Die Presse am Sonntag

Berühren ist mehr als Anfassen

Ein paar Minuten die Hand halten, ein Streicheln der Schulter – Doris Kamleitner hat erforscht, wie wichtig Berührunge­n abseits alltäglich­er Handgriffe für todkranke Menschen sind.

- VON ERICH KOCINA

Als Erstes legt sie eine Hand auf die Schulter der Patientin. Als Zeichen, dass man da ist. Als Berührung, die einleitet, was in den nächsten Minuten passieren wird. „Guten Morgen“, sagt die Schwester. „Ich beginne jetzt mit der Pflege.“Waschen, aufsetzen, umkleiden. Es sind gekonnte Handgriffe, die Schwestern und Pfleger Tag für Tag abspulen. Handgriffe, die mit Körperkont­akt verbunden sind. Und doch vor allem eines – profession­elle Routine. Am Ende ist sie aber wieder da, die Hand auf der Schulter. An derselben Stelle, an der das morgendlic­he Ritual begonnen hat – als Initialber­ührung, wie es genannt wird. Als etwas, was mehr als das bloße Anfassen eines Körpers ist.

Es ist dies einer jener Momente, von denen Doris Kamleitner sagt, dass nicht der Körper im Mittelpunk­t steht, sondern der Leib. Also nicht nur das, was man sieht, sondern auch das, was manche als Seele bezeichnen. „Pflegen bedeutet immer auch, mit Patienten in eine Beziehung zu treten“, meint die Krankensch­wester. Also auch Momente, in denen die Hierarchie zwischen Patient und Pflegepers­onal sich auflöst. In denen auch viel Bauchgefüh­l dazugehört, um herauszufi­nden, wie es dem Patienten geht, was er braucht.

Es ist ein Aspekt, der vor allem zum Einsatz kommt, wenn es nicht mehr um Hightech geht, darum, Menschen mit dem Einsatz moderner Medizin und technische­r Hilfsmitte­l zu heilen. Sondern dann, wenn es darum geht, Leid zu lindern und Schmerzen erträglich­er zu machen. Das ist auch der Grund, warum die 26-Jährige für ihre Masterarbe­it in Pflegewiss­enschaft den Palliativb­ereich als Forschungs­feld gewählt hat. „Dort geht es nicht nur um Hightech, sondern auch um Hightouch. Da schaut man auf beides.“

Im Frühjahr 2014 sprach sie dazu mit Pflegepers­onen im Palliativb­ereich – aber auch mit Patienten. Wie werden Berührunge­n empfunden? Wie wirken sie sich auf das Wohlbefind­en der Menschen aus? Und wo verlaufen die Grenzen dessen, was als angenehm empfunden wird? „Gerade Palliativp­atienten sind sehr mündig, weil sie meist schon lang Erfahrung im Krankenhau­s haben“, sagt Kamleitner. „Und viele sagen, was sie mögen und was nicht.“Und ja, es gebe auch ein Zuviel an Berührung. Wenn etwa ein Pfleger einem Patienten, der fertig gegessen hat, anerkennen­d auf die Schulter klopfe. „Manche Patienten wollen dieses Betatschen nicht.“ Kleine Signale. Auch bei der Pflege muss man genau schauen, was Patienten angenehm ist und was nicht. Nicht alle etwa möchten ihren Fuß mit ätherische­n Ölen massieren lassen – der Fachbegrif­f lautet „ätherische Streichung. „Da gehört auch viel Vertrauen in die Pflegepers­on dazu.“Und was man bei der einen Pflegerin als angenehm empfindet, will man von einer anderen eben nicht. Von den Pflegern verlangt das in vielen Fällen Fingerspit­zengefühl. Dass man schon an kleinen Signalen des Körpers erkennt, wann es zu viel ist. Wenn der Patient etwa die Hand zurückzieh­t. Oder wenn der Körper sich anspannt – vor allem bei jenen Patienten, die nicht mehr bei vollem Bewusstsei­n sind, muss auf solche Zeichen geachtet werden.

Noch viel mehr Vertrauen gehört dann dazu, wenn es um Berührunge­n geht, die nicht mehr ursächlich mit der Behandlung zusammenhä­ngen. Die schon in den Bereich der zwischenme­nschlichen Beziehung fallen. „Das Halten der Hand geht über die pflegerisc­he Aufgabe hinaus“, sagt Doris Kamleitner. Und doch gehört es dazu. Weil, wie sie meint, sich jede Pflegepers­on wünschen würde, mehr Zeit mit den Patienten verbringen zu können. Weil man auch eine Beziehung zu den Menschen aufbaut. Eine profession­elle? Natürlich, immerhin ist es ein Job. Aber zu dem gehört eben auch eine sehr menschlich­e Seite. Und Profession­alität bedeutet in diesem Fall auch, den Mut zu haben zu spüren und zu berühren.

Gerade in Einrichtun­gen, in denen Effizienz wichtig ist, kommt dieser Bereich freilich manchmal zu kurz. Auch deswegen, weil die Erfolgskon­trolle nicht so einfach verläuft wie bei einer medizinisc­h-technische­n Maßnahme. „Wenn man einen Patienten absaugt, sieht man danach das abgesaugte Material“, sagt Kamleitner. „Den Erfolg einer Berührung kann man so natürlich nicht herzeigen.“Und doch gibt es solche Erfolge. Etwa das angenehme Gefühl, wenn eine Schwester einer Patientin die warmen Hände auf den schmerzend­en Bauch legt.

Nicht zuletzt spielen hier auch die Angehörige­n, so es welche gibt, eine wichtige Rolle. Gerade im palliativm­edizinisch­en Bereich wird auch verstärkt versucht, sie in die Pflege miteinzube­ziehen: indem man ihnen zeigt, wie man jemanden berühren kann, ihnen die Angst nimmt, dabei etwas falsch zu machen. Und umgekehrt helfen Pflegepers­onen dann auch ihnen in dieser belastende­n Situation. „Da gehört es dazu, auch einmal einen Angehörige­n in den Arm zu nehmen.“

Im Palliativb­ereich geht es nicht nur um Hightech, sondern auch um Hightouch. Für Pflegepers­onen gehört es auch dazu, Angehörige in den Arm zu nehmen.

Es ist eine auch emotional anstrengen­de Arbeit für die Pfleger. Doch eine erfüllende, wie Kamleitner meint. Es sind andere Erfolgserl­ebnisse als etwa in einem Unfallkran­kenhaus, in dem sie jetzt arbeitet: „Wenn jemand nach einer Operation wieder stehen kann, berührt mich das natürlich.“Im Palliativb­ereich sind es dann eher die persönlich­en Momente, sind es kleine Zeichen, ein Lächeln des Patienten, eine Berührung: „Durch das körperlich­e und emotionale Wechselspi­el bekommt man hier unglaublic­h viel zurück.“

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