Wie aus der Rübe Zuckerkristal
Alle drei Minuten fährt während der sogenannten Zuckerkampagne in Tulln ein Lkw vor, um Rüben in die Fabrik zu bringen. Ein Besuch an jenem Ort, in dem die wichtigste Zutat für Kekse entsteht.
An weihnachtliche Backstuben erinnert hier gar nichts. Schon auf dem Weg zur Zuckerfabrik der Firma Agrana in Tulln wird deutlich, dass es hier um die Lebensmittelindustrie im großen Stil geht. Den Weg findet man ganz leicht, indem man den mit Zuckerrüben beladenen Lkw folgt, die sich von Kreisverkehr zu Kreisverkehr zur Annahmestelle hanteln. Sollte einmal kein Lkw auf der Straße sein – was eigentlich nur maximal zwei Minuten und 59 Sekunden lang passieren kann –, folgt man einfach den einzelnen Rüben, die am Straßenrand liegen, weil sie in einer Kurve vom Transporter gefallen sind. Oder aber man orientiert sich am stechend süßlichen, leicht verbrannten Geruch, den die Zuckerfabrik verströmt.
Alle drei Minuten fährt ein Lkw vor, um Zuckerrüben anzuliefern. Während der knapp 150 Tage dauernden Kampagne, wie hier die Produktionszeit genannt wird, passiert das Tag und Nacht. Das macht aber nur einen Teil der Lieferungen aus. Etwa die Hälfte der 12.000 Tonnen Rüben, die in Tulln täglich verarbeitet werden, werden mit der Bahn geliefert. Es sind Dimensionen, die den eigenen Zuckervorrat daheim lächerlich bis inexistent erscheinen lassen. 7400 Rübenbauern. „Im Frühling wird die Rübe angebaut, sie wächst bis zur Ernte im September. Dann geht es darum, möglichst schnell kristallinen Zucker daraus zu machen. Wir nennen das Kampagne“, erklärt Martin Doppler, Geschäftsführer der Agrana Zucker GmbH. Der Begriff Kampagne wurde aus der Militärsprache entnommen. Das wundert nicht, wenn man sich ansieht, wie aus dieser Vielzahl an Rüben Zucker gemacht wird. Jeder Schritt ist genau getaktet, hier ist alles auf Effizienz ausgerichtet.
Die Agrana betreibt zwei Zuckerfabriken in Österreich. In Leopoldsdorf wird vorwiegend für die weiterverarbeitende Industrie produziert. In Tulln hingegen werden jene rd. 30 Produkte erzeugt, die im Handel unter der Marke „Wiener Zucker“verkauft werden.
Heuer war ein gutes Jahr für die 7400 Rübenbauern, die die Agrana beliefern. Kühle Nächte, viel Sonne und gleichmäßig verteilter Niederschlag sorgten dafür, dass in Österreich 3,5 Millionen Tonnen Rüben geerntet werden können. Auf mehr als 80 Ton- nen pro Hektar kamen die Rübenbauern – 2015 lag der Hektarertrag aufgrund der extremen Hitze bei nur rund 63 Tonnen. Ein Rübenbauer bekam im vergangenen Erntejahr 2015/2016 knapp 40 Euro pro Tonne. Die aktuellen Preise werden gerade verhandelt.
Aber zurück in die Zuckerfabrik, die aus dem Jahr 1937 stammt und zumindest optisch ihr Entstehungsjahr nicht verbergen kann. Außen ragen hohe, gelbe Türme, um die sich unzählige Rohre winden, in die Höhe. Es raucht und dampft. An der Annahmestelle warten mehrere Lkw, die die Rüben von einem der 60 Rübenlagerplätze abgeholt haben, zu denen wiederum die Landwirte liefern.
„Die Logistik ist einer der wichtigsten Punkte“, sagt Doppler und führt in das Innere der Fabrik. Rund 300 Personen arbeiten während der Kampagne im Schichtbetrieb. „Von sechs bis 14 Uhr, von 14 bis 22 Uhr und von 22 bis sechs Uhr. Jeweils zwei Tage, und dann haben sie drei Tage frei.“Produziert wird bis Ende Jänner, danach werden die Maschinen teilweise zerlegt und gereinigt. Heuer hat die Kampagne am 8. September begonnen.
Der Produktionsprozess ist für den Laien komplex. Wer in Chemie aufge- passt hat, tut sich leichter, ihn zu verstehen. So viel vorweg: Acht Stunden dauert es, bis aus einer Rübe Zuckerkristalle werden. Und für ein Kilogramm Zucker braucht man sechs bis sieben Kilogramm Rüben.
Zuerst werden die Rüben gewaschen und in einer Schneidemaschine zu Schnitzel geschnitten. Ein Mitarbeiter hat den Stromverbrauch im Auge, daran kann er ablesen, ob die 24 Messerkämme scharf genug sind. Schwächelt einer, muss er ausgetauscht werden, damit das Tempo stimmt. „Die Rüben haben jetzt einen Zuckergehalt von etwa 17 Prozent, kosten Sie“, sagt Doppler und greift in das Förderband, das die Rübenschnitzel transportiert. Es schmeckt süß, fasrig, zum Zuckerwürfel ist es noch ein weiter Weg.
Dann kommen die Stücke in einen hohen Turm, in dem sie auf 70 Grad heißes Wasser im Gegenstrom stoßen. „Bei 70 Grad platzen die Zellen auf“, sagt Doppler. Dadurch wird der Zucker aus den Schnitzeln gelöst. Der süße Dünnsaft wird weiterverarbeitet, die Schnitzel werden als Viehfutter verwendet.
Jetzt müssen noch die Nicht-Zuckerstoffe aus dem süßen Saft gelöst werden, da sie die Kristallisation behindern würden. Das passiert mit Hilfe von Kalkmilch, die wiederum in einem eigenen Kalkofen erzeugt wird. Auch das hier anfallende Nebenprodukt wird als Kalk-Düngermittel weiterverkauft, erklärt der Geschäftsführer.
»Man kann eine Zuckerfabrik auch in die Wüste stellen, man muss sie nur einmal starten.«