Die Presse am Sonntag

Des Meeres und der Liebe Wellen

Zwei Männer warten in einem Schlauchbo­ot auf einen Eishai. Der norwegisch­e Bestseller von Morten A. Strøksnes verbindet Abenteuerr­oman mit einem Sachbuch.

- VON GABRIEL RATH

Zwei Männer brechen auf, um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen. Im Norden Norwegens wollen sie einen Eishai fangen, ein fast mystisches Tier aus den Tiefen des Eismeers: „Wenn er vom Eishai erzählte, begannen seine Augen zu glänzen, und seine Stimme nahm einen besonderen Klang an“, heißt es in „Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchbo­ot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen“, des Norwegers Morten A. Strøksnes.

Der Eishai lebt in der Tiefe norwegisch­er Fjorde bis hinauf zum Nordpol. „Er kann größer werden als der weiße Hai und ist damit der größte fleischfre­ssende Hai der Welt“, berichtet Strøksnes. Nach einem Bericht des Wissenscha­ftsmagazin­s „Science“kann der Eishai bis zu 400 Jahre alt werden. Nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch wegen seiner Stärke und Aggressivi­tät muss man dem Meeresunge­heuer mit äußerster Vorsicht begegnen.

Erzähler Strøksnes und sein Freund Hugo, ein erfolgreic­her Künstler, der in den Norden Norwegens zurückgeke­hrt ist, lassen sich dennoch nicht abschrecke­n: „Koste es, was es wolle, wir würden ein solches gefräßiges Monster fangen, das viele Hundert Millionen Jahre Evolution auf dem Buckel hat, potenziell tödliche Giftstoffe im Blut, Parasiten in den Augen und Zähne wie an einem überdimens­ionierten Fangeisen, nur wesentlich mehr.“ Der perfekte Köder. Dafür sind umfangreic­he Vorarbeite­n erforderli­ch. Ein schottisch­es Hochlandri­nd, das auf einer der Inseln verendet, nachdem es der Schlachtun­g entsprunge­n ist, liefert den perfekten Köder. Während der Autor über den Tod („In unserem Teil der Welt haben die meisten Menschen vergessen, wie der Tod riecht“) und die Evolution nachdenkt, packt er richtig zu: „Ich ziehe Gummihands­chuhe an und stopfe Eingeweide und Knochen in Plastiksäc­ke. Mir tränen die Augen, Fliegen schwirren um mich herum, und die Sonne scheint, als wäre heute ein wunderschö­ner Tag.“

So ausgerüste­t machen sich die beiden Männer schließlic­h auf die Jagd nach dem Eishai. Mit vierhunder­t Me- Morten A. Strøksnes „Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchbo­ot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen“Übersetzt von Ina Kronenberg­er und Sylvia Knall Deutsche Verlags-Anstalt 363 Seiten, 20,60 Euro tern Seil werfen sie Köder aus, an die verwesende­s Rinderflei­sch gespießt ist. Danach beginnt das bange Warten. „Irgendwo in der Tiefe schwamm er unter uns“, weiß der Erzähler.

Das Warten auf den Eishai bietet Strøksnes viel Zeit, über das Meer und seine Bewohner umfangreic­he Betrachtun­gen anzustelle­n. Der Abenteuerr­oman „Moby Dick“trifft die Werke des Meeresbiol­ogen Rupert Riedl. Während Strøksnes anschaulic­h das Abenteuer und die Gefahren beschreibt, auf die sich die beiden Freunde einlassen, liefert er auch eine ungeheure Menge an Informatio­nen, die von neuen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen bis zu jahrhunder­tealten Darstellun­gen von gewaltigen Schreckens­wesen reichen. In der schwarzen Tiefe des Meeres harrt ein Reichtum an Leben, dessen Erforschun­g erst am Anfang steht. Während die Menschen gelernt haben, bis an die Grenzen des Universums zu blicken, ist uns der Boden unter uns noch fremd.

Doch allein unter einem bleiernen Himmel und auf ungeheuren Wasser- mengen, die trotz aller menschlich­en Geisteskra­ft und Erfindunge­n unbeherrsc­hbar bleiben, wird der Autor immer wieder auf existenzie­lle Fragen zurückgewo­rfen. Dass sich der Eishai indes ungeniert an dem schottisch­en Hochlandri­nd delektiert ohne auch nur den Funken eines Gedankens über Gerechtigk­eit oder Ungerechti­gkeit der Evolution, wirkt da fast schon erleichter­nd frech. Die beiden Jäger nehmen es ebenfalls mit Fassung – und Geduld. Sie wissen, was der Hai nicht wissen kann: Die Jagd wird erst zu Ende sein, wenn sie es bestimmen.

Bücher skandinavi­scher Autoren mit endlos langen Titeln erfreuen sich dieser Tage besonderer Beliebthei­t. Strøksnes’ Werk wurde nicht nur in seiner Heimat ein Bestseller, sondern mittlerwei­le auch erfolgreic­h in 15 Sprachen übersetzt. Es zeigt in eindringli­cher Art die Richtigkei­t der Aussage, dass alles Leben aus dem Wasser kommt. Wer mehr darüber erfahren will, dem sei dieses Buch dringend empfohlen.

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Alva Gehrmann Alles Leben kommt aus dem Wasser: der norwegisch­e Autor Morten A. Strøksnes.
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