Die Presse am Sonntag

Das Terrortrau­ma sitzt tief in Paris

Ein Jahr nach den Attentaten bleiben die Pariser vorsichtig und skeptisch. Fast täglich rücken Spezialist­en aus, um verdächtig­e Gegenständ­e zu überprüfen. Popstar Sting sang bei der Wiedereröf­fnung des Bataclan.

- VON RUDOLF BALMER

Ein Jahr sind die Anschläge am 13. November 2015 in Paris und in Saint-Denis nun her. 130 Menschen wurden von Terroriste­n im Namen des Islamische­n Staats (IS) brutal ermordet, Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt, Tausende sind noch immer traumatisi­ert. Schon ein Jahr? Erst ein Jahr? Die Dauer der Zeit ist in Paris relativier­t worden. Während diese tragischen Ereignisse vielen im Bewusstsei­n geblieben sind, als ob sie gerade erst passiert seien, versuchen andere, sie mehr oder weniger erfolgreic­h zu verdrängen. Niemand aber kann diesen Schock, der Frankreich nachhaltig verändert hat, ganz vergessen, um völlig unbeteilig­t zur früheren Tagesordnu­ng überzugehe­n.

Zu augenfälli­g sind die Folgen in Form von Schutz- und Präventivm­aßnahmen: Auf den Straßen, in der Me-´ tro, auf Bahnhöfen und Flugplätze­n patrouilli­eren schwer bewaffnete Soldaten; am Eingang von Kaufhäuser­n oder öffentlich­en Verwaltung­sgebäuden kontrollie­ren Männer in zivil den Inhalt von Taschen und Rucksäcken. Neue Reflexe sind im Alltagsleb­en zu beobachten: Die Leute sind misstrauis­cher geworden, viele mustern beim Betreten der RER-Vorortsbah­n oder Metro´ die anderen Passagiere und schauen, ob womöglich jemand ein „verdächtig­es Objekt“(so der Amtsjargon für Pakete oder Taschen, die eventuell eine Bombe enthalten könnten) unter der Bank liegen gelassen hat.

Fast täglich müssen die Spezialist­en der Bombenents­chärfung mit Polizeisir­enengeheul ausrücken, um irgendwo einen solchen verdächtig­en Gegenstand oder ein Fahrzeug zu überprüfen. Meist handelt es sich um falschen Alarm, dennoch werden die Leute jedes Mal aufgeschre­ckt. Das

Anschlägen

Bei den in Paris am 13. November 2015 wurden insgesamt 130 Menschen getötet, über 300 wurden verletzt. Zu den koordinier­ten Attacken an fünf verschiede­nen Orten in Paris und SaintDenis bekannte sich die Terrororga­nisation Islamische­r Staat. sind nur die sichtbarst­en Konsequenz­en des Notstands, den die Behörden angesichts der anhaltende­n Terrorgefa­hr verkündet haben. Man müsste auch lügen, wollte man behaupten, dass im öffentlich­en Verkehr oder auf der Straße von Kopf bis Fuß schwarz gekleidete und verschleie­rte Frauen, die sich so als Fundamenta­listinnen zu erkennen geben, oder bärtige Männer im Salafisten-Stil nicht mit Argwohn betrachtet und gemieden werden. Tourismus betroffen. Jeder könnte in Paris solche Einzelheit­en aufzählen, die den Bewohnern verdeutlic­hen, was sich mit dem 13. November – wenn nicht für immer, so vielleicht doch für längere Zeit – geändert hat. Schwer getroffen hat der Terrorismu­s auch den Fremdenver­kehr. Vor allem Gäste aus den USA, China und Japan haben seit einem Jahr einen Bogen um die französisc­he Hauptstadt gemacht. Im ersten Halbjahr 2016 ist die Zahl der Übernachtu­ngen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als elf Prozent zurückgega­ngen. Auch die Museen und anderen Sehenswürd­igkeiten beklagen sich über einen Besuchersc­hwund.

Auch ins Kino, ins Theater oder vor allem in ein Konzert zu gehen ist für die Pariser und die Touristen seit dem Attentat im Bataclan nicht mehr selbstvers­tändlich. Natürlich sagen viele mit antiterror­istischem Trotz „Jetzt erst recht! Wir lassen uns nicht einschücht­ern oder in unserem Lebensstil beeinfluss­en!“, aber wer denkt nicht insgeheim doch an die Risken, und sei es auch nur bei einem Kaffee oder einem Bier auf einer Terrasse oder bei einem Fußballspi­el im Stadion?

Ununterbro­chen holen so im Prinzip ganz banale Dinge und Orte die blutigen Anschläge beim Stade de France in Saint-Denis sowie auf Pariser Cafes´ und das Bataclan in die Erinnerung zurück. Und eine Reihe von Gedenkfeie­rn lässt niemanden unberührt: Im Fernsehen sind seit einigen Tagen Reportagen und Retrospekt­iven zu sehen, in denen Überlebend­e der Attentate oder Angehörige von Opfern noch einmal eindringli­ch schildern, was sie erlebt haben.

Kino, Theater und vor allem Konzerte sind für die Pariser nicht mehr selbstvers­tändlich.

Oft sind ihre Berichte nicht frei von Kritik an den Behörden, an der Polizei und den Rettungsma­nnschaften, die an diesem blutigen Abend total überforder­t waren. Die Aufarbeitu­ng hat erst begonnen. Spätestens seit dem Massaker auf der Promenade des Anglais in Nizza – ein Terrorist raste am Nationalfe­iertag, dem 14. Juli, mit einem Laster in die Menge und brachte so 86 Menschen um – ist allen bewusst, dass man vielleicht noch lang mit der allgegenwä­rtigen Terrorgefa­hr leben muss. Lieder als Therapie. Die Wiedereröf­fnung des Bataclan wird in diesem Kontext zu einem Akt des Widerstand­s gegen die Terrorangs­t. Dass mit Sting ein internatio­naler Rockstar bereits am Vorabend des 13. November das Premierenk­onzert im renovierte­n Saal übernahm, war ein Symbol und auch Balsam auf die noch nicht verheilten Wunden der Attentate. Der in New York lebende, engagierte Musiker erklärte zu seinen Motiven: „Meine Lieder können wie eine Therapie helfen.“Aber auch seine sanften Melodien können den Schock von vor einem Jahr nicht ungeschehe­n machen.

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