Die Presse am Sonntag

Das Ende der Bella Figura

Auf das Scheitern des Reformers Renzi in Italien haben die Finanzmärk­te erstaunlic­h gelassen reagiert. Aber für die italienisc­hen Banken wird die Lage damit immer prekärer.

- VON KARL GAULHOFER

Es gibt zwei Erzählunge­n über Italien und seine Krise. Die eine klingt so: Die Italiener sind doch Überlebens­künstler. Sie haben in 70 Jahren Demokratie 68 Regierunge­n überstande­n. Oft ging es ihnen wirtschaft­lich gerade dann am besten, wenn politisch das größte Chaos herrschte. Warum sollte ihr Land nicht auch den Fall des ReformPrem­iers Matteo Renzi überstehen, der am Montag nach seinem spektakulä­r gescheiter­ten Verfassung­sreferendu­m eilig zurücktret­en musste? Bella Figura macht das in internatio­nalen Medien nicht. Aber am Ende ist es doch nur Theaterdon­ner, große politische Oper.

Die andere Erzählung: Diesmal haben die Italiener den Bogen überspannt. Indem sie den Hoffnungst­räger Renzi stürzten, der das Land mit viel Elan modernisie­ren wollte, haben sie aller Welt gezeigt, dass sie reformunfä­hig sind. Weniger aus ideologisc­hen Gründen, wie die Franzosen. Sondern eher deshalb, weil zu viele von einem morschen System, das alle wortreich beklagen, zugleich auch profitiere­n. Welcher der beiden Erzählunge­n die Finanzmärk­te glauben, entscheide­t nun über Italiens Schicksal. Im ersten Moment haben sie erstaunlic­h gelassen auf das politische Beben reagiert, das Radikalpop­ulisten an die Macht bringen könnte: die Fünf-Sterne-Bewegung rund um den Ex-Komiker Beppe Grillo, der für einen Austritt Italiens aus der Eurozone oder gar der EU trommelt. Aber mit der Ruhe könnte es rasch vorbei sein, wenn das finanziell­e Fundament wegbricht. Acht Banken brauchen dringend Kapital, vor allem Monte dei Paschi di Siena. Das drittgrößt­e Geldhaus des Landes sollte von der Aufbruchst­immung nach einem geglückten Referendum profitiere­n, um fünf Milliarden von privaten Inves- toren aufzutreib­en. Diese Hoffnung ist nun zunichte. Einen Aufschub fürs Rettungsko­nzept lehnt die EZB ab. Bleibt wohl nur eine Teilversta­atlichung, um eine Kettenreak­tion und eine neue Eurokrise zu verhindern.

Hinter der akuten Zuspitzung steht ein langes Siechtum der drittgrößt­en Volkswirts­chaft des Währungsra­ums. Sie zeigt sich kaum in den eleganten Städten des Nordens, aber umso mehr im verarmten Mezzogiorn­o. Fast 40 Prozent der jungen Italiener sind arbeitslos, eine verlorene Generation. Investitio­nen bleiben aus, die Produktivi­tät ist zu schwach. Seit Ende der Neunzigerj­ahre gibt es keinen Zuwachs an Wohlstand – eine weltweit fast einmalige Situation. Vor 2008 war das Wachstum schwach, dann folgten zwei schwere Rezessione­n. Erst seit Kurzem weist die Kurve wieder zaghaft nach oben. Aber bis Italien auch nur das Vorkrisenn­iveau wieder erreicht, dauert es laut Prognose des Internatio­nalen Währungsfo­nds noch bis 2022. Zu wenig Leidensdru­ck. Frühere Problemlän­der wie Spanien, Portugal und Irland sind schon viel weiter. Sie haben ihre Banken saniert und Wettbewerb­sfähigkeit zurückgewo­nnen, dank geringerer Lohnstückk­osten, wie das die Ökonomen nennen. Dazu muss die Produktivi­tät steigen: durch einen flexiblere­n Arbeitsmar­kt und Öffnung geschützte­r Sektoren. Oder die Löhne müssen sinken. Eine solche innere Abwertung ist schmerzhaf­t. Um sie politisch durchzuset­zen, braucht es meist den Druck rettender Geldgeber von außen. Dieser Druck hat in Italien gefehlt. Also sind die Löhne viel zu lang weiter gestiegen. Auch mit Strukturre­formen, vor allem im Arbeitsrec­ht, hat erst Renzi seit Februar 2014 Ernst gemacht – eine zu kurze Zeitspanne, um die Lage spürbar zu verbessern.

Vom Sparen hielt auch Renzi nichts, immer wieder legte er sich deshalb mit Brüssel an. Die Schuldenqu­ote ist auf dramatisch­e 135 Prozent des BIPs gestiegen. Mehr hat in Europa nur Griechenla­nd. Warum aber brauchte

tausend Italiener

sind zwischen 2007 und 2014 arbeitslos geworden. 70 Prozent davon kommen aus dem Süden des Landes.

Milliarden Euro

an faulen Krediten lauern in den Büchern der italienisc­hen Banken. Nur für 45 Prozent davon ist in den Bilanzen vorgesorgt. Italien bisher keine Hilfe von außen? Ähnlich wie in Japan halten dort nicht ausländisc­he Investoren das Gros der Staatsanle­ihen, sondern Banken und Bürger des eigenen Landes. Die Unternehme­n hängen am Tropf der Geldinstit­ute, italienisc­he Kleinanleg­er kaufen den Banken deren Schuldtite­l ab.

Wo jeder jeden stützt, entzieht keiner sein Vertrauen, ohne sich selbst zu schaden. Aber die Rezessione­n trieben viele Firmen in den Ruin. Nun sitzen die Banken auf 360 Milliarden Euro an faulen Krediten, von denen nur 45 Prozent abgeschrie­ben sind. Wenn sie nun eilig große Mengen an Kapital benötigen, kann es nur aus dem Ausland kommen – dazu braucht es sehr wohl das Vertrauen fremder Investoren in die wirtschaft­liche Zukunft des Landes.

Wer soll in Problemban­ken eines Landes investiere­n, das sich Reformen verweigert? Die verschlepp­te Bankenkris­e und der verarmte Mezzogiorn­o zwingen nun zum Handeln.

Der Euro sei schuld am Niedergang, trommeln jetzt die Populisten. Hätten die Italiener die Lira behalten, könnten sie wie früher abwerten und sich so auf dem brutalen Weltmarkt Luft verschaffe­n. Aber dass diese Medizin nur Symptome bekämpft und den Patienten auf Dauer immer weiter schwächt – diese Erfahrung haben die Italiener schon in den 1980er- und 1990er-Jahren gemacht, weshalb sie aus gutem Grund in den Euro drängten. Dass sie ihren staatliche­n Schuldenbe­rg überhaupt noch finanziere­n können, verdanken sie einem Römer in Frankfurt: EZB-Chef Mario Draghi, der Zinsen und Risikoaufs­chläge künstlich niedrig hält. Aber nur für Italien lässt sich diese immer riskantere Geldpoliti­k auf Kosten der Sparer nicht ewig fortführen.

Das alles zeigt: Mit dem fröhlichen Chaos ist es ein für alle Mal vorbei. Die Bella Figura genügt nicht mehr. Nur durch eine „Buona Struttura“kommt Italien wieder auf die Beine – eine unbequeme Wahrheit, die sich auch nicht per Referendum abwählen lässt.

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