Warum wird eine Hand bevorzugt, warum meist die rechte, warum nicht immer? Kultur kann die Händigkeit nicht erklären, aber in der Natur findet sich auch nichts.

in einer Hand, die zweite schnitt mit einem Messer, direkt vor den Zähnen. Rutschte die Klinge ab, hinterließ sie Kratzer. Die zeigen, dass die Messer von rechten Händen geführt wurden (Journal of Human Evolution 17, S. 403). Das Muster hat David Frayer (University of Kansas) nun auch auf einem Zahn eines Homo habilis gefunden, er lebte vor 1,8 Millionen Jahren (Journal of Human Evolution 100, S. 65).

Das sagt natürlich gar nichts, der eine H. habilis kann nicht klären, wann die Rechtshänd­igkeit kam und warum. Und warum zehn Prozent nicht mittun: Es gibt die Vermutung, sie seien mit Intelligen­z und Kreativitä­t gesegnet oder mit einem Händchen für Geld. Dürer und Holbein gehörten dazu, Bach (Carl Philipp Emmanuel) und Jimmy Hendrix auch. Aber das sind Ausnahmen, auch im Kopf dominiert die Rechte: Linkshände­r haben einen niedrigere­n IQ und weniger Einkommen, Joshua Goodman (Harvard) hat es gezeigt (Journal of Economic Perspectiv­es 28, S. 193). Er wies allerdings auch auf eine exotische Gruppe hin: Von den letzten sieben US-Präsidente­n führten fünf – Ford, Reagan, Bush, Clinton, Obama – die Weltmacht mit der Linken.

Newspapers in German

Newspapers from Austria