DORIS RUPRECHT
hat sie „Träum schön“an die Wand gemalt. Sie wirkt fröhlich und voller Energie, obwohl die Last der Verantwortung auf ihr allein ruht. Die Eltern sind tot, der leibliche Vater von Sebastian will vom Kind nichts wissen. „Wir sind zum Glück beide recht gesund“, sagt sie. Und meint es ironiefrei.
Kranksein sei bei ihr einfach nicht drinnen. Obwohl es Hilfe für behinderte Kinder gibt, sei diese oft durch den bürokratischen Aufwand und Auflagen schwer zu bekommen. Zweimal in der Woche passt eine Familienhelferin auf den Buben auf, für Extrastunden gibt es eine Studentin. Ein Glücksfall, die wenigsten Babysitter fühlen sich behinderten Kindern gewachsen.
Sorgen bereitet ihr die Zukunft. „Ich muss über mein Leben hinaus für ihn aufpassen“, sagt sie. Sie hofft auf den Bau des Angelman-Hauses vom gleichnamigen Verein, wo die Betroffenen langfristig leben können. „Natürlich frage ich mich manchmal, warum alles gleichzeitig sein musste“, sagt sie. Der fehlende Rückhalt einer Familie und die Behinderung des Kindes. Auch sie hat Jahre gebraucht, um mit der Situation fertig zu werden. Heute denkt sie daran, was ihr Kind kann, und nicht an das, was ihm fehlt. „Er kennt keine Angst, sieht nur das Positive. Er ist so lieb. Das ist ein Geschenk.“Wenig später wird ihr Sohn sich an sie kuscheln, für einen Moment liegt der blonde Junge, der vorher vor Freude in der Zimmerschaukel gequietscht hat, ganz ruhig da.
Die Behinderung des Kindes zu akzeptieren und aus der Schwäche eine Stärke zu machen hat auch bei den Rauhs gedauert. „Und seien wir ehrlich, manche schaffen es nie“, sagt Clemens Rauhs. Er sitzt mit seiner Frau im Besprechungsraum seiner Firma im achten Bezirk. An den Wänden hängt Kunst, in seinem eigenen Büro stehen Vintagemöbel, die mit modernem Design kombiniert sind. Rauhs und seine Frau, heute 40 und 42, entwickeln mittlerweile erfolgreich Immobilien. Sie haben rund 40 Mitarbeiter.
Johannes ist nun zwölf Jahre alt. Er geht in die Hans-Radl-Schule, eine Volks-, Haupt- und Sonderschule für körperbehinderte Kinder, er ist glücklich dort. Clemens Rauhs leitet dort den Elternverein der Volks- und Sonderschule. Inklusion sei gut, aber wenn kein Geld dafür da sei, dann funktioniere sie oft nicht. „Sobald irgendein Rädchen ausfällt, und wenn nur der Lehrer krank ist, dann versagt das ganze System“, argumentiert er. Er hätte es immer wieder erlebt: Kindergärtner, die anrufen, dass der Bub bei Veranstaltungen nicht mitkönne, weil das Betreuungspersonal fehle. Die Hans-RadlSchule sei da eine absolute Ausnahme.
Der Alltag mit Johannes sei nach wie vor nicht einfach. Erst nach Jahren haben sich die Rauhs getraut, noch weitere Kinder zu bekommen. Sie sind heute sieben, fünf und vier. Und zusammen leichter zu betreuen als der ältere. Ihr Sohn hätte ein anderes Empathieverständnis, erklärt seine Mutter. An guten Tagen sei er unglaublich charmant, an schlechten aggressiv und verbohrt. Er hätte Schwierigkeiten, Freundschaften zu pflegen, obwohl er gern andere trifft. Noch immer wird er wenig eingeladen. Aber das tue, sagt Katharina Rauhs, nicht mehr so weh.
Sie findet es schade, dass der Umgang mit Schwächeren für viele noch immer nicht selbstverständlich ist. Ein bisschen mehr Offenheit, ein bisschen mehr Toleranz wünscht sie sich. So wie die eine Freundin, die darauf besteht, dass ihre Kinder mit Johannes etwas unternehmen, damit sie lernen, auch mit diesen Menschen umzugehen. Wie man das Thema Behinderung anspricht? „Interessiert, aber nicht investigativ“, sagt Clemens Rauhs. Die größte HerŻusfor©erung. Es ist 15 Uhr am Nachmittag, und plötzlich steht er da. Johannes mit den braunen Haaren, der einen neugierig fragt, ob man mit dem Auto gekommen sei und warum man nicht gleich direkt im Büro geparkt habe. Johannes, der einem die Hand auf den Rücken legt, wenn er stolz in Papas Büro führt. Johannes, der seine Eltern zu anderen Menschen gemacht hat. Sie zu Selbstdisziplin und Großzügigkeit gezwungen hat. Johannes, der sich mit seiner Schwester am besten versteht und mit dem jüngsten Bruder streitet.
Johannes, von dem die Mutter heute sagt, er sei das Beste, was ihr passiert sei. „Er war mein größter Lehrer und meine größte Herausforderung.“Da er einem jede Eitelkeit abräume, den Blick auf das Wesentliche schärfe. Kinder wie er, sagt sein Vater, seien noch so unverdorben von der Gesellschaft. Ihre Gefühle ungefiltert. Erst durch ihn, sagt der Vater, sei der Antrieb verstärkt geworden, beruflich noch unabhängiger zu werden. Erst mit ihm hätte er mehr Verständnis für Leute entwickelt, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen seien.
In der Erziehung seiner anderen drei Kinder sei ihm das Wort Courage jetzt sehr wichtig. „Sie zu starken und toleranten Mitgliedern unserer Gesellschaft zu machen.“Die aufstehen, wenn etwas ungerecht ist. In seinem schicken Büro steht auf dem Kästchen neben seinem Schreibtisch nur ein Foto von seinem ältesten Sohn. Einfach Johannes, auf dem er lauthals lacht. Mutter von SebŻstiŻn (7)
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