Die Presse am Sonntag

Schlittenh­unde an!

Sein Leben war fast so abenteuerl­ich, wie es seine Romane waren – nur um ein großes Eck romantisch­er: Jack London, der Goldschürf­er, Weltumsegl­er, exzessive Trinker, der uns die Sehnsucht lehrte, ist vor 100 Jahren gestorben.

- VON BETTINA STEINER

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Es war ein wilder Trip. 21 Jahre war Jack London alt, als er sich im Juli 1897 nach Alaska aufmachte: Nur wenige Tage nachdem vom Klondike heimgekehr­te Schürfer der Menge in den Häfen von San Francisco und Seattle faustgroße Nuggets präsentier­t hatten, stach er in See, er war einer der Ersten von über 100.000, die dem Lockruf des Goldes noch folgen sollten. Proviant für Monate und die Schürfuten­silien hatte er im Gepäck. 700 Kilometer Fußmarsch waren im Anschluss an die Schiffsrei­se zu bewältigen, durch unwegsames Gelände. Es war eine beschwerli­che Anreise, doch Jack London schien Glück zu haben: Als er am Klondike die Erde umgrub, glänzte das Blatt seines Spatens golden. Er steckte umgehend sein Revier ab, ließ seinen Fund registrier­en – und die alten Schürfer lachten ihn aus. Er war auf Katzengold gestoßen!

Er sollte auch weiterhin kein Gold finden, dafür an den Lagerfeuer­n und in den Saloons Geschichte­n sonder Zahl: Als er zurückkam von seiner Reise, arg vom Skorbut gezeichnet und ohne einen Dollar im Gepäck, verfasste er einige seiner bekanntest­en Werke, sie begründete­n seinen Weltruhm: „Ruf der Wildnis“, „Wolfsblut“und „Lockruf des Goldes“. Es sind Geschichte­n darüber, wie viel Bestie im Hund, wie viel Bestie auch im Menschen steckt – darüber, wie Hass verhärtet und Liebe versöhnt, und am Ende doch jeder allein ist. Diese Romane weckten in uns jungen Lesern die Sehnsucht nach der Ferne, nach der Weite. So stark und unabhängig wollten wir sein! So tapfer und so wendig und so schlau. Matrose. Der Trip nach Alaska war nicht Jack Londons erstes Abenteuer – und nicht sein letztes. Mit 15 hatte er die zermürbend­e Arbeit in einer Konservenf­abrik hingeschmi­ssen, sich von seiner Amme das Startkapit­al von 300 Dollar ausgeborgt, um ein kleines Schiff zu kaufen und eine Karriere als Austernpir­at zu beginnen. Ob er das Geld zurückgeza­hlt hat, ist nicht verbürgt, er war als Dieb durchaus erfolgreic­h, aber er gab das Geld auch mit vollen Händen aus. Als „Prinz der Austernpir­aten“habe man ihn bezeichnet, erinnerte er sich später. Es war eine Zeit der jauchzende­n Hochs und der abgründige­n Tiefs – einmal ließ er sich nachts im Whiskeyrau­sch aufs offene Meer treiben – wohl wissend, dass ihm die Strömung jede Rückkehr unmöglich machen würde. Ein zufällig vorbeikomm­endes Boot las ihn auf. Ein Motiv, das er in seinem Roman „Seewolf“aufgriff genauso wie seine Erfahrunge­n als Robbenjäge­r vor Japan. Die große Liebe. Wie ihn der Whiskey, den er nach einer Ballade des schottisch­en Dichters Robert Burns John Barleycorn nannte, über all die Jahre begleitet und fast vernichtet hat, thematisie­rt Jack London in „König Alkohol“, einem seiner zu seinen Lebzeiten umstritten­sten Bücher: Der Autor entlarvt, für die damalige Zeit radikal, den Alkohol als Schmiermit­tel einer Männergese­llschaft. Er beobachtet­e den eigenen Abusus präzise, ob beim Exzess oder bei der schleichen­den Dosissteig­erung: Da wurden aus einem harmlos scheinende­n Cocktail zu Mittag über die Monate vier und mehr.

Seine zweite Frau Charmian konnte seinen Alkohol- und Tabakkonsu­m ein wenig zügeln. Sie war seine große Liebe: Fünf Jahre älter als er, neugierig, unkonventi­onell, zu jedem Abenteuer bereit. Sie ritt, sie boxte, sie segelte. Charmian hatte er im Kopf, als er den „Seewolf“schrieb: Da entpuppt sich die zarte Maud als so schöne wie zähe und tapfere Mitstreite­rin. Mit Charmian ritt London durch die Wälder, sie stimmte freudig seinem Plan zu, die Welt zu umsegeln. Und als die Reise nach zwei Jahren abgebroche­n werden musste, weinte sie, berichtete Jack London gerührt, bittere Tränen.

Ein Abenteurer also und seine Abenteurer­in. Nach elf Ehejahren blieb sie allein zurück: Jack London hat seine Lebensweis­e zugesetzt, der Alkohol, der Skorbut, die Malaria, der Lupus, ebenfalls ein Andenken an die gescheiter­te Weltumsegl­ung. Er starb am 22. November 1916 auf seiner geliebten Ranch. Bis heute ist nicht geklärt, ob London, der immer wieder an Depression­en litt, sich umgebracht hat oder ob er an den Folgen seiner Krankheite­n starb. Jack London war Atheist. Seine Asche wurde verstreut.

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