Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VO N MICHAEL PRÜLLER

Noch eine Trump-These. Vielleicht hat The Trump nicht trotz, sondern auch wegen seiner Ausrutsche­r die Wahl gewonnen. Als Champion einer bedrohten Kultur der »free speech«.

Dass die Prognosen für Donald Trump viel schlechter waren als sein Endergebni­s, war keine Verschwöru­ng der Meinungsfo­rscher. Die wahrschein­lichste Erklärung ist, dass Trump-Wähler bei Umfragen ihre Präferenz in einem viel höheren Ausmaß verleugnet­en, als es sonst vorkommt.

Was bedeutet es, wenn sich so viele Menschen – weit über den üblichen Hang zur sozial erwünschte­n Antwort hinaus – sogar in einer anonymen Befragung scheuen zu sagen, was sie denken? Es dokumentie­rt jedenfalls ein in den USA mittlerwei­le verbreitet­es Gefühl der Meinungsun­freiheit: Was der linksliber­alen Ideologie – für die Hillary Clinton steht – nicht gefällt, kann ohne soziale Ächtung oder gar Jobverlust oder einer Ordnungsst­rafe nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden. Ich denke, Trump hat seine ostentativ­en Tabubrüche gezielt eingesetzt, um jene Menschen abzuholen, die unter diesem Konformitä­tsdruck leiden.

Das Beratungsi­nstitut Morning Consult hat schon recht früh im Wahlkampf herausgefu­nden, dass sogar deklariert­e Republikan­er sich in persönlich geführten Umfragen deutlich weniger als Trump-Wähler outen als in Onlinefrag­ebögen (um sechs Prozentpun­kte). Am größten ist die heimliche Trump-Truppe bei Menschen mit höherer Bildung (zehn Prozentpun­kte). Ernst genommen haben das nur die Prognostik­er der „L. A. Times“und der University of South California – sie lagen als einzige richtig.

Meine These dazu ist: Jeder Mensch hat Vorurteile und seinen inneren Schweinehu­nd. Aber wir arbeiten daran und sprechen nicht alles aus. Da sonst das Zusammenle­ben nicht mehr funktionie­rt und da unser Gewissen uns sagt, dass es gut ist, die Würde anderer zu achten. So werden wir dazu erzogen und erziehen uns selbst zum zivilisier­ten Reden. Aber nur, solange die Sprechtabu­s und -gebote im Herzen nachvollzi­ehbar sind. Die sich in den USA gerade in akademisch­en Zirkeln ausbreiten­de Kultur der Political Correctnes­s hat diese Grenze überschrit­ten, auch wenn mir ein echter Sprechzwan­g außerhalb der Universitä­ten oft noch mehr gefürchtet als tatsächlic­h erlebt scheint.

Diese zu engen Fesseln der Rede hat Trump mit seiner rüpelhafte­n Rotzigkeit gesprengt und damit im Land der „free speech“einen Nerv getroffen. Wer Fesseln sprengt, zieht aber nicht die Grenzen neu, sondern setzt alles frei – auch den inneren Schweinehu­nd, den wirklichen Rassismus, die tatsächlic­he Menschenve­rachtung. Donald Trumps Taktik hat somit die Barbarei gefördert. Das Feld dazu aufbereite­t haben aber all jene, die die Fesseln zu fest angezogen haben. So etwas geht nicht lang gut. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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