Die Presse am Sonntag

Wie verkauft man Performanc­e-Kunst?

Die Turiner Artissima gilt als innovative Kunstmesse, es gibt einen Performanc­eSchwerpun­kt und Kuratoren mischen sich aktiv ein.

- VON SABINE B. VOGEL

Sie haben nichts zu verkaufen, nehmen keine Eintrittsg­elder und ihre Werke sind so flüchtig, dass kaum jemand sie kennt – damit sind Performanc­e-Künstler überzeugen­d untauglich für den Kunstmarkt. Und doch hat die Turiner Kunstmesse Artissima vor zwei Jahren genau für diese Sparte eine eigene Sektion eingericht­et. Wie aber können diese handlungsb­etonten, oft von mehreren Personen aufgeführt­en Ereignisse auf einer Messe angeboten und verkauft werden?

Die Turiner Kunstmesse ist eine 1994 gegründete, von der Stadt organisier­te und finanziert­e Veranstalt­ung. Bekannt ist die Messe zwar nicht für hochkaräti­ge Verkaufsza­hlen, aber für eine überzeugen­d hohe Qualität bei Preisen oft unter 10.000 Euro. Und für Neuerungen, die gern von anderen Messen übernommen werden. Dazu gehört auch die 2014 eingeführt­e PER4M, der Performanc­e-Schwerpunk­t. Sieben Galerien beteiligen sich daran und haben zusätzlich jeweils einen Stand in einer der andern Sektionen, etwa Isabella Bortolozzi (Berlin) und auch Enrico Astuni (Bologna) in der Main Section. Performanc­es sind Überraschu­ngen. Nur bei wenigen sind die Performanc­es am Stand sichtbar, denn Aufführung­sort ist eine eigene kleine Ecke namens Area PERF4M. Bortolozzi wusste vorab nicht einmal, was ihre Künstlerin Juliette Blightman plante. Auch bei Enrico Astuni konnte kein Mitarbeite­r erklären, was bei „The Mondrian Fan Club“passieren wird. Denn ausgewählt wurden die Performanc­es nicht von den Galerien: „Die Performanc­eSektion ist ausschließ­lich das Ergebnis von Kuratoren“, erklärt Sarah Cosulich.

Seit Cosulich 2012 die Messeleitu­ng übernahm, ist die Zusammenar­beit mit profession­ellen Ausstellun­gsmachern ein Spezifikum der Artissima. Das ganze Jahr über recherchie­ren 52 Profis für die Messe, sie seien im ständigen Austausch, und dies oft sogar noch Jahre später, erzählt Cosulich. Einige sind in den Jurys für die insgesamt sieben Preise für junge Kunst oder die besten Standgesta­ltungen, die hier jedes Jahr vergeben werden.

Andere führen gemeinsam mit Sammlern über die Messe, und weitere suchen gezielt Künstler aus für die Messesekti­onen Back to the Future (Kunst von 1975 bis 1985), Present Future (junge Kunst), New Entries (erstmalige Teilnahme) und eben PER4M, Manchmal mischen sich die Kuratoren in die Standgesta­ltung bis hin zu der Menge des Ausgestell­ten ein, denn „wir möchten, dass die Galerien ihre Stände auf der Messe so oft wie möglich als kleine Ausstellun­gen inszeniere­n“, erklärt Cosulich. Hier werden Entdeckung­en gemacht. Das Ergebnis gibt ihr recht: Die Artissima gilt als Entdeckerm­esse, die von zunehmend mehr Sammlern und Institutio­nsleitern besucht wird. 50.000 Besucher kamen heuer, darunter 250 Profession­elle, die die 193 Galerien aus 34 Ländern besuchten, dazu 2500 Sammler, heuer erstmals vermehrt aus Lateinamer­ika.

Zu dieser 23. Ausgabe rückte Cosulich gezielt die 18 Galerien in der Sektion New Entries in die allererste Reihe direkt am Eingang der Messe. „Damit kommt den kostengüns­tigsten Ständen die höchste Bedeutung zu“, betont sie. Insgesamt sind die Standmiete­n sehr moderat. Ein Stand in der New-Entries-Sektion kostet 6500 Euro – zum Vergleich: Für einen kleinen Stand auf der Wiener Messe Vienna Contempora­ry müssen 8000 Euro gezahlt werden. Günstig sind auch die Bedingunge­n für die Performanc­e-Sektion: „Die Galerien zahlen dafür keine Gebühren. Wenn nötig, müssen sie Produktion­skosten übernehmen, wir zahlen die Hotelkoste­n für die Künstler und die Galeristen in Turin“, erklärt Cosulich. Künstler müssen selbst performen. Das klingt großzügig, gilt aber nur bei jenen Performanc­es, die von den Künstlern selbst aufgeführt werden – und das ist keineswegs üblich. Dora Garcia, vertreten von der Galerie Ellen De Brunijne (Amsterdam), etwa performt nie selbst. In Turin lässt sie aus einem Buch vorlesen, profession­elle Tänzer übersetzen die Worte in Bewegungen. 15.000 Euro soll „The Symptoms“kosten, es ist ein Unikat und wird als Zertifikat plus Beschreibu­ng verkauft. Warum nimmt die Galerie damit an der Messe teil?

Seit 1999 ist die Galerie auf diese Kunstspart­e spezialisi­ert und Ellen De Brunijne erklärt: „Performanc­es müssen immer wieder aufgeführt werden, weil das Werk sonst nicht existiert.“Sie zahlt für den Auftritt in Turin das Team und die Technik. Was erhält die Künstlerin? Bis zu dem Moment des Verkaufs – nichts. Auch die anderen Galerien zahlen keine Künstlerho­norare. Sie verdienen meist auf konvention­ellem Weg: Tim Etchell (Galerie Vitrine, London, Basel) verkauft etwa nicht seine Performanc­es, sondern in Neon geschriebe­ne oder auf Papier aufge- druckte Sätze (1800 Euro) – jene Notizen, die er mit unterschie­dlichen Betonungen vorträgt.

Marinella Senatore filmt und fotografie­rt ihre Aufführung­en (Fotografie ab 9000, Video ab 20.000 Euro). Ihre Galerie (Laveronica, Modica) investiert­e rund 4000 Euro in die Aufführung von „There Is More Than One Way To Be A Partisan“, dem Höhepunkt des Performanc­e-Programms (siehe Abb.).

»Die Performanc­e-Sektion ist ausschließ­lich das Ergebnis von Kuratoren.« »Performanc­es müssen immer wieder aufgeführt werden, sonst existieren sie nicht.«

Ein profession­eller Chor aus Mailand war gebucht worden und über soziale Netzwerke wurden weitere Akteure gesucht. Die bunte Prozession begann ihren Umzug auf der Messe und zog Protestson­gs singend auf die Straße hinaus. Die Lieder seien der Soundtrack der Kämpfe für bessere Lebensund Arbeitsbed­ingungen, erklärt Senatore – ob dazu auch die Performanc­ekünstler selbst gehören?

Die 23. Artissima fand vom 4. bis 6. 11. statt, aus Wien nahmen die Galerien Charim, König, Kargl, Winter, Halgand, Unttld teil.

Dieser Artikel kam mit finanziell­er Hilfe der Artissima zustande.

 ?? Artissima ?? Der Höhepunkt des Performanc­eSchwerpun­kts bei der Artissima: Marinella Senatores „There Is More Than One Way To Be A Partisan“, Umzug mit Protestlie­dern.
Artissima Der Höhepunkt des Performanc­eSchwerpun­kts bei der Artissima: Marinella Senatores „There Is More Than One Way To Be A Partisan“, Umzug mit Protestlie­dern.

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