Glitter und Hellblau für alle
Der US-Einzelhandelsriese Target beginnt mit der Entfernung geschlechtsspezifischer Hinweisschilder für Kinder. Große Spielwarenkonzerne denken ebenfalls schon darüber nach, wie man Stereotype vermeiden kann.
Pink, Glitter und Rüschen für die Mädchen, Blau, Karos und putzige Fliegen für die Buben: Die Welt der Kinder ist spätestens seit den Neunzigern präzise in eine rosige und eine hellblaue unterteilt. Die Gefahr, sich als Bub in den Bereich der Rüschen zu verirren, ist genau so gering wie die, als Mädchen bei den Karohemden zu landen. Zwar wird seit Jahren diskutiert, dass damit auch die Chancen, Geschlechtergrenzen unbefangen auszuloten oder gar nicht erst anzunehmen, limitiert sind; spätestens hinter der Tür des Supermarktes, Spielzeug- oder Kinderbekleidungsgeschäfts sieht die Realität aber meist genauso blau und rosa aus wie eh und je – von ein paar neutralen Produkten in Gelb, Weiß, Mint und Grau für politisch korrekte Eltern abgesehen.
In den USA hat jetzt mit Target eine der großen Einzelhandelsketten dieser Tradition den Kampf angesagt und beginnt in ihren über 1800 Filialen damit, die Geschlechterzuweisungen aus immer mehr Bereichen zu verbannen. Seit Ende des vergangenen Jahres wird daran gearbeitet, die Beschilderungen und Unterteilungen für Buben und Mädchen nicht nur aus der Spielzeugabteilung zu entfernen – auf diesem Sektor waren bereits vor Target der britische und später auch der amerikanische Teil des Spielzeugriesen Toys ’R’ Us als Vorreiter unterwegs –, sondern auch aus Bereichen wie Kinderbekleidung, Bettwäsche, Unterhaltungselektronik oder Schulbedarf. Hier liegen jetzt die weiß-pink-glitzernden Babyschuhe gleich neben den grauen in Hai-Optik, hängen die schwarzgrau-roten Shirts mit dem „Beastie Boys“-Aufdruck bei den rosaroten mit den „Best Pups“-Hundewelpen und stehen bei den Spielen die Roboter neben den Disney-Prinzessinnen. Die auch im nächsten Gang mit neutral-weißen Schildern mit der Aufschrift „Disney Princess/Dress up“ausgewiesen werden, ohne extra anzumerken, dass hier die Mädchenkostüme für Halloween zu finden sind. Initiative der Kunden. „Wir nehmen Rückmeldungen unserer Kunden grundsätzlich sehr ernst“, erklärt Unternehmenssprecher Lee Henderson den Hintergrund der Aktion, „und es sind immer mehr an uns herangetreten, um uns wissen zu lassen, dass ihnen Hinweisschilder mit Größen oder Marken lieber wären als jene zum Geschlecht.“Nach diesen Rückmeldungen begann der Einzelhandelsriese damit, nicht nur die Schilder zu entfernen, sondern auch die Farben um die Produkte neutraler zu gestalten. „So haben wir in den Spielzeuggängen auch alle anderen Hinweise auf das Geschlecht entfernt, indem wir beispielsweise die Rückwände der Regale jetzt mit grünem oder gelbem Papier dekorieren statt in Blau oder Pink.“
Welche Auswirkungen solche vergleichsweise kleinen Änderungen haben können, erklärt Elizabeth Sweet, Soziologin und Lehrbeauftragte an der California State University in Sacramento: „Geschlechtszuweisungen sind wirklich limitierend. Kinder brauchen die ganze Bandbreite von Lego bis zu Puppen, um ihre Fähigkeiten und Vielfalt als Menschen zu erforschen. Sie von Kindesbeinen an in die kümmernden Mädchen und die bauenden Buben auseinanderzudividieren hat Konsequenzen bis in das Erwachsenenalter, wie man etwa an der Geschlechterverteilung unter Architekten sehen kann“, so die Professorin.
Wie ernst diese Problematik mittlerweile auch an oberster Stelle ge- nommen wird, wurde Anfang April bei einer Tagung im Weißen Haus deutlich, die unter dem Titel „Die Auflösung von Geschlechtsstereotypen, damit unsere Kinder grenzenlos lernen, erkunden und träumen können“nach neuen Wegen suchte. „Dort waren nicht nur Forscher, sondern auch Vertreter der großen Spielwarenkonzerne wie Lego, Mattel oder Disney, die darüber geredet haben, wie man diese Stereotype vermeiden kann“, berichtet Sweet, die selbst auf der Konferenz referiert hat. Sie zeigten großes Interesse an der Thematik, auch wenn es bei manchen gut gemeinten Ansätzen der Spielwarenhersteller noch einen Bedarf an Bewusstseinsbildung und Erklärung gibt. „Viele glauben, dass es nur darum gehe, mehr positive Beispiele innerhalb der Geschlechterrollen zu zeigen“, erklärt Sweet, „indem man beispielsweise neue weibliche Superheldinnen oder stärkere Prinzessinnen kreiert. Aber es geht vielmehr darum, den Kindern wirklich die ganze Bandbreite außerhalb geschlechtsspezifischer Limitierungen anzubieten“, so die Soziologin. Zumindest im Kleinen scheint sich diesbezüglich auch etwas zu tun: „Immerhin war dieses Jahr zum allerersten Mal die Prinzessin nicht das beliebteste Halloweenkostüm bei den Mädchen“, meint Sweet. Diffuse Ängste. Überhaupt habe die Bewegung in der jüngeren Vergangenheit an Momentum gewonnen, freut sich die amerikanische Forscherin. Die Geschlechtsanpassung von Caitlin Jenner, die 1976 noch unter dem Namen Bruce Jenner Olympiasieger im Zehnkampf war und bis zur ihrer medienwirksamen Transformation vor zwei Jahren als sportlicher Nationalheld verehrt wurde, beschert der Thematik auch im Bewusstsein der breiten Masse enorme Aufmerksamkeit. Aber sie führte bei Eltern teilweise zu diffusen Ängsten, was auch bei der Umsetzung der TargetKampagne deutlich wird. So geht die Umrüstung der Kennzeichnung in den traditionell eher konservativen Südstaaten eher zäh voran, und ein Blick auf die Webseite des Unternehmens zeigt negative wie positive Reaktionen. Auch wenn Unternehmenssprecher Henderson auf Nachfrage darauf besteht, dass es ausschließlich „great feedback“seitens der Kunden gegeben habe, lassen sich hier Postings finden, in denen sich Kunden darüber beschweren, dass solche Maßnahmen es doch nur mühsamer machten, die Dinge zu finden. Oder schäumen, dass das Unternehmen sich jetzt den „linken Liberalen“geschlagen gäbe.
Was für Sweet ein Ausdruck von Ängsten, aber auch Unwissen ist: „Vie- le fürchten, dass es das Geschlecht ihrer Kinder redefinieren würde, wenn sie die Freiheit haben, unter den Spielzeugen und Produkten alle auszuprobieren, die sie gerade wollen. Und wissen nicht, in welchem Zusammenhang das mit der zukünftigen Sexualität ihrer Kinder steht“, erklärt sie gängige Klischees, obwohl das eine nichts mit dem anderen zu tun habe. Neben einer immer noch vorhandenen Homophobie werde der Gedanke, dass Buben
Die Rückwände der Regale sind statt blau und pink nun eben grün oder gelb.