Dollar, Tore und Trophäen
Die Qualifikation zur Fußball-WM 2018 in Russland läuft, ebenso schreiten die Vorbereitungen in Katar voran, wo die WM 2022 fix stattfinden wird. Im Hintergrund blühen weiterhin Korruption, Investments – und Anklagen sonder Zahl.
Der Emir bleibt spendabel. Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani verwöhnt in der kommenden Woche wieder einmal die höchsten Würdenträger der olympischen Welt. In Doha, Hauptstadt des winzigen, aber steinreichen Emirats Katar, tagt die Vollversammlung aller 206 nationalen Olympiakomitees, inklusive des ÖOC. Die Führung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und zahlreiche Präsidenten der Sportweltverbände sind ebenfalls zugegen. Für den Monarchen Tamim, der 2002 mit 21 Jahren jüngstes IOC-Mitglied aller Zeiten wurde, ist dieses luxuriöse Gipfeltreffen ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Fußball-WM 2022 – und sogar zu einer neuerlichen Olympiabewerbung, nachdem Doha für 2016 und 2020 zweimal vom IOC abserviert wurde.
Die gigantischen Bauprojekte machen weiter rasantere Fortschritte als die Einhaltung der Menschenrechte von Hunderttausenden asiatischen Bauarbeitern, die größtenteils immer noch unter sklavenähnlichen Bedingungen in der Wüste schuften. Doch wer spricht im November 2016 schon noch davon, Katar die WM abzuerkennen und das Turnier neu zu vergeben? Mehr als 200 Milliarden Dollar investiert Emir Tamim, der die Macht 2014 übernahm, in Infrastrukturmaßnah- men für die WM 2022, bei der die Stadien regelrecht Palästen gleichen. WMCheforganisator Hassan Al-Thawadi hat gerade dekretiert: „Niemand wird uns die WM wegnehmen!“ Infantinos Besuch bei Putin. Katar hat die bedingungslose Unterstützung des seit Februar 2016 amtierenden FifaPräsidenten Gianni Infantino. Gleiches gilt für Russland und die WM 2018: Eine seiner ersten Dienstreisen führte Infantino im Frühjahr zu Wladimir Putin, um ihn der uneingeschränkte Solidarität für dessen WM-Projekt zu versichern. Russlands bisheriger Sportminister, Witali Mutko, Mitglied des FifaCouncils, der als einer der Hauptverantwortlichen für flächendeckendes Staatsdoping gebrandmarkt wird, wur- de von Putin demonstrativ befördert – zum Vize-Premierminister mit Fokus auf die WM 2018. In zwei Wochen wird Mutko in Kazan, zur Auslosung des Konföderationenpokals, einen Teil des Fußball-Establishments empfangen und seine Macht zur Schau stellen.
Dass das Verfahren der Schweizer Bundesanwaltschaft zur skandalumtosten Doppelvergabe der Weltmeisterschaften an Russland und Katar sensationell neue Erkenntnisse bringt, erwartet kaum jemand. Es wurde „professionell“gearbeitet, mit Geheimdienstlern und privaten Sicherheitsfirmen, etwaige Spuren wurden verwischt. Selbst wenn einigen der FifaGranden nachgewiesen werden könnte, von den WM-Gastgebern bestochen worden zu sein, wirkt die Macht des Faktischen: Die WM-Qualifikation für Russland läuft, Verträge sind unterschrieben, zig Milliarden verbaut. Russland und Katar, die Supermächte der olympischen Welt, bleiben im Grunde unantastbar. Globaler Selbstbedienungsladen. Die meisten der 24 Fifa-Exekutivmitglieder vom Herbst 2010 sind bereits der Korruption und anderer unsauberer Machenschaften überführt und teilweise lebenslang gesperrt – nur zwei der damaligen Vorstände gelten als sauber: Junji Ogura aus Japan und Geoff Thompson aus England, beides keine Schwergewichte und lang nicht mehr in Amt und Würden.
Längst aber ist das System Fifa als globaler Selbstbedienungsladen und mafiose Parallelgesellschaft enttarnt. Die insgesamt dokumentierte Schadenssumme beträgt über 500 Millionen Dollar – die Dunkelziffer ist vielfach höher. Dass all jene, die jahrzehntelang als Fifa-Vorstände abkassierten, ausgerechnet in der schmutzigsten WM-Bewerbung aller Zeiten nicht bedient worden sein sollen, ist ein Treppenwitz der Sportgeschichte. Figuren wie der Zypriote Marios Lefkaritis, der zu den einflussreichsten Vorstandsmitgliedern der Uefa zählt, mussten sich bislang nur mit journalistischen Ermittlern auseinandersetzen, jedoch nicht mit Staatsanwälten, Steuerfahndern und FBI-Agenten, die in Amerika in spektakulärer Weise den Fifa-Kriminalfall vorangetrieben haben. Fifa-Prozesse, 17 Geständnisse. In den USA laufen unter Oberhoheit des Justizministeriums die Strafermittlungen der Bundespolizei FBI, der Steuerbehörde IRS und anderer Institutionen. Gegen 39 Personen, darunter fünf ehemalige Fifa-Vizepräsidenten und je drei Präsidenten der Kontinentalverbände Nordamerikas (Concacaf ) und Südamerikas (Conmebol), sowie zwei Sportmarketingfirmen wurde Anklage erhoben. Den Funktionären drohen wegen Verschwörung, Geldwäsche, Korruption, Erpressung und anderer Delikte kumulierte Haftstrafen von bis zu 60 Jahren. Siebzehn Angeklagte haben inzwischen gestanden und Rückzahlungen von etwa 190 Millionen Dollar geleistet. Andere mutmaßliche Schwerkriminelle wie der langjährige Fifa-Vize Jack Warner (Trinidad & Tobago) konnten ihre Auslieferung an die US-Behörden aber verhindern.
Justizministerin Loretta Lynch hat einst als Distriktstaatsanwältin die FifaAkte angelegt und sich in den vergangenen Jahren knallhart engagiert. Sie tritt nun ab. Unklar bleibt, ob die Administration unter US-Präsident Donald Trump mit ähnlicher Verve die Zerschlagung des Kartells betreiben wird oder die Sache auslaufen lässt.
Eigentlich waren in diesen Tagen in Brooklyn die Urteilsverkündungen für den Kronzeugen Chuck Blazer (USA) und Weggefährten wie Jeffrey Webb (Cayman Islands) geplant. Doch am Donnerstag wurden die Termine erneut um ein halbes Jahr verschoben. Der Prozess gegen jene, die trotz erdrückender Beweislast auf unschuldig plädieren, soll am 6. November 2017 beginnen. Bis dahin kehrt keine Ruhe ein im Fifa-Universum, die jüngsten Verschiebungen können ermittlungstaktisch sogar sinnvoll sein. Denn was zum Beispiel Jeffrey Webb ausgeplaudert hat, um seine Haftstrafe zu mindern, ist weiter unbekannt – der Druck auf andere Angeklagte und potenziell Beschuldigte wird aufrechterhalten.
Bleiben die Amerikaner fokussiert, könnten jederzeit weitere Fifa-Größen in den Strudel der Strafermittlungen gerissen werden. Im Zürcher Hauptquartier haben die Anwälte der USKanzlei Quinn Emanuel Urquart & Sul- livan das Sagen. Seit Juni 2015, unmittelbar nach den ersten Verhaftungen, gibt der Weltverband viel Geld für Anwälte, PR und Kommunikation aus. Das kürzlich von Infantino vorgestellte Reformwerk „Fifa 2.0“ist vor allem dafür gedacht, die Öffentlichkeit und das US-Justizministerium zu befrieden. Die Gefahr, dass der Weltverband wie zuvor zwei seiner Kontinentalableger als kriminelle Organisationen betrachtet und als Rico-Act aufscheinen, ist damit aber noch lang nicht gebannt.
Bislang kooperierten das Justizministerium und die Schweizer Bundesanwaltschaft. Kleinere strafrechtliche Ermittlungen laufen in etwa einem Dutzend Länder. Auch Unterlagen zur WM 2006 in Deutschland wurden aus-
Die Schadenssumme beträgt über 500 Millionen Dollar – die Dunkelziffer ist höher. Verschwörung, Geldwäsche, Korruption & Erpressung – es gibt bereits 39 Anklagen. Ob die US-Administration unter Donald Trump mit ähnlicher Verve auftritt?
getauscht. Hier geht es um den Verdacht der Geldwäsche, des Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Veruntreuung. Dazu haben die Schweizer Behörden unlängst Hausdurchsuchungen durchgeführt, auch in Salzburg bei Franz Beckenbauer.
Die wichtigste Lehre aus den FifaErmittlungen lautet: Es hilft nur die volle Härte des Gesetzes. Erst wenn die Funktionäre fürchten müssen, Jahrzehnte hinter Gittern zu landen, wurden und werden sie geständig. Dermaßen hart ging es bisher aber nur in Amerika zur Sache. In Europa wird limitiert ermittelt. Und im Rest der Welt fast gar nicht.